Around the World in 14 Films

2.-11. Dezember 2021, Berlin
»One Second« (2020). © Huanxi Media Group Dong Ping

»One Second« (2020). © Huanxi Media Group Dong Ping

Endlich zu sehen: Zhang Yimous »One Second« erlebte beim Berliner Festival »Around the World in 14 Films« seine Deutschlandpremiere

Der Anfang sieht nach einem epischen Werk aus. Ein Mann kämpft sich durch schier endlose Sanddünen bei heftigem Wind vorwärts. Doch er kommt zu spät zur Vorführung des Films »Our heroic sons and daughters«, die Menschen strömen gerade aus dem Kinosaal. Am nächsten Tag könne er den Film in einer anderen kleinen Stadt sehen, erfährt er. Doch kurz darauf wird er Zeuge, wie jemand eine der Filmbüchsen aus dem Postsack des Motorrades entwendet – der Auftakt zu einer Verfolgungsjagd, bei der zwei unterschiedliche Charaktere aneinandergeraten, sich dann aber näherkommen, eine junge Herumtreiberin mit bemerkenswerter kleinkrimineller Energie und ein Mann, der aus einem Arbeitslager geflohen ist (wir schreiben die Zeiten von Maos 'Kulturrevolution') und hofft, in dem Film seine Tochter wiedersehen zu können, die gerade  8 Jahre alt war, als man ihn festnahm.

2020 sollte Zhang Yimous Film »One Second« im Rahmen des Berlinale-Wettbewerbs seine Weltpremiere feiern. Doch die fiel ins Wasser, mit der offiziellen Begründung von chinesischer Seite, die Kopie wäre noch nicht fertig – was doch sehr nach einem Akt der Zensur aussah. Auch in der Pandemie gab es genügend neue Filme, so dass man diesen bald vergessen hatte, umso erstaunter war man, als er im Herbst dann bei verschiedenen internationalen Festivals gezeigt wurde, u.a. in Toronto, San Sebastian und Zürich. Seine deutsche Premiere erlebte er nun im Rahmen des Berliner Festivals »Around the World in 14 Films«: Wer den Film bisher nicht bei einem Festival sehen konnte: er soll demnächst bei dem Streaminganbieter MUBI verfügbar sein.

Ähnlich wie die Viennale und das London Film Fest, wenn auch natürlich in kleinerem Rahmen (und inzwischen mit dem ähnlich orientierten 'Favourites Film Festival' eine Konkurrenz bekommen hat) ist auch »Around the World in 14 Films« als ein Festival of Festivals konzipiert. Da der Gründer und Co-Direktor Bernhard Karl auch zum Auswahlgremium des Filmfests München gehört, bekommt man hier unter anderem eine Reihe von Filmen, die dort ihre deutsche Premiere hatten, zu sehen, oft solche, die ihre Weltpremiere in Cannes hatten. Dass Cannes jedoch 2021 einige Monate später stattfand und München mit einem eingeschränkten Filmangebot auskommen musste, war dem Berliner Programm nicht anzumerken, statt in München hatten viele der diesjährigen Beiträge ihre deutsche Erstaufführung beim Filmfest Hamburg gehabt, nach Weltpremieren in Cannes, Locarno und Venedig. Die sechzehnte Ausgabe (nach einer pandemiebedingten Pause 2020) war vom Umfang her nicht reduziert, bot neben den 14 titelgebenden Werken noch ebenso viele weitere Vorführungen, darunter Filme, die vom World Cinema Fund der Berlinale gefördert wurden oder, als Hommage, vier neue Filme renommierter Regisseure. Im Programm befanden sich wie immer nicht wenige für den 'Oscar' als bester nicht-englischsprachiger Film nominierte Arbeiten. Als weitere Deutschland-Premieren neben Zhang Yimous Film liefen der Lockdown-Film »The Tsugua Diaries« von Maureen Fazendeiro und Miguel Gomes, sowie Joanna Hoggs »The Souvenir Part II«. Letzterer wurde von der renommierten britischen Filmzeitschrift »Sight and Sound« mittlerweile zum Film des Jahres gekürt – ist bisher aber immer noch ohne deutschen Verleih, ebenso wie sein Vorgänger, der 2019 im Berlinale-Wettbewerb zu sehen war.

 Auf dem Programm standen Filme, die mittlerweile ins Kino gekommen sind, wie »Drive my Car« und »Niemand ist bei den Kälbern«, solche, deren Kinostart angekündigt und teilweise verschoben wurde, aber auch einer, der trotz eines deutschen Koprozudenten bisher in der Startliste nicht auftaucht, der Locarno-Gewinner »Rache ist mein, alle anderen zahlen bar«. Das macht ihre Festivalaufführungen umso wichtiger, weiß man doch nicht, ob die Kinos trotz 2G+ Regeln irgendwann in Anbetracht steigender Inzidenzen wieder dicht machen müssen.

Eine Besonderheit von »Around the World in 14 Films« ist die Vorstellung der einzelnen Filme durch »Paten« – Filmschaffende, die eine Einführung geben. Das hat den höchsten Mehrwert für den Zuschauer, wenn der Pate eine besondere Beziehung zu dem Film herstellen oder aus eigener Erfahrung schöpfen kann – so etwa Wim Wenders, der 2017 vor der Vorführung von »Lucky«, dem letzten Film mit Harry Dean Stanton, seinem Hauptdarsteller aus »Paris, Texas«, sprach (anzusehen auf der deutschen DVD-Veröffentlichung).

Verständlicherweise waren weniger Gäste vor Ort, immerhin war zum Eröffnungsfilm, Joachim Triers »The Worst Person in the World«, die in Cannes ausgezeichnete Hauptdarstellerin Renate Reinsve anwesend, kurzfristige Absagen kamen u.a. von der Venedig-Preisträgerin Audrey Diwan und ihrer Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei, sowie von der »Parallele Mütter«-Darstellerin Milena Smit.

Mit 5300 Besuchern in 70 Vorstellungen konnte das Festival an die Besucherzahl von 2019 (5850) anknüpfen, vermutlich auch wegen der erstmaligen Erweiterung auf drei Kinos: zusätzlich zum Stammkino seit mehreren Jahren, der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg, liefen Teile des Programms diesmal auch im Neuköllner Off und im am Bahnhof Zoo gelegenen Delphi Lux. Eingespart hatte man leider das gedruckte Programm, das nur digital verfügbar war – was immerhin mehr war als die Berlinale im vergangenen Jahr bot.

Den mit 5000 € dotierten Preis verlieh eine Jury an »Hit the Road« von Panah Panahi, Sohn von Jafar Panahi (deutsche Premiere beim Filmfest Hamburg), ein Roadmovie um eine sich ständig streitende Familie, in dessen Hintergrund auch Kritik an den gegenwärtigen Verhältnissen im Land deutlich wird.

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