37. Il Cinema Ritrovato Bologna

Festival der Wiederkehr
»Ceddo« (1977)

»Ceddo« (1977)

Die Cineteca di Bologna lud zum 37. Mal zu »Il Cinema Ritrovato«. Die Festivalreise in die Filmgeschichte feiert Restaurierungen, Wiederentdeckungen und mutige kuratorische Entscheidungen

Im Bühnengespräch wird Wim Wenders zum Ende noch einmal deutlich. Was die Industrie mit der 3D-Technik veranstaltet hat, ist für ihn der größte Skandal in der Geschichte des Mediums Film. Festivaldirektor Gian Luca Farinelli strahlt. Schließlich stehen mit »I, the Jury« und »Revenge of the Creature« auch zwei 3D-Filme der 50er im Programm, die dem launigeren Genre-Einschlag des Festivals um Beiträge wie Mario Bavas Erstling Black Sunday eine Zusatz-Facette verleihen.

Wenders hat seinen 1980 mit Nicholas Ray gedrehten und frisch digital restaurierten »Lightning Over Water« dabei. Die Geschichte eines wegen Rays Krebskrankheit scheiternden Filmdrehs ist dann am eindrücklichsten, wenn sich das filmische Ausgangsmaterial ändert. Kristallklare, inszenierte Szenen gönnen dem knurrigen Scharfdenker Ray oft filmische Überhöhung. Die dokumentarische Videokamera entlarvt seinen Gesundheitszustand.

In der Reihe »Cinemalibero« wirft »Il Cinema Ritrovato« regelmäßig eurozentristische Scheuklappen über Bord. »Ceddo« (1977) vom senegalesischen Regisseur Ousmane Sembène verschafft trotz einfachen Settings durch schauspielerische Kniffe seiner Geschichte um den Widerstand gegen kolonialistische und religiöse Unterdrückung eine shakespearische Höhe. »The Dupes« (1972), vom Ägypter Tewfik Saleh in Syrien gedreht, wirkt zunächst assoziativ und poetisch. In der zweiten Hälfte wird der Film aber geradezu quälend stringent und macht die Dauer und die Konsequenzen der Flucht seiner Protagonisten spürbar. »Leila and the Wolves« aus den 80ern schickt seine Hauptfigur als unbeteiligte Zeitreisende durch 60 Jahre Geschichte arabischer Frauen im Nahen Osten – ein künstlerischer, parteinehmender Mix aus Inszeniertem und Archivmaterial.

Die ästhetisch eindrucksvollsten Beiträge der Reihe kamen vom Iraner Bahram Beyzaie. Seine zwei Filme sind Brüder im Geiste dank Ähnlichkeiten in Setting und Motiven: das vom Meer kommende Unheil, eine isolierte sowie zeitlich entrückte Dorfgemeinschaft und archaisch anmutendes Sozialverhalten der Figuren. In »Stranger and the Fog« von 1974 wird der dem Tod entronnene Ayat zunächst geächtet. Sein Weg zur Akzeptanz im Dorf führt über die eigensinnige Witwe Rana. Doch bleibt die Angst, dass Ayats Peiniger zurückkehren. Am Ende des Films steht eine meisterliche Reizüberflutung aus Schreien, Rennen, Kampf, Dreck und viel Befremdlichkeit. Der fünf Jahre jüngere »The Ballad of Tara« stellt die Witwen-Figur ins Zentrum. Tara eckt mit ihrer selbstverständlich gelebten Selbstbestimmtheit an, bietet aber vom lüsternen Schwager bis zum Geist eines antiken Kriegers allen Paroli. Die Bilder des Films sind klarer, das Ende ist hoffnungsvoller, die Handlung märchenhafter und feministischer. Wie viele der gezeigten Filme war auch Beyzaies Werk Opfer der Zensur. Nun verschafft ihm die Digitalisierung hoffentlich ein zweites Leben.

Unfreiwillig zensiert war beim Festival »Dr. Jekyll und Mr. Hyde« von 1931 aus der Retrospektive zu Rouben Mamoulian. Co-Festivaldirektor Ehsan Khoshbakht offenbarte am Tag nach dem Screening ungeniert, er habe erfahren, dass der Vorführkopie eine kleine Szene fehle, die er 2024 nachreichen werde. Der vom Hays-Code malträtierte Film geht unter die Haut. Hydes Taten sind kaum zu sehen, ihre Folgen vermittelt Darstellerin Miriam Hopkins aber nachdrücklich. Auch Mamoulians Musical-Variation »Love Me Tonight« von 1932 verblüfft. Dank eines Metronoms am Set folgen die Bewegungen der Figuren spielerisch dem Rhythmus der Musik. Diese Leichtigkeit erreicht das Fred-Astaire-Vehikel »Silk Stockings« mit seinem Studio-Paris und den Kalter-Krieg-Witzeleien nicht, trotz reizvoller Meta-Kommentare zur Filmindustrie der 50er. 

Weniger gefällig als manch anderes Jahr kam das Programm der größten Festival-Leinwand auf dem Piazza Maggiore daher. Bertoluccis Liebesgeschichte »The Dreamers« ist für ein Screening im öffentlichen Raum schon sehr nackt und inzestuös. Kon Ichikawas Antikriegsfilm »The Burmese Harp«, zwar wegen Regen ins Kino verlegt, ist trotz musikalischer Passagen keine leichte Kost. Und Werke wie der skurrile Nonnen-Film »Black Narcissus«, gezeigt in einer frischen 35-mm-Kopie, sind keine Pop-Klassiker wie »Spiel mir das Lied vom Tod« oder »Apocalypse Now« aus vergangenen Festival-Jahren. Was Bologna so schön macht? Die Leute kommen trotzdem – in Scharen.

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