75 Jahre Evangelische Filmpublizistik

Im Geiste des...

Im Oktober feiert das ­Gemeinschaftswerk der ­Evangelischen Publizistik sein 50. Jubiläum. Gegründet wurde das GEP von Robert ­Geisendörfer. Der hatte schon 1948, also vor 75 Jahren, eine der beiden Vorläuferpublikationen von epd Film, ins Leben gerufen: den »Evangeli­schen Film-Beobachter«. Rudolf Worschech über die die Gründerzeit der evangelischen Filmpublizistik

Am Anfang war das Wort. Genauer gesagt: eine Tagung, auf der viel gesprochen wurde. Vom 22. bis 25. April 1948 lud der damalige Direktor des Evangelischen Preßverbands für Deutschland, Oberkonsistorialrat a. D. Walter Schwarz, zu einer Filmkonferenz ins niedersächsische Bad Salzdetfurth ein. Der Titel: »Film und Gemeinde«. 120 Menschen waren der Einladung gefolgt, Kirchenleute, Journalisten, Filmemacher. Der Regisseur Curt Oertel, der mit seinem in der Nazizeit entstandenen »Michelangelo. Das Leben eines Titanen« (1940) dem Dokumentarfilm neue Impulse gegeben hatte und später ein wichtiger Filmfunktionär wurde, war da; ebenso der film- und medieninteressierte Pfarrer Robert Geisendörfer, ehemals Stadtvikar in Rosenheim, dem im April 1947 die Leitung des Evangelischen Preßverbands für Bayern übertragen worden war. Referate hielten unter anderen der Filmproduzent Hans Abich, der in Göttingen mit Rolf Thiele die Produktionsfirma Filmaufbau gegründet hatte, der Frankfurter Werner Hess, damals Gemeindepfarrer der Bethlehemgemeinde in Frankfurt-Ginnheim, und Harald Braun, der wahrscheinlich prominenteste Tagungsgast, Pfarrerssohn, an Glaubensfragen interessiert und seit Mitte der dreißiger Jahre in den Diensten der Ufa, anfangs als Regieassistent von Carl Froelich. 

Was kann Kino?

Diese Salzdetfurther Tagung lieferte die Initialzündung für die evangelische Filmpublizistik der Nachkriegszeit und war der Nukleus für die evangelische Filmarbeit nach dem Krieg. Viele der dort diskutierten und referierten Themen sollten virulent bleiben. Werner Hess hielt das Grundsatzreferat zum Thema »Kirche und Film«, in dem er konstatierte, zwischen dem Film und der Gemeinde bestünden keine Brücken. Er forderte: »Es fehlt bisher der gültige Maßstab, die Erscheinung des Films von christlicher Seite her richtig zu würdigen. Es scheint mir deshalb nur der Weg gangbar, die Glieder der christlichen Gemeinde stärker und eindeutiger als bisher zu beeinflussen und ihnen Maßstäbe in die Hand zu geben, um einen Film werten zu können.« Harald Braun dagegen blieb in seinem Vortrag zu »Möglichkeiten und Grenzen des religiösen Films« verhaltener. Er reflektiert über das Verhältnis zwischen Film und Öffentlichkeit und darüber, ob Film überhaupt Kunst sein kann. Braun stand direkter Verkündigung immer skeptisch gegenüber; auf der Tagung stellte er die Frage, ob ein christlicher Film nicht auch einer wäre, der die äußere Erfolglosigkeit der christlichen Botschaft zum Thema hätte. »Der zeigt, daß die Botschaft eben nicht eindringt, daß die Welt eben nicht besser wird, daß die Menschen teils wohlwollend, teils ablehnend, teils kirchlich, teils unkirchlich, in jedem Falle aber unerschüttert und unerschütterlich vor dieser Botschaft stehen, daß aber mitten in dieser Verlorenheit die Menschen, die den völlig unbewiesenen und unbeweisbaren Glauben an diese Botschaft haben, unbeirrbar daran festhalten. Sie ›erreichen‹ nichts damit, nichts, als daß sie getrost bleiben. Vielleicht sollte man diesen Film versuchen.«

