Kritik zu I Origins – Im Auge des Ursprungs

Trailer deutsch © 20th Century Fox

Wie in seinem Erstling Another Earth geht der Amerikaner Mike Cahill auch hier der Frage nach, ob es da draußen nicht noch etwas anderes gibt

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4 (Stimmen: 2)

Mike Cahill, so viel lässt sich bereits nach seinem zweiten Spielfilm sagen, beherrscht die Kunst, Widersprüche aufzulösen. Sein Kino kombiniert Themen und Genres, die auf den ersten Blick nicht kompatibel erscheinen, und verarbeitet sie zu kühnen Visionen, die sich anders anfühlen als alles, was das amerikanische Independentkino sonst hervorbringt. Cahills Filme sind kühl und leidenschaftlich zugleich, wissenschaftlich und esoterisch, melancholisch und hoffnungsvoll. Vordergründig erzählen sie von individuellen Schicksalen, dahinter aber geht es ihnen – frei von Kitsch und Pathos – um die existenziellen Fragen des menschlichen Seins.

In Another Earth verband Cahill vor drei Jahren eine Geschichte über Schuld und Erlösung mit quantentheoretischer Science-Fiction. Verblüffend daran war, wie selbstverständlich das Fantastische in unsere Alltagswelt einzog, wie »normal« es wirkte, eine zweite Erde am Himmel stehen zu sehen. Mit einem überraschenden Doppeltwist-Finale schaffte es Cahill, die beiden Ebenen schlüssig zu vereinen, und fand dabei die genau richtige Balance zwischen Andeutung und Auflösung.

Ähnliches lässt sich über I Origins sagen, in dem es nun um den Widerstreit zwischen Rationalität und Schicksalsgläubigkeit geht. Der Molekularbiologe Ian (Michael Pitt) konzentriert sich bei seiner Arbeit darauf, die letzten offenen Fragen der Evolution zu beantworten. Er ist ein sachlicher Forschertyp, Darwinist, Atheist – und Nerd. Das Model ­Sofi (Astrid Bergès-Frisbey) dagegen lässt sich eher durchs Leben treiben, ist ein sinnliches, verspieltes, abergläubisches Geschöpf, fest überzeugt von Vorherbestimmung und Wiedergeburt. Gegensätzlicher könnte ein Paar also kaum sein, trotzdem gelingt es Cahill, weder die Begegnung der beiden noch die sich daraus entwickelnde Liebesgeschichte künstlich oder klischeehaft zu zeichnen.

Sein Trick besteht darin, die unterschiedlichen Motive der Story kunstvoll und beiläufig miteinander zu verzahnen. Ian ist auf Augen fixiert: Mit seiner Arbeit will er beweisen, dass sie sich evolutionär entwickelt haben und nicht, wie es die Kreationisten behaupten, das Ergebnis eines einmaligen Schöpfungsakts sind. Nebenbei fotografiert er Augen, wann immer sie ihm vor die Linse seiner Spiegelreflexkamera kommen: Kein Augenpaar sehe aus wie ein anderes; die Augen seien so individuell wie Fingerabdrücke. Als Ian Sofi bei einer Kostümparty zum ersten Mal sieht, sieht (und fotografiert) er nur ihre Augen. Wenig später verliert er die junge Frau wieder, ohne sie nach Namen oder Telefonnummer gefragt zu haben. Und doch gelingt es ihm, sie mit einer Mischung aus Glück und wissenschaftlich-kriminalistischem Spürsinn wiederzufinden.

Schon da fragt der Film unauffällig nach der Grenze zwischen Zufall und Schicksal, um nur wenig später die andere große Frage hinterherzuschicken, ob nämlich die Augen nicht eigentlich die Fenster zur Seele sind. Daraus ergeben sich hübsche Streitgespräche zwischen Sofi und Ian, in denen der Wissenschaftler stets die besseren Argumente auf seiner Seite weiß. Gleichwohl wird spürbar, dass es in I Origins nicht nur um die Ursprünge des Auges geht, sondern mehr noch um die des »Ich«. Woher kommen wir, wohin gehen wir – darunter macht es Cahill diesmal nicht. (Den deutschen Zusatztitel kann man in diesem Kontext übrigens nur als idiotisch bezeichnen.)

Faszinierend ist, dass Cahills Skript eine Achterbahnfahrt quer durch Genres und Stimmungen veranstaltet, ohne dabei den großen dramaturgischen Bogen aus den Augen zu verlieren. Was wie ein nüchternes Wissenschaftsdrama beginnt, entwickelt sich zur fantasievollen Amour fou, um plötzlich von einem tragischen Zufall zerrissen zu werden. Erst danach, wenn Ian mit seiner Assistentin Karen (Brit Marling) ein neues Leben beginnt, fügen sich alle Einzelteile zu einem markerschütternden Ganzen.

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