Der lange Weg zur Gleichheit

Reflexionen schwarzer Geschichte im aktuellen Film
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In den USA spricht man längst von einer »New Wave of Black Cinema«: Eine erstaunliche Zahl an aktuellen ­Filmen von und mit Schwarzen reflektiert auf ver­schiedenste Weise schwarze Themen und rassistische ­Politik, quer durch die Geschichte. Und ihr Erfolg be­feuert große – doch nicht ganz neue – Hoffnungen. 

Lästerzungen könnten behaupten, im Grunde seien nur Harvey Weinstein und ein paar Briten dafür verantwortlich, dass in diesen Monaten so viel über das afroamerikanische Kino gesprochen wird. Der weiße Produzent und Verleiher Weinstein hat mit The Butler, Fruitvale Station und Mandela immerhin drei der prominentesten »schwarzen« Filme in die Kinos gebracht und sehr geschickt vermarktet.
 
Der Kassenerfolg The Butler in der Regie von Lee Daniels nimmt die Perspektive eines schwarzen Bediensteten im Weißen Haus ein, der über Jahrzehnte hinweg einer illustren Starparade wechselnder US-Präsidenten über die Schulter schaut. In der »klassischen« Rolle des Domestiken bleibt er stets angepasster, passiver Beobachter weißer Machtausübung, so dass sein Sohn ihn schon mal als »Onkel Tom« abkanzelt. Der Sohn wiederum verkörpert den langwierigen Kampf um die Gleichberechtigung Schwarzer: Er engagiert sich in der Bürgerrechtsbewegung, bei den Black Panthers, schließlich als liberaler Politiker. Mit der Wiederannäherung von Vater und Sohn und der Wahl Obamas zum Präsidenten endet der Film so versöhnlich wie hoffnungsvoll – der Butler allerdings bleibt eine traurige Gestalt. Und trotz mancher fragwürdigen Simplifizierung: The Butler birgt bewegende Szenen von der Gewalt der Rassentrennung, welche gerade im Mainstream selten so harsch dargestellt wurde. Vor allem ist bemerkenswert: Obwohl Weiße nur Randfiguren sind, hat der Film offensichtlich auch die weißen Kinogänger erreicht. Das sollte auch Mandela – Der lange Weg zur Freiheit schaffen, gerade jetzt, nach Mandelas Tod. Der Film ist zwar eine britisch-südafrikanische Produktion und inszeniert vom weißen Regisseur Justin Chadwick, wird jedoch von Weinstein verliehen und erzählt ebenfalls aus rein schwarzer Perspektive: So ehrenwert wie ehrfürchtig entfaltet sich – wiederum in einem Ritt durch mehrere Jahrzehnte – die »offizielle« Filmbiografie Nelson Mandelas im an Rückschlägen reichen Kampf gegen die Apartheid. 
 
Immer wieder heißt es: ­»based on a true story«
 
Ein wesentlich kleinerer, höchst bemerkenswerter Film, der im April in die deutschen Kinos kommen soll, wurde von Forest Whitaker produziert, dem Hauptdarsteller des Butler. Die Weinstein Company ermöglichte dem Independent Fruitvale Station durch Verleih und Promotion erst seinen beachtlichen Erfolg beim US-Publikum. Der Newcomer Ryan Coogler erzählt hier vom schwarzen Alltag in der Gegenwart, festgemacht an einem realen Schicksal: Ruhig, differenziert und fern allen Klischees schildert er die letzten 24 Stunden des jungen Oscar Grant, der die Drogendealerei aufgeben und seiner kleinen Tochter ein besserer Vater sein möchte – Pläne, die in den frühen Stunden des Neujahrsmorgens 2009 mit einem Schuss aus einer Polizeiwaffe zerstört werden.  
 
Immer wieder heißt es in diesen Filmen: »based on a true story«, so auch in 12 Years a Slave, der das aufsehenerregendste Beispiel für die neue Welle schwarzen Kinos ist. Regisseur und Hauptdarsteller: die Briten Steve McQueen und Chiwetel Ejiofor. Auch Koproduzent Brad Pitt merkte an, er finde es merkwürdig, dass ein Brite es in die Hand nehmen musste, vom uramerikanischen Trauma der Sklaverei zu erzählen. 
 