Hunger nach Sinn

Die beiden evangelischen Filmzeitschriften sind unmittelbar nach dieser Tagung erschienen: die vom Evangelischen Preßverband für Deutschland in Göttingen herausgegebene Publikation »epd Kirche und Film« am 15. Juli 1948, der vom Evangelischen Preßverband für Bayern herausgegebene »Evangelische Film-Beobachter« am 1. November 1948. Die katholische Kirche hatte schon früher mit der Filmpublizistik begonnen: Der »film-dienst«, damals noch unter dem Titel »Filmdienst der Jugend«, war im Oktober 1947 auf den Markt gekommen; es gibt ihn immer noch, wenn auch nur im Netz. 

Die Neugründung der konfessionellen Zeitschriften hat mehr mit der unmittelbaren Nachkriegssituation des in Zonen aufgeteilten Deutschland zu tun, als man heute denken mag. Zerstörte Städte, Wohnungsknappheit, Kriegsheimkehrer, große materielle Not, das war die eine Seite. Gleichzeitig waren die Jahre nach der Befreiung vom Faschismus durch eine immense Aufbruchsstimmung gekennzeichnet: Von den Besatzungsbehörden lizenzierte Zeitungen und Zeitschriften entstanden, man entdeckte die von den Nazis verfemte bildende Kunst wieder, Regisseure und Schauspieler kehrten an die Theater zurück, das Kabarett wurde zu einer Institution. Sicherlich gab es durch den im Jahr 1945 erlittenen Paradigmenverlust einen neuen »Hunger nach Sinn«. Zugleich erlebten die unterhaltenden Künste einen ungeheuren Aufschwung. Im Bereich des Films gab es in der Bevölkerung nicht nur ein großes Ablenkungs-, sondern auch ein Nachholbedürfnis, hatten doch die Nazis spätestens 1942 Deutschland von ausländischen Filmen weitgehend »sauber« gehalten. Und schon auf der Kirchenkonferenz in Treysa im August 1945 hatte die evangelische Kirche ihren Anspruch deutlich gemacht, das öffentliche Leben Nachkriegsdeutschlands mitzugestalten, auch wenn, wie Anne Kathrin Quaas in ihrer Dissertation anmerkt, deutlich wird, dass sich das »Anliegen, auf dem Gebiet von Politik und Kultur stärker in Erscheinung zu treten,  vor allem aus der Erfahrung speiste, während der nationalsozialistischen Herrschaft versagt zu haben«.

Die Editorials der konfessionellen Filmzeitschriften sind dieser Situation verpflichtet und betonen als Grund ihres Erscheinens: der Bevölkerung eine Orientierung an die Hand zu geben. In dem »Worum es uns geht« überschriebenen ersten Text des »Evangelischen Film-Beobachters« schrieb Pfarrer Robert Geisendörfer:»Wir kennen aber auch den missionarischen Auftrag der Kirche und können uns gerade in diesem Zusammenhange der Erkenntnis von der ungeheuren Bedeutung des Films in unserer Zeit nicht verschließen. Zu diesem Gegenstande unseres öffentlichen Lebens, der aus einem Unterhaltungsmittel längst auch ein geistiges, ja auch weltanschauliches und teilweise sogar religiöses Bildungsmittel von weitestem Einflusse geworden ist, hat unsere Kirche, wie wir meinen, im Allgemeinen wie im Besonderen so viel zu sagen, daß die Schaffung eines ›Evangelischen Film-Beobachters‹ gerechtfertigt erscheint. Es ist uns ganz klar, daß der Film zunächst einmal seine Eigengesetzlichkeit hat. (…) Wir werden versuchen, unseren Lesern ein Urteil zu bieten, das Urteil von Menschen, die versuchen, Christen zu sein. Diese Urteile wollen nicht kirchlich-verbindlich, wohl aber richtungsweisend und in hohem Maße zuverlässig sein. (...) Geistlichen, Lehrern, Volkserziehern jeder Art, aber auch Film-, Theater- und Presseleuten selbst soll unser Beobachter, jedem unter einem anderen Blickwinkel, dienen.« 

