Nahaufnahme von America Ferrera

Befreit America!
America Ferrera in »Dumb Money – Schnelles Geld« (2023). © Leonine Distribution

America Ferrera in »Dumb Money – Schnelles Geld« (2023). © Leonine Distribution

Sie wurde bekannt mit dem Remake einer kolumbianischen Telenovela: »Ugly Betty« – ein Pionierjob. Aber danach war America Ferrera auf das Image der modernen Frau von nebenan festgelegt. Was man daraus machen kann, hat sie in »Barbie« gezeigt. Es müsste jetzt aufwärtsgehen

Zahnspange und eine reichlich unmodische Brille, dazu eine unvorteilhafte Ponyfrisur und altbacken gemusterte Blusen – so lernte die Welt America Ferrera kennen. 2006 feierte die Serie »Ugly Betty« im US-Fernsehen Premiere, genau wie ein Jahr zuvor bereits »Verliebt in Berlin« ein Remake der kolumbianischen Telenovela »Yo soy Betty, la fea« und in der Mischung aus Comedy und Drama durchaus noch etwas Ungewöhnliches. Für die Titelrolle musste sich Ferrera, damals 22 Jahre alt, leidlich überzeugend in ein hässliches Entlein verwandeln, bekommt doch die strebsam-brave Protagonistin Betty Suarez ihren neuen Job bei einem renommierten Modemagazin nur deshalb, weil der Boss davon ausgeht, dass sein Sohn mit dieser Assistentin ausnahmsweise mal keine Affäre beginnen wird.

Für Ferrera, geboren 1984 in Los Angeles als Tochter von aus Honduras eingewanderten Eltern, war Betty keinesfalls die erste Rolle vor der Kamera. Schon zu Schulzeiten hatte sie ihre Liebe zur Schauspielerei entdeckt, und noch während des ersten College-Semesters drehte sie den ersten Film: »Echte Frauen haben Kurven«, eine Komödie von Patricia Cardoso über einen Mutter-Tochter-Konflikt und den American Dream aus migrantischer Perspektive, die unter anderem den Publikumspreis in Sundance gewann. Ferrera selbst wurde für ihre Rolle für den Independent Spirit Award nominiert – und stand wenig später neben anderen New­comerinnen wie Blake Lively und Alexis ­Bledel für den Teenie-Überraschungshit »Eine für 4« (Originaltitel: The Sisterhood of the Traveling Pants) vor der Kamera.

Der Durchbruch als Schauspielerin war also längst geschafft (und das Studium in den Fächern Theaterwissenschaften und Internationale Beziehungen vorübergehend unterbrochen – den Abschluss machte sie 2013), doch »Ugly Betty« – in Deutschland anfangs auch als »Alles Betty!« ausgestrahlt – entpuppte sich dann noch einmal als ganz andere Nummer. Zum ersten Mal überhaupt lief in den USA im frei empfangbaren Fernsehen eine wöchentliche Serie mit einer Latina-Protagonistin – und das Publikum schaltete ein, zumindest in den ersten beiden von vier Staffeln. Ferrera erhielt den Emmy ebenso wie den Golden Globe und den SAG Award, das »Time Magazine« ernannte sie zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt, und nicht nur Barack Obamas spätere Arbeitsministerin Hilda Solis feierte sie und die Serie als leuchtendes Vorbild für die Latino- und Hispanic-Community.

Ob die Tatsache, dass Ugly Betty trotzdem heute eher selten genannt wird, wenn es um die wichtigsten Serien des 21. Jahrhunderts geht, eher an der nachlassenden Drehbuchqualität der späteren Staffeln liegt oder doch an der bis heute tendenziell weißen und männlichen Prägung des Popkultur-Kanons? Darüber ließe sich trefflich diskutieren. Tatsache ist: Ähnlich wie die Serie selbst blieb auch Ferrera nach deren Ende in Hollywood eher ein Underdog. Statt – wie etwa ihre Freundin Blake Lively oder auch Shailene Woodley – an den TV-Erfolg mit Blockbuster-Engagements anzuschließen, musste sie sich in Filmen wie »End of Watch« von David Ayer oder dem Polit-Biopic »César Chávez« nicht selten mit Nebenrollen begnügen, in denen ihre lateinamerikanischen Wurzeln zum Tragen kamen. Ansonsten wirkte sie in »The Dry Land« und »X/Y« mit, den Independent-Produktionen ihres Lebensgefährten Ryan Piers Williams; den Regisseur hatte sie 2005 bei einem Studentenfilm kennengelernt, seit 2011 sind die beiden verheiratet und inzwischen Eltern zweier Kinder.

