Kritik zu America

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Ofir Raul Graizers (The Cakemaker) zweiter Film erzählt von einer konstruiert erscheinenden Dreiecksbeziehung, während gekonnte Auslassungen tief blicken lassen

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Es beginnt und endet im Wasser. Eli (Michael Moshonov) arbeitet als Schwimmlehrer in Chicago. Mit viel Geduld nimmt er Jungs, die noch nicht schwimmen können, die Angst vor dem nassen Element. Die Nachricht vom Tod seines Vaters, die ihn nach zehn Jahren erstmals zurück in seine Heimat nach Tel Aviv führt, versetzt ihn nicht gerade in Trauer. Das sind die Ausgangskoordinaten einer elliptischen Geschichte, deren Lücken Ofir Raul Graizers zweite Regiearbeit nach seinem viel beachteten Debüt »Cakemaker« kunstvoll und mit viel Gespür ausfüllt.

Mit zwei Stunden nimmt der Autorenfilmer sich viel Zeit. »America« benötigt einigen Anlauf. Gemächlich erzählt der Film, wie Eli seinen Jugendfreund Yotam (Ofri Biterman) wieder trifft. Unausgesprochenes zwischen den beiden deutet sich in unterschwelligen Gesten an. Während einer Wanderung an einen erinnerungsbeladenen Ausflugsort, einen pittoresken Wasserfall, kommt es zur Tragödie. Ein unglücklicher Sturz raubt Yotam das Bewusstsein. Die Ärzte befürchten, dass er nicht mehr aus dem Koma erwacht.

Seine äthiopische Verlobte Iris (Oshrat Ingadashet) gibt Eli die Schuld. Allmählich aber knüpfen beide zarte Bande. Iris wird schwanger – doch dann erwacht Yotam aus dem Koma. Was in der Zusammenfassung soapig und konstruiert klingt, erweist sich als Aufhänger für einen doppelbödigen, atmosphärischen Film. Backstories drängen sich wie Gespenster in die Geschichte hinein.

So ist nur nebenbei zu sehen, wie im Haus von Elis verstorbenem Vater Gewehre an der Wand hängen. Nicht minder beiläufig ist zu erfahren, dass der hochdekorierte Polizist und Kriegsheld seine Frau geschlagen hat. Wohl deswegen änderte Eli seinen Nachnamen von Greenberg zu Cross: »Ein bisschen radikal, nicht wahr?«, merkt ein Polizist an. Man ahnt, dass es hier auch um die besondere historisch-politische Situation Israels geht, auf die aber nur allegorisch angespielt wird. 

In geschickt platzierten Auslassungen entfalten sich die Charaktere. Mit melancholischer Präsenz verkörpert Michael Moshonov den Auswanderer Eli, der die Schuld seines Vaters nicht wirklich begleichen kann. Oshrat Ingadashet spielt als Iris eine Frau, die mit ihren religiösen Eltern brach, weil diese sie zwangsverheiraten wollten. Mit ihrer Haut – vor allem aber mit ihren liebevoll beobachteten Blumensträußen – bringt die Floristin buchstäblich Farbe in den Film. Die homoerotische Beziehung zwischen Eli und Yotam ist am Ende nur zu erahnen.

Mit dieser über Bande erzählten Dreiecksbeziehung, vor allem aber mit den für die große Leinwand bestimmten Bildern, verbeugt der schwule, in Berlin lebende israelische Regisseur und Kochbuchautor sich diskret vor Pedro Almodóvar. »America« ist ein introvertiertes Melodram, dessen liebevoll gezeichnete Charaktere ihre Geheimnisse erst ganz allmählich offenbaren. Ein Film für den zweiten Blick.

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