Damit gab Geisendörfer der im »Film-Beobachter« abgedruckten Filmkritik den Charakter einer »offiziellen« Stellungnahme. Und so wurde eine dort erschienene Filmbesprechung in den fünfziger Jahren immer auch aufgefasst. Die Kritiken waren auch gedacht zum Aushang in den Schaukästen der Gemeinden, so dass der EFB trotz einer geringen Auflage (1949: 2000 Stück) eine wesentlich größere Leserschaft gehabt haben dürfte. Hinzu kommt, dass die meist nur ein paar Sätze umfassenden Kritiken des »Film-Beobachters« in den wenigsten Fällen namentlich gezeichnet waren; am Anfang steht noch »EPB« (Evangelischer Preßverband für Bayern) unter den Texten, später dann das Mitarbeiterkürzel.

Der Apfel des Anstosses

Schon pragmatischer wirkt das Editorial des zuvor erschienenen Dienstes »epd Kirche und Film«. Walter Schwarz, der damalige Direktor des Evangelischen Preßverbands für Deutschland, wirbt dafür, dass sich die Christen dem durchaus verpönten Film aussetzen sollten, und zitiert Luthers Rat, der auf die Frage, ob auch Christenmenschen die Komödien der heidnischen Poeten besuchen dürften, antwortet, dass die »Buhlerei und groben Zoten« auch in der Bibel zu finden seien. Gleichzeitig werden aber die Funktion der Publikation als »Mitteilungsblatt« und ihre »vermittelnde Tätigkeit« betont, die »Kirche und Film« später noch ausbauen wird. In den ersten Jahren konzentriert sich KuF auf Nachrichten aus der kirchlichen Filmszene, nicht nur in Deutschland, sondern gerade auch aus den anglikanischen Ländern. Filmkritiken gibt es eher als Appendix. 

Auch in den ersten Ausgaben des »Film-Beobachters«, mit nur vier Seiten gestartet, richtet sich das Augenmerk besonders auf  Filme mit religiösen, spirituellen oder existenziellen Themen. Und wenn es in Filmen um die Erzählungen des Christentums geht, haben beide Publikationen ziemlich genaue Vorstellungen, schließlich üben sie ja das von ihnen reklamierte »Wächteramt« aus. Ein erster großer Stein des Anstoßes ist Helmut Käutners »Der Apfel ist ab« (1948), eine aus heutiger Sicht ziemlich belanglose, aber mit Zeitanspielungen versehene Posse um einen Apfelsaftfabrikanten, der sich in die Schöpfungsgeschichte fantasiert. Über diesen Film hat Robert Geisendörfer in der zweiten Ausgabe seine einzige Filmkritik geschrieben, einen für den »Film-Beobachter« sehr langen Text, der den Film durchaus ernst nimmt und ihn auch vor dem Vorwurf der Verhöhnung religiöser Gefühle in Schutz nimmt. Er konstatiert aber die Verharmlosung der Schöpfungsgeschichte und die Areligiosität des Films. 

