Wie viel Leistung will man sich leisten?

Eigentlich müssten mit dem medialen Wandel in Kaliornien wieder Goldgräberzeiten angebrochen sein. Die wachsende Zahl von Streamingplattformen braucht immer mehr von dem, was man heute ratlos "Content" nennt. Davon müssten Drehbuchautoren normalerweise auch profitieren. Tatsächlich jedoch, beklagt deren Gewerkschaft, sind ihre Honorare rückläufig.

Der aktuelle Drei-Jahres-Vertrag, den sie mit der Allianz der Film- und Fernsehproduzenten geschlossen hat, läuft zum 1. Mai aus. Verhandlungen führen die Tarifparteien bereits seit dem 20. März. Am vergangenen Montag brach die WGA (Writers' Guild of America) sie wegen mangelndem Entgegenkommen der Produzenten ab. Sage und schreibe 98 Prozent ihrer Mitglieder stimmten dafür, zu streiken. Die Gilde ist kampfbereit und durchaus zuversichtlich, denn unlängst ist sie aus den Verhandlungen mit Talentagenturen erfolgreich hervorgegangen.

Der Branche sitzt der Drehbuchautorenstreik von 2007/ 2008 noch schwer in den Knochen. Ein Ökonom hat ausgerechnet, dass er die Industrie und die Stadt Los Angeles fast 4, 5 Milliarden Dollar kostete. Die Summe ist inflationsbereinigt; sie umfasst allerdings auch nicht die verheerenden Folgen, die der Streik an anderen Produktionsstandorten wie New York und Georgia hatte. Die Ausfälle von Gagen waren dabei noch der geringste Faktor, die Infrastruktur der Zulieferer und Dienstleister musste noch weit höhere Verluste verbuchen. Dass »Ein Quantum Trost« ohne fertiges Drehbuch in Produktion ging und deshalb der kürzeste Bond-Film überhaupt wurde, ist da ein fast noch zu verschmerzender Kollateralschaden.

Mithin schlägt die Kolumnistin Mary McNamara in der "Los Angeles Times" nun laut Alarm: "Wir können uns diesen Streit nicht leisten."; erst recht nicht, nachdem gerade erst die Pandemie die Branche für rund ein Jahr lahmlegte. Zwar sind ihres Erachtens nicht alle der zahlreichen Forderungen der Drehbuchautorengilde erfüllbar, aber die Hauptschuld sieht sie nicht bei ihr. Eine Kernforderung neben einer angemessener Vergütung ist die beteiligung an zukünftigen digitalen Verwertungsmöglichkeiten. Da stellt sich die Produzentenallianz stur und argumentiert, man könne ja noch gar nicht wissen, wie die aussähen. Ich denke, das kann man durchaus für einen Vertragszeitraum von drei Jahren. Aus McNamaras sich hat der Wandel der Medienlandschaft ohnehin ein ziemliches Chaos auf der Gegenseite ausgelöst: traditionelle Strukturen der Fernsehproduktion lösen sich auf, die Streamingdienste beklagen Einbußen, während ihre Bosse weiterhin Multi-Millionen-Saläre einstreichen etc. Und die Studios? Ich zitiere: "The studios believe,,,well, I'm not sure what they believe. That the business has changed in ways they cannot control, except they are the ones in control?" McNamara will sich mit der Unversöhnlichkeit der Streitparteien partout nicht abfinden. Nein, einen Streik können wir uns nicht leisten.

Ted Sarandos, der CEO von Netflix, sieht einem Arbeitskampf hingegen gelassen entgegen. Wer weiß, ob durch Köpfe wie dem seinen nicht schon KI als Option schwirrt? Aber vorerst postuliert er: Sein Unternehmen sei besser als die Konkurrenz darauf eingestellt. Es produziere mit langem Vorlauf, da sind also etliche Serien und Filme im Wartestand, oder ein paar mit denen die Schaulust der Abonnenten noch für eine ganze Weile befriedigt werden kann. Zudem ist das Angebot international, anderswo wird mithin weiterhin an attraktivem Content gearbeitet. Von Einlenken und Entgegenkommen keine Spur. Der letzte Streik habe seine Firma seinerzeit allerdings hart getroffen. Am schlimmsten sei es jedoch für das Publikum gewesen, das er nicht so nennen mag. "...and it was very, very, very bad for fans." Mit dieser infantilisierenden Diktion mag ich mich nicht abfinden, die störte mich schon bei Jason Kilar (siehe Eintrag vom 19. 12. 20), der Warner Bros. vor drei Jahren ins Unglück stürzte und über den heute niemand mehr spricht.

Als der letzte Streik der WGA 2007 begann, unternahm Netflix gerade seine ersten Schritte im Streaming-Geschäft. Im Vorjahr hatte die Firma mit Video-on-Demand begonnen. 2006 war ohnehin ein Markstein in der Firmengeschichte, denn sie hatte ein wichtiges Etappenziel erreicht: die Liquidierung der einst riesigen Videotheken-Kette Blockbuster, die nun Insolvenz anmelden musste. Gewissermaßen das erste Opfer der Zeitläufte und des hartleibigen Führungsdous Hastings-Sarandos. Bis vorgestern hatte ich beinahe komplett vergessen, dass Netflix ja 1999 als DVD-Verleih begonnen hat. Dienstag verkündete der CEO, dass Netflix künftig der Versand der anscheinend heißgeliebten roten Umschläge im September einstellt. Ich war geradezu gerührt, dass die Firma an diesem inzwischen gründlich anachronistischen Geschäftszweig immer noch festhielt nach all den Jahren: So viel Traditionsbewusstsein passte doch gar nicht zu ihr! Aber Sarandos Krokodilstränen waren fürwahr staunenswert: Man nimmt mit mit großem Bedauern Abschied von einer geliebten Dienstleistung, die garantiert noch bis zur letzten Minute erbracht wird. Mittlerweile machen von ihr nur noch etwas über eine Million Abonnenten Gebrauch (immerhin noch mehr als in den Anfangsjahren); sie stellt gerade einmal ein halbes Prozent des Umsatzes dar. Manchmal führt im Leben kein Weg mehr zurück zu den Wurzeln.

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