Mit beispielloser Dras­tik schildert McQueen den Leidensweg von Solomon Northup, einem freien Schwarzen, der 1841 aus den Nordstaaten verschleppt und in den Süden verkauft wurde. Im Vergleich zur Konsequenz, mit der McQueen den Horror der Sklaverei ins Bild setzt, wirkt die Serie »Roots« wie ein Kinderprogramm und Django Unchained wie ein schlechter Scherz.Mehr noch als alle Gewaltdarstellungen ist es jedoch die Analyse des Systems Sklaverei, die dem Film seine Eindringlichkeit verleiht. Er zeigt, wie es jede menschliche Beziehung und eine gesamte Gesellschaft vergiftet und stellt letztlich den Gründungsmythos der noch jungen Nation USA in Frage. Wie ließ sich das Postulat, die Menschen seien gleich geschaffen und mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet, vereinbaren mit einer Praxis, die den Einzelnen qua Hautfarbe zum Besitz eines anderen machte? Seit 12 Years a Slave auf dem Filmfestival Toronto gezeigt wurde, hat sich eine breite Diskussion über den Umgang mit den Widersprüchen in der frühen US-Geschichte entsponnen, und sie ist nicht auf die schwarze Community beschränkt. Diese Vergangenheit ist nie ganz vergangen, und es befremdet gerade im Lichte des Films und der Diskussion um ihn, wie wenige »große« Filme sich ihrer bisher angenommen haben. Es war ausgerechnet Steven Spielberg, der die Sklaverei in Amistad und Lincoln verhandelte und im erstaunlichen Kassenerfolg Die Farbe Lila einen Blick auf ihre Folgen warf. Doch das waren die Filme eines Weißen, und die beiden, die die Sklaverei direkt angehen, sind aus der Perspektive Weißer erzählt. 
 
Hollywoods Umgang mit afroamerikanischen Themen ist geprägt von der Angst um den Profit. Die Mehrheit des weißen Publikums gilt ihnen gegenüber als wenig aufgeschlossen, und Afroamerikaner kaufen laut aktueller Statistik nur elf Prozent der Kino­tickets bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von zwölf Prozent – Amerikaner latein­amerikanischer Abstammung beispielsweise kaufen 26 Prozent bei einem Bevöl­kerungs­anteil von 17 Prozent. Auch die internationale Vermarktung schwarzer Filme halten Studiobosse für schwierig. Das mag ein Grund sein, warum so häufig dramaturgische »Filter« zum Einsatz kommen: Weiße Hauptfiguren, mit denen sich der Durchschnittsamerikaner identifizieren kann, werden mit den Problemen Schwarzer konfrontiert, durchlaufen einen Lernprozess und machen die erhebende Erfahrung, die Unterprivilegierten zu unterstützen – mit Wohlfühleffekt für den weißen Zuschauer. Zuletzt funktionierte etwa The Help nach exakt diesem Schema. Der »liberale Paternalismus«, wie er sich in wohlwollender Bevormundung und Herablassung ausdrückt, ist verständlicherweise bis heute ein Reizwort für schwarze Kritiker und Filmemacher. Und gerade jetzt sind wieder Kontroversen darüber entflammt, wie unabhängig, wie radikal ein Black Cinema sein muss, um nicht doch wieder Rassenklischees zu bedienen – und sich längerfristig laut- und schmerzlos in den Hollywoodmustern aufzulösen.
 
Eine Vielfalt von Pers­pek­tiven auf Blackness
 
Auch unabhängig von der Weinstein Company oder britischen Produktionen ist allein im vergangenen Jahr eine Vielzahl von Filmen in den USA veröffentlicht worden, welche, so unterschiedlich sie sind, eine dezidiert schwarze Perspektive einnehmen und für ein neues Selbstbewusstsein des Black Cinema sprechen. Es sind Mainstream-Produktionen wie das Musical Black Nativity, die Komödien The Best Man Holiday und Baggage Claim, das Baseball-Biopic 42 – The Jackie Robinson Story und die Comedian-Doku Kevin Hart: Let Me Explain, aber auch herausragende Independents, beispielsweise George Tillmans Coming-of-Age-Drama The Inevitable Defeat of Mis­ter and Pete über zwei Großstadtjungen, die plötzlich auf sich allein gestellt sind, oder Blue Caprice, der wiederum wahre Begebenheiten aufgreift: die »Beltway Sniper Attacks«, die die USA im Jahr 2002 erschütterten. Über die Täter jener Mordserie erzählt er zugleich auch von einem Wahnsinn, der direkt aus den schwierigen gesellschaftlichen Verhältnissen wuchert, in denen die meisten Schwarze bis heute leben. 
 