Die Ära Hess

In die gleiche Kerbe schlägt Werner Hess in seiner Kritik (»Der Apfel ist wirklich ab«) in KuF 9/48, nur ist sein Text deutlich unversöhnlicher: Er hält den Film für einen »Schlag« in der Entwicklung des Gesprächs zwischen Kirche und Film. Werner Hess war in dieser Zeit so etwas wie der Motor der evangelischen Filmarbeit, 1949 wurde er zum ersten Filmbeauftragten der EKD ernannt, wirkte aber weiterhin in seiner Gemeinde in Frankfurt. Er war ein ungemein fleißiger Beiträger zu beiden evangelischen Publikationen in der Anfangszeit, ein Mann, der durchaus die Theologie vor dem Film schützen wollte. 1951 trat er als Vertreter der evangelischen Kirche aus der Freiwilligen Selbstkontrolle aus, die Willi Forsts »Die Sünderin« freigegeben hatte – es ging ihm nicht um die kurze Nacktszene, sondern um den Suizid. Unter seiner Ägide fand die Gründung der Evangelischen Filmgilde 1951 statt, die Monat für Monat einen Film auszeichnete (und Hess war sich nicht zu schade zu intervenieren, als sie den evangelisch produzierten »Frage 7« ablehnte). Hess war, wie Geisendörfer, an der Gründung von Matthias-Film 1950 beteiligt, einer evangelischen Produktions- und Verleihgesellschaft, die über einen Schmalfilmvertrieb gerade in den Gemeinden ein großes Publikum erreichte. Beide Institutionen arbeiten heute noch, die Filmgilde als Jury der Evangelischen Filmarbeit. 1960 wechselte Hess zum Hessischen Rundfunk und wurde später dessen Intendant, als Schauspieler hat er einen großen Auftritt als umweltverschmutzender Fabrikant in Peter Fleischmanns in Wetzlar realisierter Öko-Groteske »Das Unheil« (1972). 

Werner Hess beriet auch, arbeitete an Filmproduktionen mit. Das hat es danach in dieser Dimension nicht wieder gegeben. Mit Curt Oertel schrieb er am Drehbuch zu »Es war ein Mensch«, einer Doku über die Flüchtlinge aus dem Osten, und war auch Co-Autor bei dessen Luther-Film »Der gehorsame Rebell« (1952). Auch bei Harald Brauns »Nachtwache« 1949 war Hess theologischer Berater. Braun hatte das Drehbuch zum Film in Salzdetfurth dabei. Hans Abich erfuhr davon und sprang an. »Nachtwache« wurde in den Göttinger Studios der Filmaufbau – unter finanzieller Beteiligung von drei Landeskirchen – gedreht, und der Film um einen evangelischen und einen katholischen Seelsorger wurde mit zehn Millionen Besuchern zu einem der größten Erfolge der Nachkriegszeit. 

Bitte hier nicht predigen

Für die beiden evangelischen Blätter war Brauns »Nachtwache« natürlich ein publizistisches Großereignis, gerade auf dem Gebiet des religiösen Films. Kontinuierlich, wiewohl eher allgemein, hat sich auch Dietmar Schmidt mit Religiosität und den evangelischen Kriterien der Filmkritik auseinandergesetzt. Schmidt übernahm mit dem Januar-Heft 1953 die Redaktion von »epd Kirche und Film«, die er bis 1981 innehatte. Als Qualitätsmaßstab führt er 1961 an: »Wenn ›evangelisch‹ von ›Evangelium‹ kommt, dann sollten Filme, denen evangelische Menschen ihre Aufmerksamkeit zuwenden, Filme, die ihrer Aufmerksamkeit empfohlen werden, zumindest einen Hauch vom Geiste dieses Evangeliums spüren lassen. Das Kriterium dafür, daß sie es wirklich tun, ist nicht darin zu suchen, daß sie äußere Attribute evangelischen Kirchentums vorzeigen, daß sie sich demonstrativ der Sprache von Bibel und Kirche bedienen oder gar eine bestimmte kirchenpolitische oder politische Position beziehen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß gerade der Verzicht auf äußere Merkmale dieser Art ihre innere Glaubwürdigkeit in einer merkwürdigen Weise erhöhen kann. »Die Wilden Erdbeeren« und vor allem das »Siebente Siegel« des schwedischen Pfarrerssohns Ingmar Bergman, der frühe italienische Nachkriegsfilm »In Frieden leben«, »Der Rikschamann« aus Japan, Fellinis »La Strada« und Stanley Kramers »Flucht in Ketten«, Konrad Wolfs »Sterne« (...) sie alle (und die Reihe ließe sich lange fortsetzen) enthalten, ohne auch nur mit einem Wort davon zu sprechen, jenen Funken vom Geist des Evangeliums, nach dem man in manchen lauthals angepriesenen ›biblischen‹ und ›kirchlichen‹ Filmen vergebens suchen würde. Sie atmen den Geist des ›Liebet eure Feinde‹ und des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter. Sie sind damit ein Stück Verkündigung, auf ihre Weise.« Eine damals sehr moderne Position.

