Nina Hoss – Ein Porträt

Einfach verliebt in den Beruf
»Das Vorspiel« (2019). © Port au Prince

»Das Vorspiel« (2019). © Port au Prince

Nina Hoss ist im Aufbruch, die Petzold-Periode vorerst abgeschlossen. Ihre beiden neuen Filme zeigen auch neue Facetten der Schauspielerin. Anke Sterneborg hat Nina Hoss getroffen

Die Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt in den 50er Jahren in Frankfurt. »Weiße Massai« in Afrika. Eine Ärztin in den 80er Jahren in der DDR-Provinz in »Barbara«. Eine Holocaust­überlebende in »Phoenix«. Ein unnahbares Pionier-Cowgirl am Ende des 19. Jahrhunderts in den kanadischen Wäldern des deutschen Wagentreck-Westerns »Gold«. Eine deutsche Agentin in der US-Serie »Homeland«. Eine mit ihrer künstlerischen Berufung hadernde Musikerin in »Das Vorspiel« und eine Pferdeflüsterin in »Pelikanblut«: Es sind viele, ganz unterschiedliche Leben, die sich Nina Hoss überstreift. Nicht wie ein Chamäleon, das dahinter verschwindet, sondern eher wie eine Doppelbelichtung.

Als Nina Hoss im vergangenen September auf dem Filmfest Hamburg, nach internationalen Filmgrößen wie Clint Eastwood, Jim Jarmusch, Wong Kar-Wai in illustrer Runde mit Jodie Foster, Isabelle Huppert, Tilda Swinton und Catherine Deneuve als erste deutsche Schauspielerin mit dem Douglas-Sirk-Preis ausgezeichnet wurde, lobte der Theaterregisseur Michael Thalheimer in seiner Laudatio, dass er keine Schauspielerin kenne, die sich so gründlich vorbereite wie sie. »Natürlich muss ich mich vorbereiten, trainieren, üben, um an den Punkt zu kommen, an dem ich mich befreien, die Kontrolle loslassen muss, um tatsächlich schöpfen zu können«, sagt Nina Hoss beim Gespräch im Büro des Berliner Filmverleihs Port au Prince. »Ich kann mich vorbereiten, wie ich will – wenn die Kamera läuft, muss ich alles fallen lassen können, damit ich wirklich etwas erleben kann. Wenn eine Lampe umfällt oder der Partner etwas Überraschendes macht, muss ich als Figur damit umgehen können. Ich freue mich darauf, nicht zu wissen, was als Nächstes passiert, weil ich weiß, dass ich den Teppich gelegt habe, auf dem ich tanzen kann.« In ihrem mal offenen, mal nachdenklichen Lachen und ihrem wachen, neugierigen Blick schlägt immer wieder das staunende Glück über diesen wunderbaren Beruf durch, den sie schon ganz früh für sich entdeckt und erobert hat: »Ich bin einfach verliebt in den Beruf.«

»Gold« (2013). © Piffl Medien

Bei dieser durchdringenden Vorbereitung geht es ihr vor allem darum, an einen Punkt zu kommen, an dem sie wirklich zu Hause ist im Leben der Frauen, die sie spielt. Für die Violinistin Anna in »Das Vorspiel «bedeutete das, dass Nina Hoss das Streichinstrument so beherrscht, dass niemand sie verdächtigen kann, in diesem Leben nur zu Besuch zu sein. Im Grunde geht es vor allem darum, sich selbst zu glauben.

Jeder Film, jedes Theaterstück, jede Fernsehserie werden auf diese Weise zu einer Entdeckungsreise. Wer sich so intensiv in jede Rolle, in jede Geschichte versenkt, muss sorgfältig auswählen, worauf er sich einlässt: »Ich lese das Drehbuch immer von vorne bis hinten durch, statt nur zu schauen, wo meine Figur auftaucht. Am meisten interessiert mich, in welcher Welt sich diese Figur aufhält. Wenn es nicht schwarz-weiß ist, wenn nicht alles durchdekliniert ist und nicht jede Frage, die aufgeworfen wird, in der nächsten Szene gleich geklärt wird, dann interessiert es mich.«

Geboren wurde Nina Hoss 1975 in Stuttgart, ihr Vater engagierte sich politisch als Gewerkschafter und als Bundestagsmitglied für die Grünen, ihre Mutter war Schauspielerin und Regisseurin am Stuttgarter Staatstheater. Schon als Fünfjährige sang sie für ihren Vater ein Geburtstagsständchen, vor 200 Leuten. Diese ziemlich beeindruckende Furchtlosigkeit schreibt sie ihrer Kindheit auf dem Theater zu: »Das wurde mir wohl in die Wiege gelegt. Tatsächlich war ich schon als Baby auf der Decke bei den Proben dabei, wenn meine Mutter keinen Babysitter gefunden hat. Für mich gab es auf dem Weg vom Zuschauerraum auf die Bühne nie eine Barriere, die ich überwinden musste. Dazu dieser Spaß und vielleicht auch die Hybris, ›ich zeig euch jetzt mal, ich kann gut singen‹.« Mit 14 übernahm sie zum ersten Mal eine Bühnenrolle, unter der Regie ihrer Mutter. Nach der Schule probte sie jeden Abend vier Stunden und setzte sich insgeheim ein Ultimatum: Sollte das nicht funktionieren, sollte es ihr nicht gelingen, dem Publikum ihre Gefühle zu vermitteln, dann sei sie eben nicht talentiert genug für diesen Beruf. Natürlich funktionierte es.

