Sky: »Mare of Easttown«

»Mare of Easttown« (Serie, 2021). © Home Box Office

»Mare of Easttown« (Serie, 2021). © Home Box Office

Hinreißend pampig

Diese Serie über eine Kleinstadtpolizistin, die mehrere Fälle von verschwundenen und getöteten Mädchen lösen muss, wurde hauptsächlich am titelgebenden Originalschauplatz Easttown in der Nähe von Philadelphia gedreht. Und je länger man Mare Sheehan bei ihren Ermittlungen in die von Drogensucht und Depression geprägten Untiefen des Filmortes hinein begleitet, umso mehr ertappt man sich bei der Frage, welche Folgen dieses Rampenlicht auf diese bescheidene Ostküstenstadt wohl für das Image der realen Bewohner haben könnte. Denn die romanhaft ausgemalte Düsterkeit dieses Serienkosmos ist – hat man sich erst einmal auf die gemächliche Erzählweise eingelassen – paradoxerweise so anheimelnd und anziehend, dass die Handlung auch ohne den Motor eines »whodunit« spannend wäre.

Im Zentrum dieser Erforschung menschlicher Tragik und Unzulänglichkeit steht also Mare, eine geschiedene Mutter und Großmutter, die mit fast allen, die sie verhört, verwandt oder bekannt ist. Doch nicht nur von Berufs wegen ist ihre Perspektive gleichzeitig die einer Insiderin und Außenseiterin. Häppchenweise kommt der Grund für ihre eigene Verschlossenheit und Schroffheit zur Sprache, ohne dass aus ihrer traumatischen Vergangenheit je sentimentales Gewese gemacht werden würde. Auch in der Gegenwart hat Mare Grund genug für schlechte Laune, ist doch seit einem Jahr die junge Katie verschwunden. Deren Mutter wirft Mare, einst ihre beste Freundin, öffentlich vor, sich nicht genügend um den Fall zu kümmern. Tatsächlich hat Mare die drogensüchtige Katie schon abgeschrieben. Als aber die blutjunge Single-Mutter Erin erschossen im Wald aufgefunden wird, bekommt Mare den frischgesichtigen Ermittler Eric zur Seite gestellt. Er lässt sich weder von ihrer Unfreundlichkeit noch von ihren hemdsärmeligen Methoden entmutigen.

Kate Winslet gelingt als vom Leben niedergeschmetterte Polizistin, die obsessiv an der E-Zigarette zieht, nicht nur das Kunststück, mit ihrer formlosen Pummeligkeit und der herausgewachsenen Blondierung meist unansehnlich und dann wieder hinreißend auszusehen. Hinter Mares Erstarrung lässt sie eine Energie erahnen, die sich auch in kalter Skrupellosigkeit äußert. Zwar wirken nicht wenige Elemente des weit ausholenden Drehbuchs, darunter das Auftauchen eines Literaturdozenten, der sich um die unleidliche Polizistin bemüht, wie aus einem dümmeren Film gebeamt. Doch es ist geradezu eine Wohltat, dass Mare und auch anderen Frauen eine Vielschichtigkeit zugestanden wird, dank der sie, jenseits eines eindimensionalen Opferstatus, als Handelnde wahrgenommen werden und in vielen Facetten der Torheit, Bosheit und des tief sitzenden Grolls schillern dürfen. Das reicht von Mares täglichem verbalen Schlagabtausch mit ihrer sarkastischen Mutter bis zu handfesten, mit Wut und Sadismus ausgetragenen Auseinandersetzungen, mit denen Frauen ihre Agenda durchsetzen wollen.

Es ist kein reines Unterschicht-Milieu, das hier porträtiert wird, selbst wenn Häuser und Wohnungen betont ungestylt sind und Mare wie eine Verhungernde Fast Food in sich hineinschlingt. Doch jeder in diesen engen Familienverbänden hat eine potenziell existenzbedrohende Not in der Hinterhand. Das Panorama einer prekären Gesellschaft erinnert an »Nordic Noir«-Krimis, aber auch an Kinofilme wie »Mystic River« und »Manchester by the Sea«. Bestürzend ausgemalt ist besonders die Malaise von Kindern und Teenagern, die, grauenhaft pampig und innerlich waidwund, als eine »Lost Generation« erscheinen und weder auf Vater, Mutter, Priester noch Lehrer hoffen können. 

Insgesamt bekräftigt die siebenteilige ­Miniserie, deren erste fünf Episoden vorab gesichtet werden konnten, nicht nur, dass eine Mord­ermittlung der beste Vorwand für ein atmosphärisch dichtes Gesellschaftsporträt ist – sondern auch die Ahnung, dass Serien ein annehmbarer Romanersatz sein können.

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