Schmidts Programm hat etwas von einer Utopie zu vorgerückter Stunde. Es setzt eine ausführliche Analyse der Filme voraus, einen Willen, sich auf die Filme einzulassen, und den hat es, zumindest in den Anfangsjahren, kaum gegeben. In den ersten Jahren brachte der EFB in der Hauptsache Kurzkritiken, die eine ausführliche Analyse kaum erlauben. Von den 238 Filmbesprechungen des ersten Jahrgangs dürften höchstens 10 Prozent eine Länge gehabt haben, die einer heutigen Durchschnittskritik entspricht. Der Redaktion und den Autoren, die zum größten Teil Pfarrer waren, geht es um Bewertung und Beeinflussung. Nachgerade gefürchtet wird die Subjektivität der Kritik. »Daß wir dieser Gefahr stets ausgesetzt sein müssen, wird jedem klar sein. Man wird ihr nicht durch ein internationales Werteschema, sondern nur dadurch begegnen können, daß die Kritiker sich immer und immer wieder unter die Zucht des Kreuzes rufen.« (EFB 24/49)

„So geht es nicht“

Die Bewertungen im »Film-Beobachter« haben immer etwas Kategorisches. Über »Herzkönig«: »Wenn ein Film abzulehnen ist, so dieser. Nicht nur seiner Schweinereien wegen, sondern weil er auch maßlos albern ist.« (EFB 1/49) Über »Black Narcissus«: »Der angesehene evangelische  Christ besucht ihn nicht.« (EFB 23/49) Über Das Vermächtnis: »Es muß leider gesagt werden: Sie (die religiöse Atmosphäre) fällt in ihm peinlich auf. Der Film ist nicht etwa heidnisch oder antikirchlich. Er ist katholisch.« (EFB 1/49)

Die Kritiken nehmen dem Leser das Denken ab, wenn sie schon in ihrem ersten Satz mit der Tür ins Haus fallen. »Der Film hinterläßt keinen bleibenden Eindruck, aber doch einen angenehmen«, »das hätte ein guter Film werden können«. Über 1 x 1 der Ehe«: »Wie unschwer vorauszusehen war, ist dieser Film die üblich alberne Angelegenheit mit reichlicher Hysterie. Damit wäre für eine evangelische Filmkritik eigentlich alles gesagt.« (EFB 23/49) Über »Unser Mittwoch Abend«: »So geht es nicht. Alles ist verlogen in diesem Film.« (EFB 1/49)

Natürlich ist es billig, Kritiken für einen Duktus abzuurteilen, der doch auch der Entstehungszeit geschuldet ist. Die späten vierziger und die gesamten fünfziger Jahre waren für die Filmkritik schwere Jahre. Auch in den Feuilletons war die Filmkritik nicht sehr angesehen, obwohl große Tageszeitungen wie die »Süddeutsche« sich durchaus um den Film bemühten. Viele Tageszeitungen, etwa die »Frankfurter Rundschau«, brachten Kritiken oft nur im Lokalen unter, da es den Massenstart von Blockbustern damals nicht gab und in den Städten kein einheitliches Filmangebot existierte. Vielen Kritikern fehlte nach der Gleichschaltung der Medien und der vom Staat verordneten offiziellen Filmbetrachtung in der Nazizeit nicht nur das Handwerkszeug, sondern auch die Erfahrung, da ja auch sie von den Entwicklungen der Weltkinematographie für Jahre abgeschottet waren. Und die meisten bekannten Größen der Filmkritik der Fünfziger hatte unter den Nazis günstigstenfalls überwintert.

