Sundance Festival 2024: Die Sicht von weit weg

»In The Summers« (2024). © Sundance Institute

»In The Summers« (2024). © Sundance Institute

Das Sundance-Festival bietet als Einziges der großen Festivals noch die Onlinesichtung an. Über die Jahre ein interessantes Experiment

Ein Festival online zu rezipieren, kann natürlich nie mit dem realen Event mithalten. Das Experimentieren mit der Form, zu dem das im Januar stattfindende Sundance wie sonst keines der großen Filmfestivals in den Corona-Jahren gezwungen war, hat aber diesbezüglich spannende Ergebnisse hervorgebracht. 2021 gab es die reine Online-Ausgabe, mit täglichen Videobotschaften der damaligen Direktorin Tabitha Jackson, vorproduzierten Clips, die die Geschichte des Festivals und seine einschlägigen Orte vorstellten, und Virtual-­Reality-Begegnungsstätten, in denen man per Avatar auf Bekanntensuche gehen konnte. So kreativ und mit Verve wurde nirgendwo anders »online only« umgesetzt; für alle, für die der Aufenthalt in Park City ein unbezahlbarer Traum ist, war es eine großartige Möglichkeit, das Festival kennenzulernen. 2022 sollte dann »hybrid«, wie es nun heißt, stattfinden. Eine Woche vor Beginn musste doch erneut auf »online only« umgestellt werden. Die mangelnde Planungszeit machte sich in einem weniger liebevollen Onlinekonzept bemerkbar. Als 2023 das Publikum vor Ort zurückkehrte und Eugene Hernandez überraschend plötzlich Tabitha Jackson als Direktor ablöste, wurde die Onlinepartizipation fühlbar zum Nachgedanken; man behielt sie offenbar vor allem bei, um die kommerziellen Auswertungsmöglichkeiten auszuloten. Wo 2021 und 2022 auch der internationalen Presse der Zugriff aufs gesamte Programm garantiert wurde, gab es nun Einschränkungen, verständlicherweise gerade bei den kommerziell interessantesten Titeln. Und obwohl das Online-Erlebnis sich in diesem Jahr wieder verbessert hat – zu jedem Film konnte man nicht nur die aufgenommene Grußbotschaft der Filmemacher abspielen, sondern auch das Q&A vor Publikum –, gerät die Berichterstattung mit reinem Onlinezugriff unausgewogen, wenn die namhaftesten Titel wie in diesem Jahr zum Beispiel der neue Film von Steven Soderbergh, »Presence«, nicht zugänglich sind. Hier dennoch eine kleine Auswahl von Lieblingsfilmen:

© Sundance Institute/Sean Price Williams.
»Between the Temples« (Nathan Silver). Zuerst scheint der mit Jason Schwartzman und Carol Kane prominent besetzte Film wie ein »Indie« aus guten alten Zeiten: sichtbar Low Budget, ulkig-skurrile Figuren, Schauspieler, die Freude am Spiel haben. Aber dann entwickelt das Drama um Trauer, Alter und jüdische Identität einen emotionalen Sog, dem man sich kaum entziehen kann.

»Every Little Thing« (Sally Aitken). Aitkens Dokumentarfilm, ausgezeichnet mit dem Grand Jury Prize, porträtiert Terry Maeser, die in Los Angeles eine Art Asyl für Kolibris führt. Mit erstaunlicher Kameraarbeit nähert sich der Film vor allem den kleinen Vögeln, die zu den eigentlichen – mal tragischen, mal heldenhaften – Protagonisten werden.

© Sundance Institute
»A Real Pain« (Jesse Eisenberg). In seiner zweiten Regiearbeit reist Jesse Eisenberg in seiner üblichen Persona als gehemmter, aufs Richtigtun bedachter Mann an der Seite eines viel schamloseren Vetters (Kieran Culkin) auf »Holocaust«-Tour nach Polen – woraus eine erstaunlich tiefgehende Reflexion über Familientraumata wird.

© Sundance Institute
»In The Summers« (Alessandra Lacorazza). Zwei Schwestern verbringen die Sommerferien ihrer Teenagerjahre beim von der Mutter geschiedenen Vater: Lacorazza gelingt das einfühlsame Porträt eines belasteten, komplexen und doch nie ganz hoffungslosen Vater-Tochter-Verhältnisses. Der Film erhielt den Grand Jury Prize der Sektion Drama.

»Good One« (India Donaldson). Wie subtil noch immer die gesellschaftliche Erwartung an junge Frauen wirkt, in erster Linie für andere da sein zu müssen, das zeigt India Donaldson meisterhaft in ihrem auf leisen Füßen daherkommenden Film über eine 17-Jährige, die mit ihrem Vater und dessen bestem Freund auf Wandertour geht.

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