Ausstellung: »Der deutsche Film. 1985 bis heute«

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Das Kino ist ein Kind der Industrialisierung, ein Produkt aus Physik und Chemie, undenkbar ohne Strom und entwickelte Feinmechanik. Eine Filmausstellung im größten Industriedenkmal Deutschlands, der Völklinger Hütte im Saarland, nicht weit weg von Saarbrücken, macht das sinnfällig. Wo bis 1986 die Schlote der Montanindustrie rauchten, kann man sich heute auf 97 großen Leinwänden und 30 Monitoren in der riesengroßen Gebläsehalle Ausschnitte aus deutschen Filmen von der Anfangszeit bis heute, von den Gebrüdern Skladanowsky bis zum Lehrerzimmer, anschauen. Jeder Ausstellungsort verändert auch unsere Sicht auf die Dinge, die zu sehen sind, und in den besten Momenten gehen Raum und Exponat eine Symbiose ein, die eine ganz neue Erfahrung verspricht. Vorgemacht hat es die grandiose Exposition ­»Cités-Cinés« 1987 in der Grand Halle de la Villette in Paris, eine der eindrucksvollsten Filmausstellungen überhaupt, die den Stadtbildern des Kinos nachspürte, mit gigantischen, Filmszenen nachempfundenen Kulissen, in oder auf denen die Ausschnitte aus den Filmen liefen. Völklingen ist nicht Paris, aber die 6 000 m² große Halle bietet eine ähnlich spektakuläre Raumerfahrung – und die Macher der Ausstellung, eine Kooperation zwischen der Völklinger Hütte und der Berliner Deutschen Kinemathek, spielen sehr subtil mit ihr. 

Fast 130 Jahre deutsche Filmgeschichte abzubilden – kein einfaches Unterfangen. Natürlich verlässt sich die Ausstellung, die sich auf den Spielfilm konzentriert, in ihren Ausschnitten auf die Klassiker: Asta Nielsens »Engelein«, »Das Cabinet des Dr. Caligari«, »Der letzte Mann«, Fritz Langs »M – Eine Stadt sucht einen Mörder«, aber auch die bleibenden Filme des west- und ostdeutschen Nachkriegskinos wie »Rosen für den Staatsanwalt« oder »Jahrgang 45«. Das folgt natürlich einem Kanon – aber eine solche Ausstellung ist auch nicht für diejenigen konzipiert, die sich als Fachleute damit beschäftigen. 

Neben den Filmausschnitten zeigt die Schau charismatische Exponate. Etwa eine Nachbildung der Roboter-Maria aus Fritz Langs opulentem Science-Fiction-Film »Metropolis«, inhaltlich ziemlicher Boulevard, aber stilprägend für das Genre – wie man auf Monitoren mit Ausschnitten aus »Blade Runner« und dem Animationsfilm »Ghost in the Shell« sieht. »Metropolis« ist vom Platz her wahrscheinlich der größte Raum in der Völklinger Halle gewidmet. Aber nirgendwo passt die Erzählung vom menschenverschlingenden Moloch besser hin als zwischen die großen, immer noch nach Öl riechenden Räder und Kolben der Völklinger Gebläsehalle. 

»Wer zum Führer geboren ist, braucht keine Lehre als sein eigenes Genie«, sagt der Industrielle Clausen im Ausschnitt aus dem NS-Propagandafilm »Der Herrscher«, während im Hintergrund die Schornsteine rauchen und die Feuer der Hochöfen leuchten. »Der Herrscher«, inszeniert vom willfährigen NS-Regisseur Veit Harlan, ist eine offensive Verherrlichung des Führerkults und der NS-»Volksgemeinschaft«. Man kann den Ausschnitt aber auch als eine Anspielung sehen auf die Unternehmerfamilie Röchling, der die Völklinger Hütte gehörte; Hermann Röchling war im Zweiten Weltkrieg »Wehrwirtschaftsführer« und wurde nach 1945 als Kriegsverbrecher verurteilt. Ausschnitte aus noch drastischeren Nazifilmen (»Ohm Krüger«, »Heimkehr« oder Harlans antisemitischem »Jud Süß«) zeigt die Ausstellung zum Glück nur auf einem kleinen Monitor. Übrigens findet sich auf dem Display des Audioguides (der sich auf die jeweilige Leinwand einjustiert) auch jede Menge schriftliches Begleitmaterial. 

In der Abteilung »Film im National­sozialismus« führt eine Treppe in den Untergrund der Halle. Da läuft in einem ganz schmalen, mit Betonwänden begrenzten Raum ein Ausschnitt aus »Die große Liebe«: Zarah Leander singt den Schlager »Davon geht die Welt nicht unter«, während vor ihr Wehrmachtssoldaten rührselig schunkeln. »Die große Liebe« kam im Sommer 1942 ins Kino, als die alliierten Bombenangriffe auf deutsche Städte schon begonnen hatten. Man fühlt sich in dieser Umgebung im Keller der Hütte wie in einem der Bunker, die das Leben der Deutschen in den letzten Kriegsjahren bestimmen sollten. Eine einfache und doch sinnfällige Inszenierung in einer beeindruckenden Schau. 

»Der deutsche Film. 1895 bis heute«. Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Bis 18. August 2024. 

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