Buch-Tipp: Charlie Kaufman – Ameisig

Charlie Kaufman: Ameisig
Kritik der Kritiker

Als der Trashregisseur Uwe Boll im Jahr 2006 einige Filmjournalisten zu einem Boxkampf herausforderte und sie dann dank seiner vorherigen Kampferfahrung allesamt niederstreckte, stellte das eine extreme Eskalation des schon immer gespannten Künstler-Kritiker-Verhältnisses dar. Deutlich subtiler nahm Josef Hader in seinem Regiedebüt »Wilde Maus« die Figur des Kritikers aufs Korn: Mit Gusto spielt der Komiker dort einen versnobbten Musikjournalisten, dessen Leben langsam vor die Hunde geht. Der Filmemacher Charlie Kaufman hat nun mit seinem Debütroman »Ameisig« ein Buch geschrieben, das irgendwo zwischen Boll und Haders Herangehensweise verortet ist: Kaufman schlüpft hier ebenfalls per Ichperspektive in die Rolle eines selbstgefälligen (Film-)Kritikers und holt zum literarischen Knock-out gegen seinen blasierten Protagonisten aus. Dabei persifliert er gekonnt die Profession als solche, die Filmwelt im Allgemeinen und nicht zuletzt auch sich selbst. 

Im Mittelpunkt der surrealen, tief ironischen Erzählung steht der gescheiterte Autor B. Rosenberger Rosenberg, eindeutig einer jener tragischen, arroganten Neurotiker, die sich auch in Kaufmans Drehbüchern tummeln – man denke etwa an John Cusacks depressiven Puppenspieler in »Being John Malkovich« – und die wohl zu nicht geringem Teil auch als Selbstbildnis zu verstehen sind. Wir begegnen Rosenberg in Florida, wo er durch Zufall einen verborgenen filmhistorischen Schatz aufspürt. Es handelt sich um den unbetitelten Animationsfilm des mysteriösen afroamerikanischen Regisseurs Ingo Cutbirth, der sein Meisterwerk zuvor noch keiner Menschenseele zugängig gemacht hat. Der Haken an der Sache: Der Film ist drei Monate lang und soll, so die Auflage des Regisseurs, nach Cutbirths Tod zerstört werden. Am Tag sieben der Erstvorführung stirbt der hochbetagte Filmemacher. Rosenberg wähnt sich schon als Max Brod zu Cutbirths Kafka und plant, entgegen dem letzten Wunsch des Künstlers, mit der Wiederentdeckung des Films seine Karriere zu beleben. 

»Ameisig« ist ein humoristisches Meisterstück, das Kaufman-Fans mit seiner trockenen Absurdität begeistern wird. Vor allem die satirischen Attacken auf die prätentiösen Macken des Filmkritikers lassen stellenweise laut auflachen: Eine Passage, in der Rosenberg seine bizarre Methode der kritischen Filmsichtung darlegt – jeden Film siebenmal, davon einmal rückwärts und einmal auf dem Kopf stehend sichten – ist ein perfektes Beispiel für Kaufmans abseitigen Witz. Ebenso gelungen sind die expressionistischen Beschreibungen von Cutbirths überlangem Film. Hier kommt Kaufmans Talent als Drehbuchautor voll zur Geltung, spielt sich der aufwendige Puppenfilm (der an Kaufmans eigenen Film »Anomalisa« erinnert) doch unweigerlich vor dem inneren Auge ab. Eher schwach sind die leider zu zahlreichen Szenen, in denen sich der Autor aus der Filmwelt herauswagt und sich mit Brachialhumor an Political Correctness und Identitätspolitik abarbeitet. Sie verleihen dem ansonsten herrlich kauzigen Witz teils einen unglücklichen Drall ins Stammtischhafte. 

 

 

Charlie Kaufman: Ameisig. Carl Hanser, München 2021. 864 S., 34 €.

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