Celine Song: Es ist wie das Loch im Donut

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Celine Song. Foto: Matthew Dunivan

Wenn man auswandert, lässt man etwas in der alten Heimat zurück. Das ist aber nicht per se schmerzhaft, meint Celine Song. In ihrem Spielfilmdebüt »Past Lives« blickt sie mit einer Mischung aus Heiterkeit und Melancholie auf ein koreanisch-amerikanisches Beziehungsdreieck

Die Parallelen zwischen Celine Song, die bisher als Theatermacherin Erfolge feierte und zum Writers' Room der Serie »The Wheel of Time« gehörte, und der Hauptfigur ihres ersten Films »Past Lives« sind nicht zu übersehen. Beide wurden in Südkorea geboren, zogen in ihrer Kindheit mit der Familie nach Kanada und studierten schließlich in New York City. Doch das Regiedebüt handelt nicht nur von ihren eigenen Erfahrungen, erzählt die mit dem Drehbuchautor Justin Kuritzkes (»Challengers«) verheiratete Song im Interview. 

epd Film: Ms. Song, Ihr Film »Past Lives« beginnt mit einer eindrucksvollen Szene: eine Bar in New York, Ihre Protagonistin Nora, an ihrer Seite zwei Männer, ein Koreaner und ein weißer Amerikaner. Stand dieser Einstieg in den Film, dessen Kontext später nachgereicht wird, für Sie von Anfang an fest?

Celine Song: Tatsächlich war diese Szene die erste, die ich für dieses Drehbuch schrieb. Erst als ich sie zu Papier gebracht hatte, konnte der Rest des Films folgen, denn letztlich gab dieser Einstieg die Struktur vor für alles, was folgt. Ich fand es wichtig, das Publikum gleich zu Beginn mit diesen Figuren zu konfrontieren – und mit der Frage, wer diese Menschen sind und was sie verbindet. Einfach mit den Kindheitsszenen 24 Jahre vorher anzufangen, wäre zu wenig gewesen, um die Zuschauer*innen wirklich abzuholen. Aber durch die vorangestellte Szene in der Bar wird die Neugier geweckt, mit der man dann bereit ist, dieser Geschichte zu folgen. Denn im Idealfall will jeder dem Geheimnis auf die Spur kommen, in welchem Verhältnis diese Personen zueinander stehen.

Wie viele Momente im Film ist auch diese Situation eine autobiografische, die Sie selbst erlebt haben, nicht wahr?

Genau. Ich saß vor etlichen Jahren in einer Bar im East Village, mit meiner koreanischen Jugendliebe und meinem amerikanischen Ehemann. Und ich spürte, wie uns die Leute beobachteten und grübelten, wie wir drei wohl zusammengehören.

Ahnten Sie damals schon, dass Sie Ihre Geschichte mal in einem Drehbuch festhalten würden?

Tatsächlich hatte ich in genau dem Moment zum ersten Mal die vage Idee dazu. Allerdings dachte ich lange, dass ich nicht genug Plot habe. Und statt eines verrückten Konzepts bloß ganz normale Menschen und dieses schwer fassbare Gefühl, sich einem Menschen verbunden zu fühlen, ohne dass man je liiert war oder viel Zeit miteinander verbracht hätte. Erst als ich immer mehr Freund*innen diese, also meine Geschichte erzählte und wir ins Reden kamen, merkte ich, dass das doch etwas ist, wovon sich auch andere Menschen angesprochen fühlen.

Und Sie hatten von Beginn an einen Film im Kopf? Oder wäre auch ein Theaterstück infrage gekommen, was ja bis dahin Ihr Haupttätigkeitsfeld war?

Weil sich diese Geschichte über verschiedene Kontinente und mehrere Jahrzehnte erstreckt, hatte ich von Anfang an einen Film vor Augen. Die Locations sind in diesem Fall so wichtig; Seoul und New York City sind quasi eigenständige Figuren, die großen Einfluss auf die Entwicklung der Geschichte haben. All das hätte ich auf der Bühne schwer zu vermitteln gefunden.

Fiel Ihnen der Sprung vom Theater zum Film leicht?

Ehrlich gesagt, ja. Der Gedanke, dass ich eine so große Sache zum ersten Mal mache, war kurz überwältigend. Aber ein Großteil dessen, was man als Regisseurin auf der Bühne macht, ist ja beim Film nicht wirklich anders: Man muss wissen, wo in der Geschichte die Knackpunkte liegen, mit den Schauspieler*innen arbeiten und die Dialoge ordentlich in Szene setzen. All das habe ich seit Jahren gemacht, deswegen fühlte sich die Arbeit zu weiten Teilen vertraut an. Bei allen anderen, eher technischen Elementen des Jobs, vom Lesen eines Callsheets bis zum Einrichten der Beleuchtung, merkte ich schnell, dass ich das entweder ohne größere Schwierigkeiten lernen kann oder ohnehin ein Team aus Profis um mich herum habe, das für diese Dinge zuständig ist. Ich hätte mich unsicher gefühlt, wenn ich die Geschichte und die Figuren nicht in- und auswendig gekannt hätte, doch was das angeht, wusste ich, dass es keine Frage gibt, die ich dazu nicht beantworten kann.

Haben Sie sich in irgendeiner Form an filmischen Referenzen oder Vorbildern orientiert?