Das in »Ugly Betty« begründete Image der wenig glamourösen, dafür aber bodenständig-netten Frau von nebenan verfestigte sich schließlich mit der Sitcom »Superstore«, in der Ferrera 2015 eine der Hauptrollen übernahm. Die in der Filiale eines großen SB-Warenhauses angesiedelte Serie von Justin Spitzer war nicht nur klassische Workplace-Comedy, sondern eben auch eine Geschichte über Menschen aus der Arbeiterklasse, deren Lebensrealität hier aller satirischen Überzeichnung zum Trotz ernst genommen wurde. Ohne für allzu viele Schlagzeilen zu sorgen oder Preise abzuräumen, entwickelte sich »Superstore« zu einem unerwarteten Langläufer: Während die Quoten nie he­rausragend waren, wurden die Kritiken von Staffel zu Staffel besser. Schluss war erst 2021, ein Jahr nachdem sich Ferrera aus dem Ensemble verabschiedet hatte. Ein internationales Publikum entdeckte die Comedyserie allerdings erst aktuell in der Zweitverwertung bei Netflix für sich.

Sieht man von Ausnahmen wie einem Auftritt als erfolgreiche Unternehmerin in der Miniserie »We Crashed« ab, wird Ferrera noch immer bevorzugt als Working-Class-Frau und seit geraumer Zeit auch als Mutter besetzt. Über Hollywoods stereotype Einfallslosigkeit gegenüber PoC-Schauspieler*innen sagt das einiges, über das Können der inzwischen 39-Jährigen dagegen sehr wenig. Im Gegenteil: Ausgerechnet in solchen vermeintlichen Klischeerollen trumpft sie in diesem Jahr auf der Leinwand besonders auf. Der leidenschaftlich vorgetragene Monolog, in dem sie als Assistentin des Mattel-Vorstands in »Barbie« das Dasein als Frau in der heutigen Gesellschaft auf den Punkt bringt, gehört zu den menschlichsten und eindrücklichsten Momenten im Film des Jahres. Und auch in »Dumb Money – Schnelles Geld« ist ihre Performance als alleinerziehende Krankenschwester, die nach Tipps eines YouTubers ihr gesamtes Erspartes in Gamestop-Aktien steckt, nicht nur eine der sehenswertesten in einem großen Ensemble, sondern letztlich das Herz des Films.

Für den Fall, dass ihr eines Tages das angestammte Rollenprofil doch zu eng wird, hat die Schauspielerin, die sich schon lange sowohl innerhalb der eigenen Branche als auch darüber hinaus politisch engagiert (und etwa 2017 die Eröffnungsrede beim Women’s March on Washington hielt), ohnehin längst vorgesorgt. Bereits vor etlichen Jahren hat sie, wie so viele ihrer Kolleg*innen dieser Tage, eine eigene Produktionsfirma auf den Weg gebracht, außerdem versuchte sie sich bei mehreren Episoden von »Super­store« sowie einigen Folgen der Serie »Gentefied« als Regisseurin. Ein erster selbst inszenierter Film mit dem Titel »I Am Not Your Perfect Mexican Daughter« befindet sich aktuell in der Vorbereitung. Und dann ist da auch noch der 2022 in der amerikanischen Frauen-Fußballliga gestartete Verein Angel City FC, zu dessen Besitzerinnen Ferrera genau wie Natalie Portman, Serena Williams und Eva Longoria gehört. Betty Suarez, die damals selbst von der schüchternen Anfängerin zur selbstbewussten Karrierefrau wurde, wäre begeistert!

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