»Phoenix« (2014). © Piffl Medien

Die Mutter war lange Zeit ein Kompass: »Ihr dabei zuzusehen, wie sie mit den Schauspielschülern arbeitet, hat meinen Geschmack ausgebildet. Ich merkte, was mich interessiert und wie man arbeiten muss, um dahin zu kommen. Später konnte ich sie immer dazuholen, wenn ich das Gefühl hatte, ich komme nicht klar, ich komme aus der Balance. Sie hat immer genau das Richtige gesagt, absolut ehrlich und auch knallhart. Und ich wusste, ich kann ihrem Blick hundertprozentig vertrauen.« Die nächste Etappe auf ihrem Karriereweg war die Schauspielschule Ernst Busch, von der seit vielen Jahren so viele aufregende Schauspieler auf die Bühnen und Leinwände strömen, dass man sich fragen muss, was sie dort so richtig machen. »An dieser Schule wird man zum selbstständigen Schauspieler ausgebildet. Dort wird ein Grad von Disziplin eingefordert. Da ist es nicht egal, ob man auftaucht, zu spät kommt, Fechten mag oder nicht. Man muss die Dinge durchziehen und das Handwerk erlernen. Man kann aber auch viel ausprobieren, ohne dass es ein Drama ist, wenn etwas nicht gelingt. Sie sind sehr eng an dir dran. Für mich war die Sprecherziehung fast das Wichtigste, meine fantastische Sprecherzieherin Margot Dreves, die mich durch jedes Szenenstudium begleitete und immer merkte, da müssen wir mal ran, na, da bluffst du doch, wieso versagt dir da die Stimme oder wie kriegen wir das in deinen Körper rein.«

Eigentlich wird es dort nicht so gern gesehen, dass die Schüler während des Studiums Filmprojekte annehmen. Als Bernd Eichinger sie für die Titelrolle in der TV-Produktion »Das Mädchen Rosemarie« holen wollte, machten sie eine Ausnahme. Und vom Kameramann Gernot Roll bekam sie bei den Dreharbeiten den entscheidenden Rat für Film und Kino: »Wenn man so jung startet, ist man ja voller Energie, immer auf hundertachtzig. Man will, dass jeder begreift, was man sagen will und überfordert damit das Medium. Ich erinnere mich, ich laufe aus dem Zimmer raus, dem Heiner Lauterbach hinterher, bin aufgebracht und dampfe richtig, und Gernot sagte, ›lauf einfach raus, stell dich da hin und dann geh mit dem Blick kurz nach oben‹. In dem Moment hab ich verstanden: Man muss einen Raum öffnen, eine Projektionsfläche. Im Film muss man die Leute auf sich zukommen lassen, sie verführen, mit auf die Leinwand und ein bisschen näher herankommen zu wollen.«

Die auf einem realen Kriminalfall basierende Geschichte wurde zum Straßenfeger, mit sagenhaften 8,9 Millionen Zuschauern. Es folgten Filme mit Doris Dörrie (»Nackt«), Detlev Buck (»Liebe deine Nächste«), Oskar Roehler (»Elementarteilchen«) und vor allem immer sehr viel Bühne, zuerst in Stuttgart, dann in Esslingen und seit 1998 in Berlin, am Deutschen Theater, an der Schaubühne, am Berliner Ensemble: »Für mich war es lange Zeit sehr wichtig, nicht aus dem Training zu kommen, die ganze Zeit zu spielen, in Bewegung zu sein, weil ich jeden Tag auf die Bühne gehe, jeden Abend aufs Neue. Egal wie man gestern war, heute zählt.«

»Pelikanblut« (2019). © DCM

Es ist eine magische Mischung aus konzentrierter Ruhe, innerer Sicherheit und brüchiger Verletzlichkeit, die das Spiel von Nina Hoss so besonders macht. Man hat nie den Eindruck, dass sie irgendetwas beweisen muss, gerade darum spielt sie so überzeugend, ganz von innen heraus. Wenn sie von »Pelikanblut« erzählt, einem der herausragenden Projekte des letzten Jahres, hört sich das ähnlich an wie ihre Herangehensweise ans Spielen: »Es geht darum, Zugang zu den Pferden zu bekommen, in dieser sehr besonderen Weise des Horsemanship-Trainings, bei dem man eben nicht mit Druck arbeitet, sondern im Gegenteil durch die eigene Haltung zur Zusammenarbeit einlädt.«

Mit jedem neuen Projekt geht Nina Hoss auf Entdeckungsreise in die Welt ihrer Figur, mal so entfremdet unkörperlich wie in »Das Vorspiel«, mal so geerdet wie in »Pelikanblut«: »Wiebke ist mit der Erde verwachsen. So eine Frau läuft ganz anders, die hat andere Schuhe an und geht jeden Morgen in den Stall, das ist sofort eine ganz andere Körperlichkeit. Damit zu arbeiten interessiert mich, und dann zu schauen, mit was für Widerständen diese Frauen konfrontiert werden und wie sie aus ihrer Erfahrungswelt heraus damit umgehen.«

