Kritik zu Killers of the Flower Moon

OmU © Paramount Pictures

Der Massenmord, der in den 1920er Jahren aus Habgier an den ­Menschen des Osage-Stammes begangen wurde, gehört zu den verdrängten Kapiteln der US-Geschichte. Martin Scorseses Verfilmung wirft nun ein Schlaglicht darauf. Das Epos hat alle Anzeichen eines Opus magnum

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Eine der schönsten und zugleich trügerischsten Sprachregelungen in den USA besteht darin, von den Stämmen der Ureinwohner als »Nationen« zu sprechen. Im Wortsinne sind es Geburtsgemeinschaften, im politischen Sinne müsste dieser Status den Stämmen eigene Souveränität garantieren. Die Geschichte der Osage, die zu den stolzen »First Nations« zählten, entlarvt Letzteres als Illusion.

Der rote Faden, der sich durch ihre Geschichte zieht, ist die Enteignung. Zuerst vertrieben britische und französische Kolonisten sie von der Ostküste. Die US-Regierung wies den Osage schließlich Territorien zu, die jedoch mit jedem weiteren – erzwungenen – Umzug immer kleiner wurden. Das Gebiet im späteren Bundesstaat Oklahoma, wo sie ihre endgültige Zuflucht fanden, kauften sie jedoch. In ihren Verträgen ließen sie festschreiben, dass ihnen nicht nur das Land, sondern auch eventuell zu bergende Bodenschätze gehörten. Das war klug. Denn als in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts in ihrer Heimstatt große Ölvorkommen entdeckt wurden, gelangten sie plötzlich zu unvorstellbarem Reichtum.

David Grann schreibt in seinem Buch »Killers of the Flower Moon«, das Martin Scorsese nun episch verfilmt hat, die Osage hätten Anfang der 1920er Jahre über das höchste Pro-Kopf-Einkommen weltweit verfügt. Als Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) zu Beginn des Films aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrt, fragt er den Osage-Mann, der ihn zu seinem Onkel fährt, wem all das Land gehöre. »Uns«, sagt der Fahrer und fügt, als er Ernests ungläubigen Blick bemerkt, hinzu: »Das ist mein Land.« 

Selbstredend weckt der Reichtum der Osage unter den Weißen Neid und kriminelle Energie. Ernests Onkel William Hale (Robert De Niro) zieht hierbei alle Fäden. In der Boomtown Fairfax geschieht nichts ohne seine Zustimmung. Der »König der Osage Hills« lässt sich als jovialer Wohltäter und unverbrüchlicher Freund der Indigenen feiern, fädelt aber zugleich lukrative Hochzeiten ein und trägt Sorge dafür, dass die Ehefrauen ein früher Tod ereilt.

Granns Vorlage trägt den Untertitel »The Osage Murders and the Birth of the FBI« und schildert die Ereignisse weitgehend aus der Sicht der Ermittler, die die rätselhaften ­Todesfälle aufklären sollen. Das Drehbuch von Scorsese und Eric Roth hingegen macht sich die Perspektive der Täter und der Opfer zu eigen. Das System des Verbrechens muss nicht aufgedeckt werden – der federführende FBI-Agent Tom White (Jesse Plemons) tritt erst im letzten Drittel auf den Plan –, sondern es ist von vornherein klar, wer die Morde in wessen Auftrag begeht. Daraus entsteht eine andere, mulmigere Spannung: Es handelt sich um intime Verbrechen, die Morde werden innerhalb der Familie be­gangen. 

Auf Geheiß seines Onkels heiratet Ernest die Osage-Frau Mollie (Lily Gladstone). Er tut es aber auch aus Liebe. Die schöne, reservierte, zu sanftem Spott fähige Frau fasziniert ihn; er muss sie erst umwerben. Gladstone verleiht ihrer Rolle eine ungewohnte Körperlichkeit, in der die Gebräuche und Traditionen ihres Stammes zum Vorschein kommen: Sie hüllt sich in kunstvoll gewobene Decken, trägt bei der Hochzeit eine Uniform. Ihre Ehe ist erotisch keineswegs reizarm, eine Gemeinschaft aus Wärme und Respekt könnte sich entwickeln. Aber sie wird verraten, denn Ernest soll dem Insulin, das seine an Diabetes erkrankte Frau nimmt, Gift beimischen.

Scorsese nimmt sich viel Zeit für diesen Loyalitätskonflikt; im Kern handelt sein Film von Schizophrenie. Sie hat das gesamte Gemeinwesen ergriffen, das seinen latenten Rassismus mit nachbarschaftlicher Koexistenz vermählt. Der Film wirft Schlaglichter auf eine alltägliche Infamie: Die vermögenden Osage-People sind unter Vormundschaft gestellt, weil die Behörden sie nicht für kompetent halten, mit ihrem Reichtum umzugehen; bei einer Parade marschiert der Ku-Klux-Klan unbeanstandet mit; die Obduktion von Mollies Schwester Anne wird pietätlos in der Öffentlichkeit vorgenommen. 

Scorsese inszeniert die Niedertracht mit verzweifelter Nüchternheit. Das Rauschhafte, das in seinen Gangsterfilmen einem Rhythmus von Gier, Versprechen und Erfüllung folgt, stellt sich diesmal erst ein, als das FBI einschreitet. Das korrupte Gemeinwesen soll in einer Kaskade der Verhaftungen und Geständnisse gereinigt werden. Folgt am Ende daraus eine Katharsis der Einsicht und Reue? Heute ist Fairfax eine Geisterstadt, in der die Nachkommen der Täter und Opfer als Nachbarn zusammenleben.

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