Kritik zu The Airstrip - Aufbruch der Moderne, Teil III

© IndieLisboa

2013
Original-Titel: 
The Airstrip - Aufbruch der Moderne, Teil III
Filmstart in Deutschland: 
02.10.2014
L: 
90 Min
FSK: 
keine Beschränkung

In seinem neuen Film spürt Heinz Emigholz Verbindungslinien auf, die vom Betonkult der Moderne bis zur, so der Filmemacher, »Betonkultur des Krieges« reichen

Bewertung: 4
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Im dritten Teil der Reihe »Aufbruch der Moderne« innerhalb seines Werkzyklus »Photographie und jenseits« bricht Heinz Emigholz mit einigen liebgewonnen Prinzipien. Vor allem auf der Tonebene ist der nach dem Tod von Harun Farocki letzte bedeutende Bilderanalytiker des deutschen Kinos von der strengen Methodik seiner Film­essays abgerückt. In The Airstrip verleihen sporadische Voiceover-Kommentare seiner formalistischen Architekturkritik eine pointierte Polemik. An einigen Stellen des Films ist sogar Musik zu hören: eine Kooperation mit der Düsseldorfer Band Kreidler, deren krautrockige Rhythmen offen genug angelegt sind, um die konzentrierte Montage nicht zu überwältigen.

Im Gegenteil war Emigholz nie funkiger. Auf dem Flughafen von Montevideo fliegen plötzlich ein paar Koteletts durchs Bild, Ausschnitte aus Werbeprospekten von Supermärkten. Dieser ästhetische Bruch hat etwas Rustikales. Der Humor, der in seinen Architekturfilmen bisher eher latent war, wirkt wie ein Ablenkungsmanöver in einem ansonsten unversöhnlichen Film. Heinz Emigholz ist für seinen neuen Film weit gereist, um zu einem vernichtenden Urteil zu gelangen: »Die Moderne. Ein Schrottplatz für architektonische Utopien.«

Vom Mecklenburgischen Binz auf der Ostseeinsel Rügen führt sein Weg bis nach Saipan, der Hauptinsel der Nördlichen Marianen. Er folgt den Spuren der architektonischen Moderne und registriert dabei in ihren dominanten Formen einen Brutalismus, der auch sein eigenes Leben unmittelbar berührt. Die Marianen waren der Ausgangspunkt der US-amerikanischen Pazifikoffensive gegen die Japaner, von hier aus starteten am 9. August 1945 die Jagdbomber »Enola Gay« und »Bockscar«, um ihre tödlichen Ladungen über Hiroshima und Nagasaki abzuwerfen. Die Betonbunker, in denen die Atombomben lagerten, fungieren heute als Gedenkstätten. Am Strand von Saipan starben Tausende US-Soldaten auch dafür, dass Heinz Emigholz in einer freieren Welt aufwachsen durfte. Eine gewisse Re­signation wohnt seinen nüchternen Beobachtungen dennoch inne. »Als der Kapitalismus noch die Unschuld spielte und Filmsets für kollektive Träume baute«, merkt er zu Carl Schmanns’ Jugendstilwarenhaus in Görlitz an. Einen Exkurs durch das kanariengelbe Stadion La Bombonera in Buenos Aires, Spielstätte des Kultvereins Boca Juniors, beschließt er mit einem Hinweis auf dessen Rolle unter der Militärjunta.

So durchkreuzen die Koteletts mit ihrem Lufttänzchen gewissermaßen die vertikalen und horizontalen Argumentationslinien von Emigholz: Die vertikalen sind symbolisiert in der titelgebenden Landepiste, als Ausdruck von Gewalt und Zerstörung, die horizontalen in der Chronizität einer Spurensuche, die zurückreicht bis zum Pantheon im antiken Rom. The Airstrip ist nur auf den ersten Blick eine Abkehr von Emigholz’ Arbeitsweise.

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