Kritik zu Global Family

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Apropos Familienzusammenführung: Die Dokumentarfilmer Melanie Andernach und Andreas Köhler geben mit ihrer Langzeitbeobachtung einer somalischen Familie dem heiß debattierten Thema ein lebendiges Gesicht

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Ibrahim Shaash war in seiner somalischen Heimat einst ein Fußballstar, später ging er in die Politik. Dann kamen Umsturz, Krieg – und die Flucht mit zwei kleinen Kindern über Äthiopien und Libyen bis nach Deutschland. Dort lebt er jetzt mit den beiden erwachsenen Töchtern und vielen Enkeln in einem Reihenhäuschen in Bonn. Sein Bruder Aden hat in Mailand bei einem Freund Unterschlupf bekommen. Arbeit aber kann er dort schon seit Jahren nicht mehr finden. Und weil er auch mit der europäischen Lebensart nicht zurechtkommt, wünscht er sich nach Djibouti zurück, wo er erfolgreicher Musiker war. Der dritte Bruder der Shaashs, Abdulahi, ist in Addis Abeba bei der mittlerweile 90-jährigen Mutter Imra geblieben. In den Gräueln und Wirren des Bürgerkriegs hat er es zu nichts gebracht und ist der Khat-Droge verfallen. Geld für den Unterhalt von Abdulahi und Imra kommt von der Familie aus aller Welt, praktische Hilfe von einer 17-jährigen Enkelin, die selbst vom Auswandern nach Kanada träumt.

Die Kölner Filmschaffenden Melanie Andernach und Andreas Köhler haben das Leben der Familie Shaash seit vielen Jahren mit und ohne Kamera begleitet. Ihr Film verdichtet die Situation der ­Familie in einer Phase der Zuspitzung, die zur Klärung drängt. So fühlt sich die alte Mutter von Abdulahi nicht mehr gut betreut, redet sogar von »Übergriffigkeiten«. Adens Idee, sie nach Italien zu holen, scheitert an seiner eigenen prekären Situation. Und auch Ibrahim kann die von den Ämtern für ein Einreisevisum geforderten Sicherheiten nicht liefern. Um sich ein Bild vor Ort zu machen, reist Ibrahim mit Tochter Yasmin und deren Kindern nach Addis Abeba. Für Yasmin ist es das erste Wiedersehen mit ihrer Großmutter und dem Geburtsland seit dreißig Jahren. Für die Enkel ist es der erste Kontakt ­überhaupt mit den familiären Wurzeln, der besonders für die beiden markenbewussten prä-pubertären Mädchen unter ihnen einen echten Kulturschock auslöst. Und der alten Frau wiederum versetzt es einen schweren Schlag, dass ihr einst so erfolgreicher Sohn Ibrahim ihr eingesteht, dass er in Armut und Abhängigkeit von fremden Institutionen lebt. Dazu kommen die üblichen Rangeleien unter Brüdern, die in einer beeindruckend dicht mit der Kamera eingefangenen dramatischen Szene kulminieren.

Auch sonst ist die Kameraarbeit von Andreas Köhler aufmerksam, aber nicht aufdringlich. Die Montage setzt beobachtende Situationen kommentarlos neben und über reflektierende Interview-Sequenzen und lässt dabei Widersprüche zwischen einzelnen Situationen und Unklarheiten großzügig zu. »Global Family« stellt eine Momentaufnahme einer Familie in einer existenziellen Krise dar, aber selbstverständlich auch ein Statement zur Praxis der »Familienzusammenführung«, bei der die Gewichte zwischen Ökonomie und Emotion sehr einseitig verteilt sind. Schade nur, dass neben dem scharfen Fokus auf die Menschen den unterschiedlichen Räumen nicht mehr Aufmerksamkeit ­gewidmet wurde.

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