Filmfest München

Eine Entdeckung: Andrew Bujalskis »There There«
»There There« (2022)

»There There« (2022)

Erinnert sich noch jemand an Mumblecore? Anfang des Jahrtausends war das der neue heiße Trend im US-Kino der Independents: kleine Beziehungsfilme, mit viel Freiraum für die Darsteller, die ihre Dialoge improvisierten. Während Noah Baumbach, der damals ebenfalls zu den Protagonisten der Bewegung gezählt wurde, seine letzten drei Filme für Netflix gedreht hat, weckte Dustin Guy Defas diesjähriger Berlinale-Beitrag »The Adults« noch einmal Erinnerungen an die Filme von damals. Wer aber kennt noch die Namen von Alex Ross Perry oder Andrew Bujalski? Bujalski (Jahrgang 1977), der mit seinem Debüt »Funny Ha Ha« 2002 wahrscheinlich auch den Begriff Mumblecore geprägt hat, gelang mit einigen seiner nachfolgenden Filme – »Beeswax« und »Results« – immerhin der Sprung in deutsche Kinos, was dem sechs Jahre jüngeren Perry, der 2011 mit seinem zweiten Film »The Color Wheel« zu Mumblecore dazustieß, verwehrt blieb. Sein letzter Film, »Her Smell«, datiert von 2018, seitdem hat er noch noch Musikvideos gedreht.

Insofern war ich freudig überrascht, im Programm des Filmfests München in diesem Jahr einen neuen Film von Andrew Bujalski zu entdecken, der zudem in Anwesenheit des Regisseurs gezeigt wurde. Auch Bujalskis letzte Regiearbeit datierte von 2018: »Support the Girls« erschien hierzulande direkt auf Video. 

»There There« ist ein Episodenfilm, nach dem »Reigen«-Prinzip aufgebaut, in der ersten Episode treffen Figur A und Figur B aufeinander, in der nächsten Figur B und Figur C, bis wir in der finalen Episode erneut Figur A begegnen. Ein minimalistischer Film, immer nur zwei Personen pro Geschichte, ein Film auf den ersten Blick wie viele, die sich die Einschränkungen während der Pandemie zu nutze machten. Aber Bujalskis Film geht darüber noch hinaus.

In der hinreißenden ersten Episode sehen wir Lili Taylor und Lennie James am Morgen nach einer gemeinsam verbrachten Nacht im Schlafzimmer, beide sind offensichtlich überrascht davon, was passiert ist. Schafft man es als Zuschauer, sich von den pointierten Dialogen und den kleinen, vorsichtigen Gesten zu lösen, so stellt man irritiert fest, dass die Wand hinter ihr grün, die hinter ihm aber weiß ist – und dass beide nie zusammen im Bild zu sehen sind. Letzteres könnte als filmischer Ausdruck von Kommunikationsschwierigkeiten während der Pandemie verstanden werden, aber was hat es mit der Wand auf sich?

Darüber klärte der Regisseur nach dem Film auf: die beiden Darsteller befanden sich zu keinem Zeitpunkt im selben Raum, auch der Regisseur und sein Kameramann waren nicht persönlich anwesend, sondern waren mit dem Set nur mittels Bildkommunikation verbunden, vor Ort führten Hilfskräfte ihre Anweisungen aus, der Film wurde komplett mit Smartphones gedreht. 

Zurecht wollte Bujalski seinen Film nicht als reinen Pandemie-Film verstanden wissen, spätere Episoden erreichen nicht die Kraft der ersten; das Prinzip, eine Figur in der nachfolgenden Episode in einem anderen Licht zu zeigen, allerdings funktioniert ziemlich gut, zwischen die Episoden gesetzte Auftritte eines Musikers verleihen dem Film bei allen dramatischen Momenten eine gewisse Leichtigkeit, die Schauspieler improvisierten allerdings in keiner Szene. Eine beglückende Filmerfahrung.

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