„Schöne Aufnahmen von Pferden auf der Koppel“

Im Unterschied zu den religiösen und sittlichen Schlüsselreizen haben die Autoren des EFB beide Augen zugedrückt, wenn es um die Kontinuität der deutschen Geschichte ging. Fast das gesamte Personal der Filmproduktion der Nachkriegszeit hat seine Karriere schon in der Nazizeit begonnen, aber nie, soweit ich sehen kann, hat der »Film-Beobachter« diesen Umstand thematisiert. Die Autoren, die ihre Leser gegen die »Sünderin« auf die Straße schickten, verschlossen ihre Augen vor so manchem Protest gegen Regisseure mit schmutzigen Händen. 1951 etwa kam es überall zu Protesten gegen »Unsterbliche Geliebte«, den ersten Nachkriegsfilm des Regisseurs Veit Harlan, der mit Jud Süß einen der übelsten antisemitischen Hetzfilme gedreht hatte. Schon in den ersten Sätzen stiehlt sich die Kritik im »Film-Beobachter« aus der Verantwortung: »Es kann nicht die Aufgabe der Filmbesprechung sein, zu der Person und dem Schaffen von Veit Harlan Stellung zu beziehen« (EFB 3/51). Aha.

Blind war der »Film-Beobachter« auch gegenüber den Reprisen, Filmen aus der Nazizeit, die nach und nach wieder auf den deutschen Markt kamen. Nicht jede Kritik einer Komödie oder eines Musikfilms muss die Vorgeschichte ihres Regisseurs thematisieren, aber selbst gegenüber Regisseurinnen und Regisseuren, von denen manche Filme noch heute unter Verschluss sind, zeigt sich der »Film-Beobachter« von einer ungewohnt wohlwollenden Seite. »Tiefland« von Leni Riefenstahl wird positiv besprochen, ohne auf die Verbindung der Regisseurin mit dem Naziregime oder wenigstens auf ihre mindestens problematischen Dokumentarfilme einzugehen. Zur Wiederaufführung von Artur Maria Rabenalts nationaleuphorischem Film »Reitet für Deutschland« (1941) heißt es in einem offiziös mit »EFB« gezeichneten Beitrag in erschreckender Hilflosigkeit: »Darstellung, Kameraführung, Schnitt und Musik werden dem Stoffe gerecht. Schöne Aufnahmen von Pferden auf der Koppel und gut geschnittene Szenen vom Turnier sind die wertvollsten Bestandteile dieses Films, der das Reiterleben des Freiherrn von Langen in groben Zügen nachzuzeichnen versucht. Die meisten von uns werden diesen grundanständigen und sauberen Film ›in jenen Jahren‹ mit leicht geschwellter Brust gesehen haben.« (EFB 48/52)

»Sauber«, das ist ein im »Film-Beobachter« oft verwendetes Wort aus dem  Wörterbuch des Unmenschen, das der »Film-Beobachter« unreflektiert benutzt. Wenig Fingerspitzengefühl zeigt der »Film-Beobachter« auch in seinem Umgang mit dem Antisemitismus, wie er überhaupt die – allerdings spärlich vorhandenen – politischen Aspekte der frühen Nachkriegsfilme unter den Tisch kehrt. In »Der Ruf« mit und nach einem Drehbuch von Fritz Kortner kehrt ein Hochschulprofessor aus der Emigration nach Deutschland zurück und wird von den nazistisch und antisemitisch gesonnenen Studenten behindert. Der EFB widmet dem Film nur einen kurzen Text, gerade eine Spalte, lobt ihn zwar ausdrücklich, aber merkt auch an: »Die Zeichnung der reaktionären und antisemitischen Studentengruppe an der Universität ist so verallgemeinert, daß sich mit Recht die neue akademische Jugend davon beleidigt fühlte. (...) Etwas von der schicksalsschweren Tragik des Judentums klingt bei Kortner hindurch und mahnt uns an die Menschlichkeit.« (EFB 2/50). »Kirche und Film« hat diesen Film übrigens wesentlich wohlwollender, ohne politische Scheuklappen, besprochen. Bei dem Film »Lang ist der Weg« wird gar auf die »Schicksalsgemeinschaft« hingewiesen, »die heute Juden und Deutsche als die Parias unter den Völkern eint«. (EFB 2/48). Selbst wenn man berücksichtigt, dass die ersten Hefte möglicherweise unter Zeitdruck und in materieller Not entstanden sind: Eine solche Passage hätte keinem Redakteur durchgehen dürfen.

