Kritik zu Ein Glücksfall

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Mit einer tragikomischen Geschichte um Liebe, Verbrechen und Schicksal läuft ­Woody Allen noch einmal zu Hochform auf

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In Venedig sagte Woody Allen anlässlich der Premiere von »Ein Glücksfall«, dass dies möglicherweise seine letzte Regiearbeit sei. Um es gleich vorwegzunehmen: Es wäre ein runder Abschluss seiner Karriere, geschrieben und inszeniert mit der souveränen Nonchalance eines Mannes, der nichts mehr beweisen will. »Altmeisterlich« könnte man sagen, wenn das nicht viel zu gravitätisch klänge für diese bei aller Morbidität so leichtfüßige kleine Erzählung.

»Coup de chance«, so der Originaltitel, spielt in Paris, dessen romantischen Charme der Kameramann Vittorio Storaro mit Beiläufigkeit einfängt. Die Besetzung besteht ausschließlich aus französischen Schauspielern, gedreht wurde folgerichtig in französischer Sprache. Diese Sprachbarriere scheint Woody Allen beflügelt zu haben, die Dialoge sind von bemerkenswerter Lebendigkeit, die Schauspieler ausnahmslos exzellent.

Im Zentrum der Geschichte steht Fanny (Lou de Laâge), die für ein Pariser Auktionshaus arbeitet und mit dem etwas undurchsichtigen Geschäftsmann Jean (Melvil Poupaud) verheiratet ist – ein »Power Couple« wie aus dem Bilderbuch. Doch gleich in der ersten Szene läuft Fanny einem alten Studienfreund über den Weg: Alain (Niels Schneider), ein mäßig erfolgreicher Schriftsteller mit charmantem Schlabbersakko, erzählt Fanny ohne Umschweife, dass er sie schon an der Uni aus der Ferne anhimmelte. Auch sonst erinnert er sie an ihr einstiges Bohème-Leben, und es kommt, wie es kommen muss: Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre. Natürlich riecht der smarte Jean sehr schnell den Braten und schmiedet einen Plan, um seine Ehe zu retten.

Die weitere Geschichte ist durchaus vorhersehbar, doch es geht weniger um das, was passiert, als vielmehr um das Wie und das Warum. Ganz unangestrengt läuft Woody Allen hier zu großer Form auf. Da ist das großbürgerliche, sich mit Kunst und Kultiviertheit schmückende Milieu, von Allen altersmilde belächelt, aber nicht verachtet; da ist ein vermeintlich perfektes Verbrechen, dessen Mechanismen sich auf unvorhersehbare Weise verselbstständigen; und da sind die Szenen einer Ehe und einer Untreue, in denen Allen so pointiert wie selten den Dualismus von Ratio und Romantik verhandelt.

Auch sonst greift »Coup de chance« wiederkehrende Allen-Themen wie Bohème und Bürgerlichkeit und den Widerstreit von Berechnung und Zufall auf, kontrastiert romantische Fluchten und kühl kalkulierte Pläne. Als moralisch-gesellschaftliche Reflexion lässt »Coup de chance« sich leicht in eine Reihe mit »Match Point«, »Irrational Man« und »Verbrechen und andere Kleinigkeiten« stellen. Kam in Letzterem ein Mann mit einem Mord davon (ebenfalls um seine »Ehe zu retten«), rückt Allen in »Coup de chance« solch pervertierte Morallogik mit schlitzohrigem Fatalismus zurecht.

Es gehört zu den schönen Doppelbödigkeiten des Drehbuchs, dass Fannys Ehemann zum einen vollkommen moralbefreit ist, zum anderen auf verkitschte Weise romantisch. Umgekehrt wirkt der Schriftsteller Alain freigeistig und zugleich einen Hauch prätentiös. Er ist zweifellos das dezente ­Alter Ego des jungen Woody Allen, abzüglich der nervigen Neurosen, während Fannys linkische wie scharfsinnige Mutter (Valérie Lemercier) unschwer als weibliche Version des älteren Allen erkennbar ist. Allein diese filmische Dopplung seiner selbst ist ein wunderbarer Coup. Als großer Vorteil erweist sich dabei die französische Besetzung, sie verleiht der Komik eine »Unschuld«, wo ein amerikanisches Star-Ensemble artifiziell gewirkt hätte. Gerade der Spielort und die Darsteller geben »Coup de chance« jene Mischung aus Intellekt und Leichtigkeit, die Woody Allens beste Filme kennzeichnet – ein bisschen Boulevard, ein bisschen Philosophie. Dass dieser »Glücksfall« sein letzter Film sein soll, möchte man nicht hoffen.

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