Schwarze Geschichte, schwarze Identität spiegeln ebenso einige Dokumentarfilme der vergangenen Jahre wie The Black Power Mixtape, Free Angela and All Political Prisoners, aber auch Kevin McDonalds Annäherung an die Reggae-Ikone Marley. Filme über weitere musikalische Größen sind in Vorbereitung: Get On Up über James Brown soll in diesem Sommer starten, der Dreh von Kill the Trumpet Player über Miles Davis, von und mit Don Cheadle, wurde kürzlich angekündigt.
 
Warum kommt gerade jetzt so viel in Bewegung? Manche Filmemacher, etwa Ava DuVernay (Middle of Nowhere), sehen die Ursachen in den vielfältigen Aktivitäten und wachsenden Strukturen der schwarzen Independent-Szene. Ihr »African-American Film Festival Releasing Movement«, 2011 gegründet, hat bereits einigen kleinen Filmen zur Distribution verholfen, die ansonsten wohl übersehen worden wären. David E. Talbert, Theaterautor und Regisseur von Baggage Claim, vergleicht die aktuelle Entwicklung mit der »Harlem Renaissance«, einer Blüte des schwarzen Intellektualismus und der Kunst in den 1920er Jahren, und hebt ebenfalls die Bedeutung der Netzwerke schwarzer Künstler hervor. Eine herausragende Rolle spielt wohl auch das Sundance-Festival, das viele der aktuellen Werke präsentierte. Die Bereitschaft der Majors, sich auf schwarze Projekte einzulassen,  haben sicher einzelne Kassenerfolge wie die – in der schwarzen Community umstrittenen – Filme Precious, The Help oder aber die Komödien des enorm erfolgreichen schwarzen Entertainment-Tycoons Tyler Perry befördert. Harvey Weinstein wiederum beschwört den »Obama-Effekt«: Mit seiner Präsidentschaft lösten sich die Rassengrenzen langsam doch stetig auf, endlich wachse eine breite Akzeptanz des Publikums und damit der Industrie für afroamerikanische Themen. 
 
Obama – ein uneingelöstes Versprechen
 
Gesamtgesellschaftlich kann allerdings trotz Obama keine Rede von einer Gleichberechtigung der ethnischen Gruppen sein. Armut und mangelnde Bildung sind nach wie vor grundlegende Probleme von Afroamerikanern, und seit den 1970er Jahren hat sich die Lage wieder erheblich verschlechtert. Auf der einen Seite konnte sich eine schwarze Mittelschicht etablieren, auf der anderen haben immer weniger Afroamerikaner Zugang zu höherer Bildung – ihr Anteil an den Gefängnisinsassen wächst dagegen kontinuierlich. Wie angespannt die gesellschaftliche Lage ist, führen Fälle wie die von Oscar Grant oder Trayvon Martin unmissverständlich vor Augen: Ihre Tode durch Polizeigewalt provozierten nicht nur breite Empörung, sondern auch Massendemonstrationen bis hin zu handfesten Unruhen. 
 
Vielleicht ist es ja gerade diese Diskrepanz zwischen dem präsidialen Antlitz einer ethnisch gleichberechtigten USA und der bitteren sozialen Wirklichkeit, die die kreativen Energien schwarzer Filmemacher befeuert. Wie nachhaltig diese Energien die Filmindustrie beeinflussen können, darüber gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Skeptischen Geistern wie Spike Lee oder dem Kritiker Armond White erscheint die Marginalisierung Schwarzer in Hollywood hoffnungslos verfestigt. Zu oft habe bereits Aufbruchstimmung geherrscht, und dann sei das weiße Establishment doch wieder zum »business as usual« übergegangen. 
 
Die Wunden sind so tief, wie sie alt sind. Zwar liegen die Zeiten des »Blackfacing« und der schwarzen Witzfiguren, die Zeiten, in denen ein filmischer Meilenstein wie Birth of a Nation (1915) zugleich eine Ode auf den Ku-Klux-Klan war, hinter uns. Vorbei sind auch die Jahrzehnte der stereotypen Nebenrollen, als die »guten« Schwarzen im Mainstream, die Mammys und Butler, stets wussten, wo ihr Platz ist: im Hintergrund. 
 
Mit der Bürgerrechtsbewegung und schwarzen Stars wie Sidney Poitier, Harry Belafonte oder Sammy Davis jr. verschob sich das Bild. Doch viele der wohlmeinenden, selbstverständlich von Weißen produzierten und inszenierten Filme jener Jahre scheinen zunächst einmal zweifelsfrei darlegen zu wollen, dass Schwarze auch Menschen sind. Es war noch ein weiter Weg, bis im Laufe der 1980er und 1990er Schwarze zu selbstverständlichen Akteuren in der Industrie wurden, vor und hinter der Kamera. Stars wie Denzel Washington, Halle Berry, Morgan Freeman, Whoopi Goldberg oder Will Smith, Regisseure wie Antoine Fuqua oder F. Gary Gray reüssierten – doch ihre Filme blieben meist »farbenblind«.
 