Das Problem des »Film-Beobachters« sind nicht unbedingt die Filme mit Anspruch, vorausgesetzt, es taucht in ihnen kein Suizid, keine Blasphemie oder kein nacktes Fleisch auf. Zumindest werden die auch damals schon als »anspruchsvoll« gehandelten Filme seriös und ausdauernd besprochen. Schwierigkeiten hat der »Film-Beobachter« mit dem ganzen Bereich des Genrekinos, mit den Kriminalfilmen, damals »Reißer«, den Western, die man »Wild-West-Filme« nannte, oder auch den Melodramen, die dem »Film-Beobachter« immer wegen der Gefahr eines Zuviels an Liebesszenen suspekt waren.

Der Modernisierungsschub

Filmkritik gehörte nicht zu den Stärken von »Kirche und Film«. Mit dem neuen Redakteur Dietmar Schmidt wurde »epd Kirche und Film« seit 1953 zu einer Chronik der laufenden Ereignisse des Films. Wer sich heute umfassend über die Vorgänge eines Filmjahres informieren möchte, für den wird »Kirche und Film« eine unerschöpfliche Quelle sein. Schmidt änderte das Konzept dieses »Dienstes« wenig, erfüllte es aber mit neuem Leben. Im vorderen Teil des Heftes finden sich längere Artikel, dann folgen kleinere, nicht namentlich gezeichnete Meldungen und Berichte. Schmidt richtete das Blatt verstärkt auf ein Fachpublikum aus, auf Multiplikatoren in der Presse, in der Verwaltung, der Szene. »Kirche und Film« blieb bis zum Schluss eine Fachpublikation, schlicht gemacht und mit dem Preis einer nominal niedrigen Auflage. Aber Schmidt brachte verstärkt Festivalberichte und sicherte seinen Lesern den gerade in den fünfziger Jahren notwendigen Blick über den Tellerrand. In den Sechzigern war »Kirche und Film« neben dem katholischen Pendant »Film-Korrespondenz« die einzige Publikation, die konstant Hintergrundinformationen lieferte.

Die Bedeutung von »epd Kirche und Film« für die Filmszene und die Achtung, die es trotz geringer Auflage in ihr genoß, ergibt sich zu einem Großteil aus dem Umstand, dass die Publikation frühzeitig und seismographisch Bewegungen registrierte, deren Kraft erst später zum Tragen kommen sollte. Schmidt hat etwa in Heft 11/62 Alexander Kluges berühmten Aufsatz »Was wollen die ›Oberhausener‹?« veröffentlicht, die vielleicht wichtigste programmatische Äußerung im Umfeld des Oberhausener Manifests. Mit Sicherheit gehören die sechziger Jahre zu den stärksten Jahrgängen von »Kirche und Film« – als aufmerksam das beobachtet wurde, was wir heute Junger Deutscher Film zu nennen gewohnt sind. Aber das ist eine andere Geschichte.

Lektüre

Dieser Text ist die überarbeitete Version eines Vortrags, den der Autor 1998 in der Evangelischen Akademie Arnoldshain hielt. Erschöpfend Auskunft über die Geschichte der evangelischen Filmpublizistik gibt die Dissertation von Anne Kathrin Quaas: Evangelische Filmpublizistik 1948–1968. Beispiel für das kulturpolitische Engagement der evangelischen Kirche in der Nachkriegszeit. Mit dem epd hat sich Hans Hafenbrack in seiner Geschichte des Evangelische Pressedienstes durchaus kritisch auseinandergesetzt.

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