Nachruf: Alan Arkin

Unamerikanische Tugenden
Alan Arkin

Alan Arkin

26. 3. 1934 – 29. 6. 2023

Seine Stimme klang trocken und belegt, fast nasal. Aber sie zeigte nicht einmal dann eine Spur von Heiserkeit, wenn er schrie. Das musste Alan Arkin oft in seiner Karriere, meist aus zorniger Verzweiflung über den Wahnsinn, der allerorten lauerte. Dann verwandelte sich sein Körperspiel, das sonst ungemein geschmeidig war, in ein wildes Gestikulieren. Die Raserei blieb gleichwohl fein kalibiriert, denn dieser Schauspieler war ein Meister der Beherrschung.  

Er wirkte unscheinbar: ein schmächtiger Jedermann, der mit dem Schicksal hadert. Dennoch gelang ihm, was zuvor nur wenige Schauspieler geschafft hatten: Er war gleich in seiner ersten Filmrolle schon ganz da. Norman Jewison besetzte den Newcomer, der gerade für seine erste Broadwayrolle eine Tony-Nominierung erhalten hatte, 1966 in der Kalter-Kriegs-Satire »Die Russen kommen! Die Russen kommen!« Als Erster Offizier eines sowjetischen U-Boots, das vor der Ostküste der USA strandet, wird Arkin zur letzten Bastion der Vernunft in dem Chaos, das nun entbrennt: ein höflicher Klassenfeind, der mit gedämpfter Stimme, gestischem Überschuss und zielstrebigem Zögern die Krise entschärfen will. Dafür gab es die erste von vier Oscar-Nominierungen.

Er wurde zum unverhofften Star in einem Hollywood, das sich gerade neu formierte. Die Lust, mit amerikanischen Konventionen zu brechen, mochte er von seiner Mutter geerbt haben, einer Lehrerin, die während der McCarthy-Ära Berufsverbot erhielt. Ethnisch war er nicht recht zuzuordnen, mithin wandlungsfähig (er sollte später als komödiantisch einnehmender Sigmund Freud glänzen). Gewiss, als Inspektor Clouseau war er ein schaler Ersatz für Peter Sellers. Aber er wusste genau, wie wenig Sentimentalität der taubstumme Protagonist von »Das Herz ist ein einsamer Jäger« vertrug. In »Warte, bis es dunkel wird« verkörperte er einen der furchterregendsten Schurken der 1960er. Sein sadistischer Dealer, der die blinde Audrey Hepburn terrorisiert, ist so entspannt wie eine Schlange, bevor sie zum tödlichen Biss ansetzt. Schrecken verbreitete die Figur nicht zuletzt, weil sie einer unbestimmten Subkultur angehörte.  

Als paranoider Captain Yossarian zeigte er in »Catch 22« dem Establishment ein für alle Mal den Stinkefinger: Dieser Kriegsdienstverweigerer in Uniform mochte moralisch erschöpft sein, war aber widerständig genug, um sich dem Regiment des Irrsinns nicht zu beugen. In Mike Nichols' surrealer Farce demonstrierte Arkin auch, dass er in Ensemblefilmen aufblühte. In den 1970ern wechselte er ins Fach des heroisch zuverlässigen Charakterdarstellers. Dieser lebhaft Reagierende konnte mit jedem mithalten, bildete etwa mit Peter Falk ein irrwitziges Gespann in der Spionagekomödie »Zwei in Teufels Küche«. Nebenher inszenierte er am Broadway und schrieb Kinderbücher.

Aus dem Kino verschwand er nie ganz, entwickelte aber Anfang der 1990er neuen Elan. In »Glengarry Glen Ross« gelang ihm ein Meisterstück des Understatement. Auf den ersten Blick ist er der Farblose im Quartett windiger Immobilienverkäufer (Al Pacino, Ed Harris, Jack Lemmon). Während sie alle ihren großen Auftritt haben, scheint er zum Mobiliar zu gehören. Leise lässt er eine Existenz der Selbstzweifel und Versagensängste Gestalt annehmen. Aber zugleich beherrscht er den aggressiven Duktus von David Mamets Dialogen – brillant, wie er einem Verb wie »talking« ganz unterschiedliche Bedeutungsebenen verleiht. 1992 war er längst ein Experte für Charaktere, deren Ehrgeiz und Energie verschlissen sind. Aus den Pechvögeln der frühen Jahre wurden nun gelassene Skeptiker, die entdeckten, dass Resignation eine Überlebensstrategie sein kann. Seine Altersrollen konnten noch Feuer haben. Für den Part des mürrischen, heroinsüchtigen Großvaters, der in »Little Miss Sunshine« stets renitente Lebensweisheiten parat hat, erhielt Arkin einen späten Oscar. Ein weiteres Glanzlicht setze der Kulturpessimist unter den US-Schauspielern seiner Karriere in »Argo« auf. Den Filmproduzenten Lester Siegel, der seine besten Zeiten hinter sich hat, aber seinem Instinkt noch immer trauen kann, zeichnet er als wachsamen Stoiker. Er hat schon alles erlebt, und fast jede seiner Dialogpointen ahnt man voraus. Sie zünden trotzdem, denn Lester hört nicht auf, sich über den Lauf der Welt zu wundern. Seinen trefflichsten Satz widmet Arkin einem Schauspieler, mit dessen Weltanschauung er rein gar nichts gemein hatte: »John Wayne's in the ground for six months and this is what's left of America.«

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