Kritik zu Civil War

© DCM

2024
Original-Titel: 
Civil War
Filmstart in Deutschland: 
18.04.2024
V: 
L: 
109 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Alex Garlands dystopische Vision eines Amerika im Bürgerkrieg stellt das Dilemma der Kriegsfotografie ins Zentrum: Draufhalten oder Eingreifen?

Bewertung: 4
Leserbewertung
2
2 (Stimmen: 1)

Ein Film, der im Jahr 2024 die Fiktion eines zweiten amerikanischen Bürgerkriegs auf die Leinwand bringt, hat es nicht auf reines Entertainment abgesehen. Wie heikel das Thema ist, wurde deutlich, als der erste Trailer zu Alex Garlands »Civil War« erschien. Viele Stimmen drückten Sorge darüber aus, dass der Film zu nah an der Wirklichkeit sei und die starke Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft durch martialische Bilder noch zusätzlich befeuern würde. Andere nahmen Anstoß daran, dass in der Prämisse des Films sich das »blaue« Kalifornien und das »rote« Texas als »Western Forces« zusammentun, um gegen einen Präsidenten in Washington zu marschieren. Das sei doch völlig unrealistisch. Ob der britische Regisseur und Autor, der hier ein eigenes Drehbuch verfilmt, denn gar nichts von den USA verstünde?

Im Film nun wird klar, dass die Prämisse der »Western Forces« eine eigene Absicht verfolgt. Sie umgeht den »Red States vs Blue States«-Gegensatz und bewahrt den Film vor der Anklage einer Parteinahme. Wo und wie alles begann, lässt Garland außen vor. Er kappt sozusagen die unmittelbare Verbindung zum Hier und Heute – um seine Vision einer nahen Zukunft umso eindrücklicher wirken zu lassen.

Äußerlich ist zunächst gar nicht so viel anders. Die ersten Szenen zeigen ein New York, in dem der Verkehr nicht wie üblich fließt. Auffallend viele Fahrradfahrer sind unterwegs, anderswo stehen Autos wie nach einer Karambolage. Dazu gibt es Aufnahmen aus dem Weißen Haus, wo Nick Offerman als Präsident eine Rede übt, in der er etwas vom »überwältigenden Sieg« erzählen will. In New York kommt es zum Tumult um einen Wagen mit Wasservorräten. Plötzlich explodiert eine Bombe. Lee Smith (Kirsten Dunst) ist sofort mit ihrem Fotoapparat dabei. Kurz vorher hat sie noch eine junge Frau vor einer Dummheit bewahrt. Es stellt sich heraus, dass diese Jessie (Cailee Spaeny) ein Fan der Kriegsfotografin Lee ist und selbst Ambitionen hat. Wie ehrgeizig sie sie verfolgt, zeigt sich am nächsten Tag, als ihr gelungen ist, sich bei Lees Kollegen, dem Reuters-Reporter Joel (Wagner Moura), so einzuschmeicheln, dass er sie auf den gefährlichen Trip mitnimmt, den er zusammen mit Lee plant. Sie wollen nach Washington, um den Präsidenten zu interviewen. In der Hauptstadt würde man Journalisten erschießen, wandte »New York Times«-Kollege Sammy (Stephen McKinley Henderson) ein. Aber dann sitzt er mit im Minibus.

Die vier verkörpern verschiedene Seiten des Journalismus, jung und alt, seriös und sensationsgierig, Foto und Text, aber angesichts der Realität, die sie auf ihrer Fahrt durch ein Amerika im Bürgerkrieg antreffen, spielen die Gegensätze keine Rolle mehr. Was für sich genommen schon den Niedergang der Gesellschaft zeigt. Die längste Zeit ist »Civil War« ein Roadmovie, bei dem wie im Genre üblich die einzelnen Begegnungen das Stimmungsmosaik des Landes bilden. Garland gelingen großartige Szenen und Schnappschüsse, die in der Gegenwart das Vergangene aufscheinen lassen, genauso wie die mythischen Selbsterzählungen, die Amerika ausmachen. Er versetzt nicht nur Kriegsszenen, wie wir sie etwa aus der Ukraine kennenlernen mussten, in amerikanische Umgebungen, seine Skizzen sind spezifisch – und erschrecken umso mehr. Dabei inszeniert er nicht nur Horror. Zwischen Leichen, die von Autobahnbrücken hängen, und Tankstellenbesitzern, die im Hinterhof Plünderer foltern, stoßen die Journalisten auch auf hippieskes, improvisiertes Zusammenleben oder auch auf ein Kleinstädtchen, wo wie durch ein Wunder die Welt noch in Ordnung scheint. Bis sie die patrouillierenden Scharfschützen auf den Dächern entdecken.

Bei alledem steht Kirsten Dunst im Zentrum. Sie stellt den erschöpften Weltüberdruss mit jeder Faser ihres Körpers dar. Sie spricht nie viel, aber ihrem müden Blick sieht man alles an: Wie viel Verbrechen diese Frau bezeugen kann, wie illusionslos sie darüber ist, was Menschen einander antun. Und das ohnmächtige Schuldgefühl, die Aufnahmen von diesen Taten mit eigener Untätigkeit erkauft zu haben. Denn das muss Anfängerin Jessie noch lernen: dass die Fotografen nie eingreifen, sondern immer nur dokumentieren. Selbst dann, wenn man nicht mehr weiß, für wen, weil sich die Zivilisation gerade auflöst.

Meinung zum Thema

Kommentare

Das Wort werde ich jetzt bestimmt häufiger nutzen.
Gerade für Roadmovies eine perfekte Beschreibung l der einzelnen Etappen.
Liest sich sehr geschmeidig.

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