Leben am Rande

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Rund ein Dutzend Fahrgäste steigen in das Sammeltaxi ein, das durch Teheran fährt. Am Steuer: der Regisseur Jafar Panahi, der vor fünf Jahren im Iran zu sechs Jahren Haft sowie zu 20 Jahren Jahren Arbeits- und Berufsverbot verurteilt wurde; nur durch Zahlung einer Kaution kam er frei. Es sind schillernde, doch ganz alltägliche Fahrgäste, die in »Taxi« in Panahis Auto steigen, ein glühender Befürworter der Todesstrafe, eine Anwältin, deren Mandantin vom Hunger- zum Durststreik übergeht, zwei ältere Damen, die ihre im offenen Glas transportierte Goldfische aussetzen wollen, ein Videohändler, der mit dem berühmten Regisseur einen Deal machen will.

Schon als bei der Preisverleihung der Berlinale der Jury-Präsident, der Regisseur Darren Aranofsky (»Noah«), sagte, der auszuzeichnende Filmemacher habe sich durch die Verhältnisse nicht unterkriegen lassen, jubelte der Saal. »Taxi« von Jafar Panahi hat den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen. Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen dem oppositionellen Iraner und dem Festival: 2006 gewann sein Film »Offside« über einen weiblichen Fußballfan einen Silbernen Bären,  2011 lud ihn Festival-Chef Dieter Kosslick in die Jury ein, er durfte aber nicht ausreisen, 2013 zeigte er im Wettbewerb den wie »Taxi« aus dem Iran herausgeschmuggelten Film »Pardé«.

Den Preis entgegennehmen konnte Panahi natürlich nicht. Er blieb wie ein anderer Regisseur, der öffentlichkeitsscheue Terrence Malick, dessen larmoyanter »Knight of Cups« von der Lebenskrise eines Drehbuchautors in L.A. erzählt, der Berlinale fern. In Empfang genommen hat die Statue dann Panahis Nichte. Sie spielt im Film ein zehnjähriges Mädchen namens Hana, das von Zensur im Filmunterricht erzählt und mit einer Kamera in der Hand den Onkel ausfragt. Sicherlich ist der Goldene Bär auch als politisches Statement zu verstehen, dennoch ist Panahis Film auch von einer tiefen Menschlichkeit und einem leisen, subversiven Witz durchdrungen.

So richtig auf dem Schirm als Kandidaten für den Goldenen Bären hatte man »Taxi«, der am ersten Festivaltag lief, am Ende nicht mehr. Was für die Qualität des Wettbewerbs in diesem Jahr spricht. Es gab ästhetische Experimente. Sebastian Schipper zeigte in seinem fulminanten »Victoria« die Odyssee einer Gruppe junger Leute durch den frühen Morgen Berlins. Schipper hat den ganzen Film in einer einzigen Einstellung gedreht, 140 Minuten lang, vom nächtlichen Herumdriften auf den Dächern der Stadt bis zum Bankraub und der anschließenden Schießerei am frühen Morgen. Und wer den Film des Russen Alexej German jr. gesehen hat, »Under Electric Clouds«, wird dessen fahle, ausgebleichte Bilder nicht vergessen. Germans sieben Episoden spielen im Jahr 2017, in einem postapokalyptischen Zwischenzustand, in dem die baulichen Überreste gescheiterter Utopien herumstehen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Kameraleute dieser beiden Filme, Sturla Brandth Grovlen (»Victoria«) sowie Evgheniy Privin und Sergey Mikhalchuk für ihre Arbeit Silberne Bären erhalten haben.

Mit den großen Namen des Weltkinos konnte der Wettbewerb in diesem Jahr, wie schon so oft, nicht protzen – und wenn, dann enttäuschten sie. Werner Herzog lieferte mit seiner US-Produktion »Queen of the Desert« ein seifiges Wüstenepos, Peter Greenaway versuchte in seinem »Eisenstein in Guanajuato« den berühmten sowjetischen Filmregisseur Sergej Eisenstein eher bemüht vom Sockel zu stoßen. Nein, in diesem Jahr überzeugten die kleinen Filme, die von den Rändern dieser Welt kamen. Pablo Larrains ebenfalls in ausgebleichten Farben fotografierter »The Club« über gefallene katholische Priester in Verbannung an der chilenischen Küste etwa (Großer Preis der Jury). Oder der auch aus Chile stammende Dokumentarfilm »The Pearl Button« von Patricio Guzman, die einzige Doku im Wettbewerb, der einen großen Bogen schlägt von der Ausrottung der Ureinwohner Patagoniens bis hin zu den Opfern des Pinochet-Regimes. Er erhielt den Preis für das beste Drehbuch sowie den Preis der Ökumenischen Jury.

Die zwei größten Entdeckungen des Wettbewerbs stammten auch aus Ländern weit weg von unserem Kulturkreis. »The Volcano« von Jayro Bustamente taucht ein ins Leben einer armen gualtemaltekischen Kaffeepflückerfamilie: die Tochter soll an einen der Vorarbeiter verheiratet werden, möchte aber lieber mit einem Gleichaltrigen davon. Ohne großes Aufhebens erzählt der Film von den Arbeitsbedingungen der indigenen Bevölkerung im Hochland, von ihren Traditionen und ihrer Armut. Konnte das kleine Meisterwerk »The Volcano« immerhin noch den Alfred-Bauer-Preis gewinnen, so ging der vietnamesische Beitrag »Big Father, Small Father and Other Stories« unverständlicherweise leider leer aus. Die zweite Arbeit von Phang Dang Di ist wie Schippers Film das Porträt einer Clique, voller Gewalt und Begehren, eingefangen in hypnotischen Bildern. 


 

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