Cannes: Die Selbstkopie verletzt kein Copyright

»Asteroid City« (2023). © Pop. 87 Productions/Focus Features

Die künstliche Intelligenz und der Einfluss von Plattformen wie ChatGPT auf den kreativen Prozess sind auch auf dem Filmfestival von Cannes in diesem Jahr ein wichtiges Thema. Während im Spezial-Effekt-Bereich der Einsatz von »artificial intelligence« (AI) schon seit längerem üblich ist, bereiten ihre erstaunlichen Fortschritte in Sachen Sprache allerorten Unwohlsein. Werden bald ganze Drehbücher von AI verfasst? Und wenn ja, wem gehört dann das Copyright?

Dass es sich bei »Asteroid City« um einen Film des US-amerikanischen Regisseurs Wes Anderson handelt, erkennt man auch ohne Copyright-Expertise auf den ersten Blick. Da ist das verspielte Setting, mehr Puppenstube als Drehort: ein unwirklich scheinender, fiktiver Wüstenort mit einer Tankstelle, einem Diner und einem Motel, in dem sich eine kleine Reihe von Familien versammelt, um ihre Sprösslinge an einer »Junior Stargazer Convention« teilhaben zu lassen. Man schreibt angeblich das Jahr 1955; die anreisenden Familien sind alle auf je eigene Art exzentrisch.

Was sich weiter ereignet, ist die bei Anderson übliche, bizarr-pittoreske Verknüpfung von Ereignissen, die viele weitere berühmte Schauspieler involviert, aber keine wirklich nachvollziehbare Handlung ergibt. Zumal das Wüsten-Geschehen von Anderson gleich doppelt in weitere Kontexte verpackt wird: In Wahrheit sehen wir ein Theaterstück, dessen Entstehung in der Rahmenhandlung in einem TV-Dokumentations-Setting in Schwarzweiß und mit Bryan Cranston als Moderator rekapituliert wird.

Einerseits mit dem in Cannes üblichen jubelnden Applaus bedacht, der vor allem auch der langen Riege an Stars (unter anderem Scarlett Johansson, Jason Schwartzman, Tom Hanks, Steve Carrell, Bryan Cranston, Adrien Brody und Margot Robbie) geschuldet war, die Anderson an die Côte d'Azur begleiteten, erntete »Asteroid City« in erster Linie lauwarme Kritiken. Darunter fanden sich einige, die den neuen Film mit einem Produkt verglichen, den so ähnlich auch ein AI-Bot, den man mit dem Anderson'schen Werk gefüttert hätte, ausspucken würde.

Seinen eigenen Manierismen bleibt aber auch der finnische Regisseur Aki Kaurismäki verdächtig treu, der mit seinem neuen Film »Fallen Leaves« nach langen Jahren der Abwesenheit in den Wettbewerb von Cannes zurückkehrt. Zuletzt war er hier 2011 mit »Le Havre« vertreten. »Fallen Leaves« enthält nun wieder alles, was die frühen Werke von Kaurismäki so besonders und so beliebt machte: Einen Plot wie aus einem anderen Jahrhundert – einsame Arbeiterfrau liest einen Tagelöhner auf, sie gehen ins Kino, verlieben sich und müssen nach Missverständnissen und Unglücken erst zueinander finden –, eine Erzählweise gespickt mit cineastischen Anspielungen, dazu karge Dialoge, atmosphärisch-hässliche Aufnahmen von Helsinki und ein elaboriertes Farbdesign. Obwohl man Kaurismäki hier eine Art Plagiat des eigenen Werks vorwerfen könnte, kam »Fallen Leaves« bei den Filmfans in Cannes ausgesprochen gut an und wird sogar – neben »The Zone of Interest« von Jonathan Glazer – als einer der großen Favoriten auf die Goldene Palme gehandelt.

Auch die österreichische Regisseurin Jessica Hausner hat ein wiederkehrendes Thema in ihren Filmen. Immer wieder geht es ihr um geschlossene Gemeinschaften und die Auswirkungen von Fanatismus. In ihrem neuen Film »Club Zero« spielt Mia Wasikowska eine Lehrerin an einer Privatschule, die einen Kurs für »bewusstes Essen« anbietet. Ihre Schüler und Schülerinnen führt sie damit bald in eine Sucht und Abhängigkeit, in der sich allerlei Themen unserer Zeit widerspiegeln sollen: die heraufziehende Klimakatastrophe genauso wie Kritik an Konsum, Ungleichheit und Wachstumsglaube. Das virulente und anscheinend doch auf der Hand liegende Thema Essstörung aber blendet Hausner in ihrem ästhetisch streng und ambitioniert gehaltenen Film aus. Nicht unähnlich wie bei Anderson wirken ihre Figuren eher wie Marionetten, die roboterhaft das Spiel der Regisseurin ausführen. Wo bei Anderson aber trotzdem sehr viel Gefühl, Empathie und sogar Rührung entsteht, lässt Hausner in jeder Hinsicht kalt. Vor allem auch das Publikum und Kritik in Cannes.

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