Streaming-Tipp: »Carnival Row«

»Carnival Row« (Serie, 2019). © Amazon Inc.

»Carnival Row« (Serie, 2019). © Amazon Inc.

Die richtigen Metaphern

Eine bessere Werbung hätte sich Amazon für seine neue Fantasyserie ­»Carnival Row« kaum wünschen können. Als die Macher die Serie im Juli auf der Comic-Con in San Diego vorstellten, erzählte Hauptdarsteller Orlando Bloom, der republikanische Bürgermeis­ter der Stadt, Kevin Faulconer, habe fluchtartig eine ­immersive Installation verlassen, in der die Besucher wie in der Serie in Menschen und Kreaturen eingeteilt und entsprechend behandelt wurden. Sie habe ihn offenbar zu sehr an die Immigrationstorturen der US-Regierung erinnert. Faulconers Sprecherin dementierte zwar tags darauf, die Schlange vor der Attraktion sei zu lang gewesen und ihr Chef habe sich anderen Präsentationen auf der Convention zugewandt, doch die News waren da schon im Umlauf. Und sie passen natürlich sehr gut zur Thematik von »Carnival Row«, das in einer viktorianischen Welt spielt, in der Menschen herrschen und Fabelwesen wie Feen, Zentauren und Trolle, von den Kriegen in ihren Heimatländern vertrieben, Zuflucht suchen und allenfalls als billige Arbeitskräfte und niedere Existenzen geduldet, meist jedoch angefeindet werden. Die Parallelen zur aktuellen Flüchtlingssituation, zum virulenten Fremdenhass und zu völkischem Denken weltweit sind überdeutlich, werden durch das historisch-fantastische Setting aber so weit verfremdet, dass sich niemand beim Binge-Watching ungemütlich etwa an Flüchtlingsboote im Mittelmeer erinnert fühlen muss.

Die aus ihrem Heimatland vertriebene Fee Vignette (Cara Delevingne) kentert mit einem Flüchtlingsschiff vor der Küste von The Burgue und überlebt wie durch ein Wunder. Sie trauert noch immer um ihre große Liebe, den Menschenmann Rycroft, den sie seit sieben Jahren tot wähnt. Als sie eine alte Freundin wiederfindet, die sich inzwischen als Dirne in einem Bordell verdingt, und von ihr erfährt, dass Rycroft lebt, sinnt sie zunächst auf Rache. Doch schon bald lassen die beiden ihre Liebe erneut aufleben, gegen alle Widerstände der intoleranten Bevölkerung.

Orlando Bloom, deutlich rauer und gereift seit »Herr der Ringe«, spielt diesen ­Rycroft Philostrate, der als Detective eine Reihe grausamer Morde an Geflüchteten in der Carnival Row aufzuklären versucht. Dabei muss er feststellen, dass die Mitmenschen gefährlich sind und das Böse sich als übernatürliche Macht erweist.

Die Story stammt von Travis Beacham, bisher vor allem als »Pacific Rim«-Autor ein Begriff, und war zeitweise als Blockbuster unter der Regie von Guillermo del Toro im Gespräch. Doch die Charaktere sind mysteriös und ambivalent, die erschaffene Welt und ihre Klassengesellschaft ist komplex genug, um auch über eine ganze Staffel hinweg interessant zu bleiben. Und neben den beiden Stars Bloom und Devingne sind auch die weiteren Rollen erstklassig besetzt, wie etwa David Gyasi als Agreus, der als wohlhabender Faun die soziale Order von The Burgue herausfordert, oder Jared Harris als machtbewusster Kanzler des Stadtstaats.

Eine Liebe zum Genre, einen gewissen Hang zu morbider Opulenz in graubraunem Monochrom und düsterer Romantik muss das Publikum schon mitbringen, um die zehn Folgen genießen zu können. Und dabei mehr als einmal ein Auge zudrücken, wenn manche Stadtpanoramen deutlich computergeneriert erscheinen und die physischen Attribute der Fabelwesen – von überdimensionalen Libellenflügeln bis zu apart gedrechselten Bockshörnern – stark an Märchenkitsch und Faschingskostümen vorbeischrammen, vom schwülstigen Feensex ganz abgesehen.

Doch die gesellschaftlichen Metaphern und relevanten politischen Bezüge zur aktuellen Weltlage machen dies durchaus wett, auch wenn »Carnival Row« weit davon entfernt ist, ein neues »Game of Thrones« zu werden.

Amazon zumindest glaubt fest daran, nun ein eigenes potenzielles Hit-Epos im Sortiment zu haben. Noch vor dem Start der ersten Staffel am 30. August wurde bereits die Fortsetzung in Auftrag gegeben.

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