Wellen eines genuinen »Black Cinema« hatte es immer wieder gegeben: Die frühen Race Films, Ausnahmegestalten wie Paul Robeson und ein Independent-Phänomen wie die »L. A. Rebellion« um Künstler wie Haile Gerima und Charles Burnett blühten in den Nischen. Die erfolgreiche, doch politisch zweischneidige Blaxploitation im Gefolge von Shaft kam und ging, ebenso radikal politische Werke der 1960er/1970er wie Melvin Van Peebles’ provokanter Sweet Sweetback’s Baadasssss Song. Vom künstlerisch wie kommerziell beflügelten »New Black Cinema« der späten 1980er und frühen 1990er blieben außer beachtlichen Einzelkarrieren wie der von Spike Lee vor allem: Filme um Gangs, Drogen und Gewalt im Verbund mit Gangsta Rap, voller schwarzer Rollenstereotypen. Das schwarze Kino war im doppelten Sinne wieder einmal im Ghetto angekommen. 
 
Einzelne Meisterwerke ganz individueller Handschrift gerieten in Vergessenheit, sei es Bill Gunns Ganja & Hess von 1973, eine psychedelisch-experimentelle Vampirfantasie, die tief in afrikanische wie europäische Mythen taucht, oder, am Gegenpol des Realismus, die Arbeitergeschichte Nothing But a Man, 1964 im Alabama der Rassentrennung gedreht. Es dürfte kein Zufall sein, dass in seinem alltagsnahen, unaufgeregten Stil eine Verwandtschaft zu Fruitvale Station zu entdecken ist.
 
Tiefe Skepsis, große Hoffnungen
 
Die Oscar-Statistik spiegelt Diskriminierung wie Marginalisierung der Afroamerikaner trefflich wider: Der erste Oscar für eine Schwarze ging 1939 an Hattie McDaniel für ihre Nebenrolle in Vom Winde verweht – an der Premiere des Films hatte sie wegen der Rassentrennung nicht teilnehmen dürfen; bei der Oscar-Verleihung saß sie in den hintersten Rängen am Rand. 1963 erhielt Sidney Poitier den ersten schwarzen Hauptrollen-Oscar für Lilien auf dem Felde, doch bis zum ersten – und immer noch einzigen! – Oscar für eine weibliche Hauptrolle mussten fast 40 weitere Jahre vergehen: Halle Berry erhielt ihn 2001 für Monster’s Ball. Bis heute wurde kein schwarzer Regisseur mit einem Oscar ausgezeichnet.
 
Das könnte sich bald ändern. Höchste Erwartungen für diese wie einige weitere Kategorien ruhen in diesem Jahr auf 12 Years a Slave und  The Butler, doch auch Fruitvale Station wird als möglicher Kandidat für den einen oder anderen Academy Award gehandelt. Und die Chancen stehen gut, dass Oscar-Gewinne auch vielen weiteren schwarzen Geschichten und Filmemachern Türen öffnen werden.
 
Sicher ist angesichts der historischen Erfahrungen Skepsis angebracht, wie nachhaltig die gegenwärtige Entwicklung sein kann. Und nicht wenige beklagen, dass auch in den aktuellen Werken die Protagonisten angesichts historischer wie sozialer Missstände meist über einen Opferstatus definiert werden. Ava DuVernay: »Wir Schwarzen werden immer in diesen übersteigerten Situationen gezeigt, in denen uns ganz große Dinge zustoßen. Aber wissen Sie was? Manchmal sterben wir einfach an Brustkrebs oder gebrochenem Herzen. Es ist an der Zeit, dass Filme auch das zeigen.«
 
Dafür gibt es immer noch wenige Beispiele. Doch die gegenwärtige künstlerische Vielfalt schwarzer Filme von Epen bis hin zu intimen Momentaufnahmen, der oft sehr genaue Blick auf afroamerikanische Geschichte wie Gegenwart, die Reflexion von Rollenbildern jenseits knarrenschwingender Machos und lasziver Sexkätzchen, und nicht zuletzt die kommerziellen Erfolge bergen immerhin die Hoffnung, dass das Black Cinema endlich zu einem selbstverständlichen, selbstbewussten – und wahrgenommenen – Teil des US-Kinos wird, ohne dabei farbenblind zu sein. Seine künstlerische Bandbreite und Freiheit kann dadurch nur wachsen.

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