Kritik zu Paulista – Geschichten aus São Paulo

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Die brasilianische Großstadt bildet in Roberto Moreiras Film mehr als nur die Kulisse für einen Reigen mehr oder weniger glücklich verlaufender Begegnungen mit ihrer ganz eigenen Spannung und Atmosphäre ist sie der wichtigste Nebendarsteller

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Die junge Schauspielerin Marina (Sílvia Lourenço) will sich nicht länger damit zufriedengeben, das Rotkäppchen im Kindertheater des Provinznests zu spielen, in dem sie aufgewachsenen ist. Sie hat sich einen Vorsprechtermin an einem Theater in der Großstadt São Paulo ergattert, und nun hofft sie, eine Rolle in einer »Onkel Wanja«-Inszenierung ergattern zu können. Hoffnungsfroh und denkbar wenig melancholisch verabschiedet sie sich von ihrem Freund, der eben noch den bösen Wolf im »Rotkäppchen«- Stück gespielt hat. Der Zuschauer ahnt da schon, dass es diese alte Liebe schwer haben wird gegen all das Neue, das auf Marina in São Paulo zukommt. »Hier passiert alles so schnell«, sagt sie denn auch nur vage, als der Freund wenige Zeit später wissen will, warum sie sich denn gar nicht mehr melde.

Dreierlei Liebesgeschichten schildert der brasilianische Regisseur Roberto Moreira in seinem Film, in dem als wichtigster Nebendarsteller die Stadt São Paulo selbst erscheint. Wenn Marina vom Balkon des Hochhauses, in dem sie eine Wohnung mit Suzana (Maria Clara Spinelli) teilt, hinunter in das Asphalt-, Beton- und Lichtermeer blickt, kann man die Stadt förmlich riechen: ihr benzinträchtiger Duft nach urbaner Anonymität und vielfältigen Kontaktmöglichkeiten.

Auf dem Hof lernt Marina denn auch bald ihren Nachbarn Jay (Fábio Herford) kennen, der sie abends in eine Bar mitnimmt, wo sie auf die Punksängerin und -poetin Justine (Danni Carlos) trifft. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Wobei sich bald herausstellt, dass damit eigentlich gar nichts klar ist, gibt es doch noch Justines Manager Nuno (Paulo Vilhena), der die beiden Frauen nicht aus dem Auge lassen will.

Jay dagegen, ein nicht sehr erfolgreicher Schriftsteller, hat schon länger sein Herz an die Prostituierte Michelle (Leilah Moreno) verloren. Das bedeutet für ihn, dass er für die gemeinsam verbrachte Zeit nicht mehr zahlen möchte, weil er ihre Beziehung anders definiert. Womit er bei ihr alles andere als gut ankommt, da hilft auch ein Freiexemplar seines einzigen veröffentlichten Romans nichts.

Der dritten Liebesgeschichte in Moreiras Film traut man als Zuschauer zunächst das glücklichste Ende zu. In ihr lässt sich Suzana, die als Rechtsanwältin arbeitet, auf die zunächst schüchternen Annäherungsversuche ihres Kollegen Gil (Gustavo Machado) ein. Sie passen bestens zueinander. Nur gibt es da leider etwas in Suzanas Vergangenheit, das sie ihrem Liebhaber nicht verschweigen will. Die Wendung, die Suzanas und Gils Beziehung daraufhin nimmt, trifft den Zuschauer fast so sehr wie die beiden Liebenden – was vor allem dem eindrücklichen Spiel von Maria Clara Spinelli zu verdanken ist.

Am Ende steht erneut der Blick auf die Stadt und ihre Lichter. São Paulo mag in Moreiras Sicht nicht die Stadt der glücklichen Liebe sein, sie bleibt aber die Stadt der unendlichen Möglichkeiten. Besonders auch fürs Filmemachen.

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