Hoss hat viele kämpferische, rebellische Frauen verkörpert und räumt ein, dass ihr das liegt: »Ich bin selbst jemand, der nicht so schnell aufgibt, darum interessieren mich wohl auch solche Figuren. Vielleicht geht es aber auch eher um Menschen, die einem Druck ausgesetzt werden, sei es von der Gesellschaft oder wie bei Anna in »Das Vorspiel«, die sich selbst unter Druck setzt, die perfekt sein will, aber für wen eigentlich?« Es liegt etwas Unbeirrbares und Unbeugsames in der Art, wie sich ihre Figuren auch in männerdominierten Welten durchkämpfen. Eine regelrechte emanzipatorische Agenda verfolgt Nina Hoss, die sich etwa mit Terre des Femmes gegen Genitalverstümmelung engagiert, damit aber nicht: »Ich bin nicht daran interessiert, irgendwelche Zeigefinger zu heben. Mir ist es lieber, wenn das dezenter mitschwingt, so wie bei Christian Petzolds Filmen, in denen auf brillante Weise immer noch etwas Gesellschaftspolitisches miterzählt wird.« In »Yella«, dem letzten Film der »Gespenster«-Trilogie, waren das die Nachwehen der Wende, in »Barbara« die SED-Politik, zuletzt in »Phoenix« war es die verdrängte Schuld des Nationalsozialismus – Geschichten, die den Bruchlinien der deutschen Geschichte und ihren Auswirkungen auf die Gegenwart nachspüren.

Barbara (2012). © Piffl Medien

In den Filmen von Petzold hat sie besonders leise und enigmatisch, zugleich zäh und brüchig, entschlossen und entrückt nachdenklich gespielt. Allein die Art, wie sie als Barbara bei ihrer Ankunft nachts vor dem Provinzkrankenhaus, in das sie verbannt wurde, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hat, auf einer Bank in stummem Widerstand noch eine Zigarette raucht. Von oben kommentiert der ihr zugeteilte Stasi-Mann abfällig: »Sie wird keine Sekunde zu früh kommen, so ist sie.« Zu den schönsten Szenen des Films gehören die, in denen sie einfach auf dem Fahrrad an der sturmzerzausten Ostsee-Küstenlandschaft vorbeigleitet; da ist alles drin, ihr wildes Herz, ihre stoische Widerstandskraft, eine innere Freiheit, die den politischen Schikanen ebenso trotzt wie einem Mann, der allen Ernstes meint, sie müsse ja dann im Westen, bei ihm, auch gar nicht mehr arbeiten.

Mit dem Fernsehfilm »Toter Mann« von 2002 begann die ganz besondere Arbeitsbeziehung mit Christian Petzold. Sie währte zwölf Jahre und ist, nicht in der Wirklichkeit, aber nach den Maßstäben des Kinos, eine große Liebesgeschichte. Seit 2014 ruht sie: »Wir pausieren, würde ich sagen. Wir sind nach sechs Filmen an einen Punkt gekommen, an dem wir in aller Zugewandtheit und Liebe und größtem Respekt gemerkt haben, jetzt müssen wir mal Luft reinlassen. Wir haben das auch gar nicht so besprochen, nach »Phoenix« wussten wir einfach, um uns wieder gegenseitig zu überraschen und herauszufordern, müssen wir uns eine Weile lösen.«

Längst ist auch die internationale Filmwelt aufmerksam geworden auf die besondere Präsenz von Nina Hoss, angefangen mit »A Most Wanted Man« von Anton Corbjin, wo sie eine deutsche Agentin spielte, erstmals in Englisch: »Ich habe festgestellt, das befreit mich auch auf eine Art, weil ich es in der Betonung nicht hundertprozentig kontrollieren kann. Und weil ich mich in einer anderen Kultur bewege, habe ich auch eine andere Körperlichkeit, die Selbstironie ist größer. Man verändert sich tatsächlich, was ich positiv wahrgenommen habe.« Danach machte sie in der amerikanischen Serie »Homeland« eine ganz neue Erfahrung – damit, dass nicht mehr der Regisseur, sondern die Autoren ihre wichtigsten Partner sind: »Man bekommt vier oder fünf Drehbuchfassungen für eine Episode geschickt, das wird immer weiter verändert und verdichtet, und zwar immer in eine Richtung, die ich mitbestimme. Wenn mir etwas Gutes einfällt, hat die Art, in der ich das interpretiere, Einfluss auf die Entwicklung meiner Figur, wohin sie geht, ob sie interessant ist oder Humor hat.« Auch in die Oscar Academy wurde sie inzwischen aufgenommen: »Natürlich habe ich es als absolute Ehre empfunden. Und dann merke ich, jetzt ist tatsächlich fast jeden Tag ein neuer Film im Briefkasten, das ist jedes Mal wie Weihnachten.«

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