Amazon: »The Horror of Dolores Roach«

»The Horror of Dolores Roach« (Serie, 2023). © Prime Video

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Frauen morden anders

Jemanden zu töten, sagte schon Alfred Hitchcock, ist harte Arbeit. Wie hart diese Arbeit wirklich ist, muss Dolores Roach (Justina Machoado) hautnah erfahren. Und zwar immer wieder. Dabei ist die quirlige Latina eine liebenswürdige und zartfühlende Natur. Legendär sind ihre »Zauberhände«. Mit ihnen löst die Masseurin hartnäckige Verspannungen im Nu. Doch eine Reihe unglücklicher Verwicklungen führen dazu, dass sie zur Mehrfachmörderin wird.

Die Idee zu dieser achtteiligen Amazonserie stammt von Aaron Mark. Der Drehbuchautor entwickelte die schwarze Komödie zunächst als Podcast. Inspirieren ließ er sich unter anderem von »Sweeney Todd – Der teuflische Barbier aus der Fleet Street«. In Tim Burtons Musical verkörpert Johnny Depp einen maliziösen Friseur, dessen Morde eine makabre kulinarische Dimension haben. Hauptfigur in Aaron Marks Version ist jedoch eine Frau. Und dadurch werden die Karten neu gemischt. Denn Frauen morden anders.

Um die Geschichte dieses lebensbejahenden Todesengels zu etablieren, muss der Achtteiler allerdings einigen Aufwand betreiben. So zeigt die Serie zu Beginn eine Broadwayshow über die schauerliche Mordserie der Dolores Roach. Nach der Vorstellung kommt die authentische Serienmörderin in die Garderobe der Hauptdarstellerin, um einige Dinge klarzustellen. Anfang der 2000er, so zeigt eine Rückblende, dealte Dolores im New Yorker Stadtteil Washington Heights. In diesem Viertel leben vorwiegend spanisch sprechende Emigranten aus der Dominikanischen Republik, deren Kultur und Lebensart in dieser Serie eine Schlüsselrolle spielen.

Nach Absitzen einer 16-jährigen Haftstrafe wegen Drogenhandels hat sich der alte Kiez von Dolores radikal verändert. Gedealt wird nicht mehr, die Häuser sind herausgeputzt, arrivierte junge Menschen säumen das Straßenbild. Stehen geblieben ist die Zeit allein im Empanada-Imbiss ihres alten Freundes Luis (Alejandro Hernandez). Um wieder auf die Beine zu kommen, bietet Dolores in dessen Keller Massagen an. Einer ihrer ersten Kunden ist der neue Hausbesitzer, dem der weltfremde Kiffer Luis die Miete für mehrere Monate schuldig geblieben ist. Da bei Dolores der Unterschied zwischen Wohlfühlmassage und Genickbruch marginal ist, scheint dieses Problem einstweilen gelöst. Wohin aber mit der Leiche? Als Luis' Empanadas dank neuer Rezeptur plötzlich reißenden Absatz finden, scheint auch die Frage der Spurenbeseitigung vom Tisch zu sein.

Nach schleppendem Beginn kommt die schwarze Komödie mächtig in Schwung. Gentrifizierung und Klassenkampf? Diese Motive sind nur ein Aufhänger. Die Serie erhebt keinen moralischen Zeigefinger. Logik und Folgerichtigkeit spielen bald auch nur noch eine untergeordnete Rolle im zunehmend frei drehenden Plot.

In der Titelrolle überzeugt Justina Machado, die dank ihrer Rolle in »Six Feet Under – Gestorben wird immer« in Erinnerung ist. Als patente Dolores verkörpert sie eine nicht gerade zierliche und auch nicht zimperliche Frau, die buchstäblich anpacken kann. Eigentlich will sie sich ja nur an ihrem Ex-Freund rächen. Denn der hat sie heimtückisch verraten und damit hinter Gitter gebracht. Lust am Töten? Hat Dolores nicht wirklich. Sie ist eine sensible Person mit Empathie für ihre Mitmenschen. Bezeichnen alte Freunde sie als »gemein«, so bereitet ihr dies ein schlechtes Gewissen. Mit ihrem Wunsch, eine schöne und saubere Umgebung zu schaffen, entspricht sie eigentlich einem weiblichen Stereotyp.

Nicht minder »typisch weiblich« ist aber auch Dolores' Unberechenbarkeit. Zu ihren – doch recht häufig geschehenden – Morden kommt sie meist wie die Jungfrau zum Kind. Warum sollte »female empowerment« nicht auch moralisch fragwürdige Aspekte miteinschließen? In diesem Sinn mischt die Serie Slapstick-Momente mit blutigen Szenen wie aus einschlägigen Splattermovies. Aaron Mark richtet eine vergnügliche Schlachtplatte aus Blut, Gedärmen und lateinamerikanischen Flüchen an. Für Veganer nur eingeschränkt zu empfehlen.

OV-Trailer

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