Der Uneindeutige

Der Starruhm von Timothée Chalamet ist ein Phänomen, das ich mit Freude und Unglauben betrachte. Ich gönne ihm diesen von Herzen, aber bin nicht sicher, ob er ihn verdient.

Seine Anziehungskraft und sein Talent ziehe ich überhaupt nicht in Zweifel. Seine Leinwandpräsenz faszinierend. Schon sein Name (er ist Sohn franko-amerikanischer Eltern) bürgt für ein Flair des Exotischen, überhaupt halten sich Geheimnis und Vertrautheit schön die Waage. Er verfügt über jenes innere Leuchten, das Filmstars nach außen kehren können: Seine Persona scheint in unterschiedlichen Rollen durch. Er scheint mühelos zu schweben in den Gefilden des mainstreamoffenen Arthouse-Kinos. Ausflüge ins Marvel-Universum hat er bislang abgelehnt. Und es ist ihm rasend schnell gelungen, zur Stilikone seiner Generation zu werden.

Ein klassisches, um nicht zu sagen: altmodisches Kriterium für den Starstatus erfüllt er indes nicht: lohnend viele Zuschauerinnen und Zuschauer in die Kinos zu locken. Er stellt einen verlässlichen Gefühlswert an der Kasse dar, aber ein Magnet ist er nicht. Gewiss, einige seiner Filme machten ordentlich Kasse, »Ladybird«, »Call Me By Your Name«, »Little Women«, mit »Der Wüstenplanet« konnte er einen Blockbuster unter Pandemiebedingungen verbuchen. Seine Präsenz trug maßgeblich zum Erfolg der Filme bei, jedoch nur als ein Faktor unter anderen. He doesn't open a movie, wie »Bones and All« im letzten Jahr nachdrücklich demonstrierte.

Solche Rechenspiele mögen obsolet erscheinen, wenn man 18 Millionen (Stand: Herbst letzten Jahres) Instagram-Follower hat. Chalamet wirft mithin spannende Fragen nach dem Positionswandelvon Leinwandidolen auf. Sein Star-Status schien mir anfangs noch etwas sehr herbeigeschrieben. Er ist ein Sehnsuchtsobjekt auch für Journalisten. Ein Branchenkenner, dessen Name mir gnädig entfallen ist, erklärte ihn nach seinem Durchbruch in »Call Me By Your Name« gar zu einem Nachfolger von Tom Cruise. Das wird er, siehe oben, mitnichten werden. Wenn überhaupt, folgt er höchstens noch Leonardo Di Caprio nach, der in frühen Rollen ebenfalls als sensibler, charismatischer Jugendlicher auffiel. Mit 27 Jahren steht Chalamet noch an der Schwelle. Das Traumpaar, das er mit Zendaya bilden soll, hielt ich im ersten Teil von „Der Wüstenplanet“ weitgehend für eine Behauptung. Sie haben so wenige Szenen zusammen! Schauen wir mal, ob sich in der Fortsetzung eine tragfähige Chemie zwischen ihnen entwickelt. Dieser Schauspieler ist ein Versprechen, das sich eigentlich immer erfüllt.

Der Zeitpunkt ist günstig, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Das Filmpodium Zürich macht dies gerade mit einer Retrospektive, die den Titel "Unicorn Timothée Chalamet" trägt. Keine schlechte Idee, ein Fabelwesen zu seinem Wappentier zu erklären! Das Leben und Umfeld seiner Charaktere wirkt oft genug verwunschen. Er trägt Züge einer zeitgenössischen Märchenfigur, was so viel heißt wie: Er scheint einer anderen, romantischeren Epoche entsprungen. In »A Rainy Day in New York« funktioniert das leidlich, selbst der hochtrabende Rollenname Gatsby passt gut zu ihm. Hier variiert er die romantische Persona, die sich in „Call me by your name“ formiert: vom Leben begünstigt, aus behüteten, diesmal sehr wohlhabenden Verhältnissen stammend, kein Schwärmer, aber ein kluger Träumer, schöngeistig und musisch veranlagt (er spielt gern Klavier in seinen Filmen), mithin ein Prinz, der wachgeküsst werden soll. Auch in »Der Wüstenplanet« ist er vorerst noch ein Anwärter. Seine private Legende verbindet sich übrigens mit dem Sohnsein in den Filmen, denn in der Regel ist er mit illustren Töchtern liiert.

Eine Freundin, die eine Schauspielagentur betreibt und einen besonderen Blick hat, finden an Chalamet spannend, dass er so androgyn wirkt. Genderfluid, wie es im Programmheft des Filmpodium heißt. Sein Antlitz ist in der Tat schillernd. Die Kinnlade ist verblüffend breit, die Gesichtszüge hingegen sind filigran, ja fragil, der Wuschelkopf signalisiert Eigensinn. Seine schmächtige Gestalt verleitet leicht dazu, ihn zu unterschätzen, zumal am wehrhaften Hof der Atreides. (Anders als Jason Momoa verbringt er wohl kaum Zeit im Fitnessstudio.) Sie macht ihn auch zu einem smarten Besetzungscoup in Luca Guadagninos räudigem »Bones and All«: Ein dünner Kannibale ist weniger abschreckend als ein wohlbeleibter. Seine eigentümliche Physiognomie wird im Dialog angesprochen, muss zwar nicht legitimiert, aber doch geklärt werden: „Wenn man so aussieht, muss man selbstbewusst auftreten.“

Bemerkenswert an diesem und vielen anderen seiner Film ist, dass man nicht klar sagen kann, ob nun er die Hauptfigur ist oder seine Partnerin. Diese Uneindeutigkeit ist reizvoll, er muss nicht zwangsläufig der male lead eines Films sein. Abgesehen von »Call Me By Your Name«, wo er die Erzählperspektive vorgibt, ist er der Andere, vielleicht gar Fremde, der betrachtet wird. In »Beautiful Boy« bleibt er lange vor der Kamera verborgen, Felix van Groeningen macht sich zunächst die Sicht des Vaters zu eigen. Wiederum ein Sohn, um den man sich sorgen muss. Vor allem aber ein schönes Beispiel dafür, wie sich Chalamets Unwiderstehlichkeit inszenieren lässt: durch die langsame Annäherung. Erst allmählich wird er zum Subjekt des Films, der eine ganze Weile abwartet, bis er das Hochgefühl spürbar werden lässt, in das ihn die Drogen versetzen. Davor war sein Leben in Schwarzweiß, bekennt er einmal, nun ist es in Technicolor.

Seine Karriere hat er bislang gut eingerichtet. Schwer zu sagen, ob und wie er sie plant. Vielleicht macht er das ehrgeizig und zielstrebig, vielleicht wählt er die Rollen auch aus Neugier. Man traut ihm Absichtslosigkeit zu. Er probiert aus, was wohl zu ihm passt. Das ist das Wunderbare an seinem Spiel in „Call me by your name“, man schaut ihm zu, wie er verspielt nach Gesten, Blicken und Haltungen sucht. Nun, fünf, sechs Jahre später, wird es allmählich ernst. Bei »Bones and All« fungiert er als Co-Produzent. Womöglich ist das ein Anzeichen, dass er eine größere Kontrolle ausüben will über das Bild, das er auf der Leinwand von sich zeigt. Man steht nicht ewig an der Schwelle. Aber es wäre schön, wenn es bei ihm noch eine Weile so bliebe.

 

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