Die enge Pforte

Im Filmmuseum in München läuft in diesen Tagen eine erstaunliche Reihe an, die das Comeback des Normalformats in Kino feiert. Für Fritz Göttler, der den hellichten, anspielungsreichen, versponnenen und unbedingt lesenswerten Einführungstext fürs Programmheft verfasst hat, verbindet sich diese Renaissance mit der Idee der Transzendenz.

Er rollt sie anhand von »First Reformed« auf, der 2017 noch ein zweites Comeback darstellte: das des Regisseurs Paul Schrader, der in jungen Jahren ein Buch über den "Transcendental Style" schrieb und seine diesbezügliche Befunde im Werk von Bresson, Dreyer und Ozu nun zielstrebiger denn je im eigenen Schaffen umsetzt. Zugleich erfährt man im Text viel über die Geschichte dieses Formats, das von der amerikanischen Filmakademie zu Beginn der Tonfilmära zum Standard erklärt wurde. (https://www.muenchner-stadtmuseum.de/fileadmin/relaunch 2019/5_Sammlungen/Filmmuseum/Filmreihen/PH50/PDFs/PH50_03-Academy-Format.pdf) Dabei ist sein Seitenverhältnis von 4:3 bzw. 1:1,33 eigentlich eine ungebührliche Begrenzung des menschlichen Blickfelds, das eher dem Format von 1:1,85 entspricht. Mit dem Aufkommen der Breitwandformate in den 1950er Jahren kam das "Normalbild" aus der Mode, verschwand aber nie ganz.

Heute dient es umso mehr der Konzentration, der Akzentuierung, Hervorhebung. Das Filmprogramm umfasst ein breites Spektrum des internationalen Autorenfilms. Es reicht von »Triple Agent« (Éric Rohmer, 2004) über »Jauja«/ »Das verschwundene Paradies« (Lisandro Alonso, 2014) bis »Godland« (Hlynur Pálmason, 2022) Das Kino hat sich aus der Enge und Klaustrophobie befreit, um nun aus freien Stücken zu ihnen zurück zu finden. Dass Hou Hsiao-hsien sein Schwertkampfepos »The Assassin« im Normalformat gedreht hat (und es darin dennoch prachtvoll wirkt), darf auf Anhieb schon verblüffen. Andererseits ist das ein Actionfilm, dessen Triebfeder das Zögern ist: ein Meisterstück dynamischer Kontemplation, ausgeführt in einer lyrischen Feinschrift, während sonst im Genrekino gröbere Pinselstriche vorherrschen.

Diese Rückkehr ist mitnichten ein weitflächiger Trend, wohl aber ein massives Nischenphänomen. Wie umfänglich es ist, mag eine Stegreifliste wichtiger Filme aus den letzten Jahren unterstreichen, die nicht in München zu sehen sind, beispielsweise »Das Ereignis« von Audrey Diwan, »Tabu« von Miguel Gomes sowie »Das blaue Zimmer« von Mathieu Amalric. "Acht Berge" hätte ich beinahe noch vergessen; Xavier Dolans »Mommy« hingegen gehört nicht dazu, denn der Kanadier hat ein sogar noch engeres, nämlich quadratisches Format gewählt.) Diese Rückbesinnung stellt einen Bruch mit den Sehgewohnheiten dar und ist mithin das Ergebnis eingehender Reflexion. Anders gesagt, Filmemacherinnen und Filmemacher müssen sich eigentlich immer für ihre ungewöhnliche Wahl rechtfertigen. So erklärt Kelly Reichardt beispielsweise, sie habe ihren Western »Auf dem Weg nach Oregon« (Meek's Cutoff) 2010 im Normalformat gedreht, weil die Planwagen nicht von Pferden, sondern Ochsen gezogen werden.

Für Fritz Göttler geht die Verwendung des Formats vielfach mit weiteren Gesten ästhetischer Rücknahme einher. Schrader hat seine Geschichte in desaturierte Farben getaucht, nähert sich dem Schwarzweiß an; die langsame Heranfahrt an die Kirche ist die einzige Kamerabewegung, die ich aus »First Reformed«. Die Frontalität seiner Kompositionen findet sich auch in »Grand Budapest Hotel« (wo wes Anderson allerdings munter die Formate wechselt), vor allem aber in »A Ghost Story« von David Lowery. Auch dort wird der zentrale Schauplatz mit einer eindrucksvollen Kamerafahrt eingeführt, einem gespenstisch vernebelten Travelling, das am Wohnhaus vorbeigleitet und weniger streng wirkt als Schraders Auftakt. Lowery selbst spricht von schachtelhaften Einstellungen, aber es geht ihm nicht allein um die genaue Vermessung des filmischen Raums, sondern um die Wahrnehmung von Zeit, die für einen Geist ja doch anders fließt als für unsereins. Auch hier tritt die Transzendenz auf den Plan, die Göttler so teuer ist. Mir erschien das Ganze seinerzeit als eine Etüde in kosmischer Folgenlosigkeit.

Als die Brüder Taviani 1977 ihren »Padre Padrone« im Normalformat drehten, standen sie in Interviews ebenfalls unter Rechtfertigungsdruck. Ursprünglich war er für das italienische Fernsehen gedreht worden, wo an 16:9 noch nicht zu denken war. Sie argumentierten, es sei nicht nur ein gutes Format für Porträts, sondern auch für Landschaften und verwiesen auf die "Mona Lisa". Außerdem, räsonierten sie, würden sie das, was sie an den Seiten einbüßten, oben und unten hinzugewinnen. Pawel Pawlikowski setzt diese Maxime in „Ida“ einige Jahrzehnte später mit enormer Konsequenz um. Den empty space, den leeren, ungenutzten Raum, mit dem viele Cinemascope-Filme arbeiten, verlegt er in die Vertikale. Die Verhältnisse im polnischen Kloster sind in vieler Hinsicht beengt, das winterliche Schwarzweiß unterstreicht dies. Diese Enge jedoch ist variabel, die Verhältnisse geraten aus den Fugen. Die einzige "ausgewogene" Einstellung behält er einem Selbstmord durch Fenstersturz vor. In den Außenszenen liegt die Horizontline ganz niedrig, der Himmel wölbt sich machtvoll darüber und nimmt mindestens zwei Drittel des Bildraums in Anspruch. Es ist viel Luft nach oben in diesem Film über Berufung und Anfechtung, in der Höhe der Einstellung ist genug Raum, um empor zu streben.

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