Nicht im eigentlichen Sinne. Aber ich habe meinem Team ein paar Filme als atmosphärisches Vergleichsmaterial empfohlen, etwa Edward Yangs »Yi Yi« oder »Like Father, Like Son« von Hirokazu Kore-eda. Außerdem habe ich zum Beispiel meinen Kameramann Shabier Kirchner gebeten, mir Filme zu nennen, die ihm angesichts meiner Geschichte in den Sinn kamen. Von zweien wollte er besonders, dass ich sie mir vor Drehbeginn ansehe, nämlich »Last Days« von Gus van Sant und »Oslo, 31. August« von Joachim Trier. Interessanterweise beides Filme, in denen sich am Ende ein Mann das Leben nimmt. Das fand ich enorm aufschlussreich, denn natürlich ist »Past Lives« auch ein Film über Hae Sung, und für den ist diese Geschichte eine schmerzvolle. Ohne dass das jetzt zwingend vergleichbar wäre mit dem Plot besagter Filme.

Ihr Alter Ego Nora wird von Greta Lee verkörpert. Worauf achteten Sie bei der Wahl der Hauptdarstellerin besonders?

Natürlich war es wichtig, eine koreanischstämmige Schauspielerin zu finden, die auch die Sprache spricht. Aber es war für mich zum Beispiel nicht relevant, ob sie wie ich ihre ersten Lebensjahre in Korea verbracht hat oder nicht. Gute Schauspieler*innen müssen bekanntlich Dinge nicht erlebt haben, um sie spielen zu können. Ohnehin habe ich nicht nach jemandem gesucht, der wie ich ist, denn dass Nora und ich uns ähnlich, aber nicht deckungsgleich sind, kann ich nicht oft genug betonen. Entsprechend ging es mir wirklich nicht um ein Abbild meiner selbst, sondern einfach um eine starke Schauspielerin, bei der ich das Gefühl hatte, dass sie den Kern der Figur, also deren Seele, würde einfangen können. Außerdem sprach mich an ihr besonders an, dass sie in einem Moment aussieht wie eine erwachsene Frau und im nächsten wirken kann wie ein junges Mädchen. Eine ähnliche Qualität erkannte ich auch in Teo Yoo, der nun Hae Sung spielt, was ich sehr reizvoll fand.

Das Ende des Films ist, ohne hier zu viel zu verraten, für Nora auch ein Abschied von dem Mädchen, das sie früher war. War die Arbeit an »Past Lives« für Sie selbst auch ein Prozess des Loslassens?

Nicht im therapeutischen Sinne, wenn Sie das meinen. Aber ich würde mal behaupten, dass das Loslassen ein fester Bestandteil meines, wenn nicht sogar jedermanns Leben ist. Die Weltpremiere von »Past Lives« zum Beispiel war ein großer Moment des Loslassens, denn bis dahin war der Film unser kleines Geheimnis, das niemand kannte, außer den Menschen, mit denen ich ihn gedreht hatte. Dieses Geheimnis zu lüften und den Film der Öffentlichkeit zu zeigen, war eine Art Abschied. Der Kinostart jetzt noch einmal genauso. Aber auch der erste Tag am Set, denn damals verabschiedete ich mich von jenem Teil meines Lebens, in dem ich noch nie einen Film gedreht hatte. Aber Sie sehen schon: All dieses Loslassen bedeutet immer auch den Beginn von etwas Neuem.  

So sehr Ihr Film von universellen Themen wie Loslassen, Neuanfängen und alten Verbindungen erzählt, so spezifisch geht es auch um die Erfahrung, als Einwanderin fern der Heimat aufgewachsen zu sein. Sie haben anderswo dafür mal das Bild eines Donuts verwendet, um dieses Gefühl zu beschreiben …

Stimmt, ein Donut mit einem Loch in der Mitte. Dieses Loch wurde nicht nachträglich in den Donut gerissen, sondern er wurde so schon frittiert. So ähnlich würde ich mein Aufwachsen als Einwanderin in Kanada beschreiben. Nach dem Wegzug aus Korea als Kind fehlte da immer etwas, doch dieses Loch gehörte eben ganz selbstverständlich immer dazu. Es gehört zu mir und meinem Leben dazu, es macht mich aus und ist entsprechend auch nichts per se Schmerzhaftes oder Trauriges. Aber wenn dann – um mal im Bild zu bleiben – eines Tages der Teigrest, der einst dieses Loch ausgefüllt hat, ins Flugzeug steigt und zwölf Stunden fliegt, um dich wiederzusehen, geht das nicht spurlos an dir vorbei. 

Was ist für Sie, nun, wo »Past Lives« in den Kinos läuft, eigentlich die größere Überraschung: Wie unglaublich positiv die Menschen darauf reagieren oder die Tatsache, dass ein solcher Film überhaupt finanziert wurde?

Darf ich ganz schlicht antworten – beides? Tatsächlich kann ich noch immer kaum glauben, dass der Film überhaupt existiert. Eine so persönliche kleine Geschichte, ohne Actionsequenzen und mit einer koreanischstämmigen Protagonistin, so etwas sieht man doch im Kino wirklich praktisch nie. Aber das Interesse und die Begeisterung des Publikums sind ebenso überwältigend, denn natürlich gab es keine Garantie, dass die Leute auf ein so persönliches Projekt mit derart spezifischen Themen auch wirklich anspringen. Auf die Gefahr hin, dass es jetzt kitschig klingt, aber dass sich so viele Menschen für meine Geschichte erwärmen können, gibt mir das Gefühl, weniger einsam zu sein. 

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