Filmfestival von Venedig: Mit sehr viel Gefühl

»One More Time with Feeling« (2016)

»One More Time with Feeling« (2016)

Auf den 73. Filmfestspielen von Venedig präsentiert Musiker Nick Cave sein neues Album in Form eines Dokumentarfilms, »One More Time With Feeling«, während Mel Gibson eine Image-Reparatur versucht mit dem Kriegsdienstverweigerer-Drama »Hacksaw Ridge«

Eigentlich ist »One More Time With Feeling«, der auf dem 73. Filmfestival von Venedig präsentierte Dokumentarfilm von Andrew Dominik über den australischen Musiker Nick Cave, eine Verlegenheitslösung im wahrsten Sinne des Wortes. Während der Arbeit zu »Skeleton Tree«, dem neuesten Album von Cave und seiner Band The Bad Seed, verunglückte Caves 15-jähriger Sohn Arthur – offenbar stark unter Drogeneinfluss stehend – tödlich bei einem Sturz von den Klippen in der Nähe von Brighton. Im Nachhall sei Cave klar geworden, so erzählte Regisseur Andrew Dominik (»Killing Them Softly«) anlässlich der Premiere des Films am Lido, dass er zur Veröffentlichung des Albums nicht mit den Medien werde sprechen wollen. Und so sei die Idee entstanden, den Freund und Landsmann Andrew Dominik zu fragen, eine Dokumentation zu drehen und damit an seiner Caves Stelle mit den Medien zu kommunizieren. 

»One More Time with Feeling« (2016)

Man muss diesen Hintergrund kennen, um »One More Time With Feeling« schätzen zu können. Dass Dominik und Cave ihn voraussetzen, ist aber vielleicht das einzige Manko an einem Film, der mit seinen stark-kontrastigen Schwarzweißaufnahmen in 3D, seinen eigentümlichen Songs und den vom Kampf mit der Trauer gezeichneten Kommentaren von Nick Cave dazu eine Sogwirkung entfaltet, die auch Nicht-Fans ergreift. Das Publikum in Venedig zumindest zeigte sich so ergriffen wie enthusiastisch. So ist der »Unfall«, wie er von Cave und anderen, die zu Wort kommen, wie Caves Frau Susie und das Bandmitglied Warren Ellis benannt wird, zwar als Auslöser von Trauma und Krise Gesprächsthema, über das Ereignis als solches aber wird nie geredet. Dominik stellt keine Fragen dazu und Cave gibt keine Antworten darauf. Aber die zu Beginn des Films fast zu abgeklärt wirkenden  Überlegungen zur eigenen Kreativität und dazu, dass er nicht mehr ans Geschichtenerzähen per Songs glaubt, stellen sich mehr und mehr als von tiefster Trauer grundiert heraus. Ohne je zu privat zu werden und während Cave gewissermaßen der Kamera noch vorspielt Herr zu sein über das eigene Bild und Image, macht der Film Dinge wie Schmerz, Verwirrung und Verzweiflung sichtbar. Aber Cave zeigt auch unumwunden den Willen, weiterzumachen, sich nicht narzisstisch in der eigenen Trauer einzugraben. Es heiße immer: »Was hat Arthur euch angetan!«, reflektiert der 57-Jährige an einer Stelle, dabei sei doch das, was sein Sohn sich selbst angetan habe, das Schlimmste. 

Der Rohheit und Verwundbarkeit der angesprochenen Gefühle steht ein glattes filmisches Bild gegenüber, das mit Schwarzweiß und 3D einerseits künstlerische Distanz schafft, andererseits aber den Emotionen wie den Songs im direkten Sinn Raum verleiht.

Zwar ist kaum vorstellbar, dass »One More Time With Feeling« ein größerer Publikum außerhalb seines Fankreises in die Kinos zieht – der Film kommt am 8. September, einen Tag vor der Veröffentlichung des Albums »Skeleton Tree«, weltweit in ausgewählte Kinos und stellt acht Tracks daraus vor – doch wer immer sich ins Kino verirrt, wird sich hineingezogen sehen in einen ergreifenden und gleichzeitig zurückhaltend Film, dessen spezieller Wirkung man sich kaum entziehen kann.

»Hacksaw Ridge« (2016). © Universum Film

Um Erlösung im weitesten Sinne ging es auch in der anderen hochkarätigen Premiere außerhalb des Wettbewerbs am Lido: Der Australier Mel Gibson präsentierte mit seinen neuen Film »Hacksaw Ridge« seine erste Regiearbeit in zehn Jahren. Seinem »Apocalypto« von 2006 waren seinerzeit gleich mehrere Image-Debakel wegen antisemitischen und anderen Ausfällen  gefolgt, für die Gibson sich zwar entschuldigte, die ihn aber der Öffentlichkeit als in seinem Innern von Wut, Gewalt und Aggression geprägten Mann bekannt machten. Eigenschaften, die fast zu gut zu seinen Filmen und deren »Vorliebe« für drastische Gewaltszenen passten. 

Der neue Film »Hacksaw Ridge« ist da keine Ausnahme: zwar steht mit der Figur des Desmond Doss (Andrew Garfield) ein Held im Zentrum, der Gewalt und besonders Waffengewalt ausdrücklich ablehnt und selbst im Krieg kein Gewehr tragen will, aber die Szenen auf dem Schlachtfeld, in der Gibson die opferreiche Eroberung der Klippe zu Okinawa nachstellt, sind Gibson-typisch detailliert in Blut, Horror und Schrecken und führen dem Zuschauer die Grausamkeit des Geschehens deutlicher vor Augen als das einst die berühmte Eingangssequenz von Steven Spielbergs »Saving Private Ryan« getan hat. 

Andrew Doss gab es im Übrigen tatsächlich: ein Mann, den sein Glaube davon abhielt, zur Waffe zu greifen, der aber trotzdem seinem Land im Zweiten Weltkrieg dienen wollte. Gegen alle Widerstände – die Gibson als eine eigene Form des Leidenswegs inszeniert – setzte Doss durch, dass er als Sanitäter ohne Waffe seine Einheit in die Schlacht begleiten durfte. Bei Gibson sehen ihn seine Kameraden skeptisch und als Feigling – bis er in einer Nacht ganz allein mehr als 75 Verwundete von einem Schlachtfeld holt, das die Amerikaner bereits aufgegeben hatten. Diese schier übermenschliche Aktion von geistiger und physischer Stärke inszeniert Gibson so drastisch wie effektiv und mit einer Emotionalität, die noch die letzten Kinoreihen überwältigt. Auch wenn wieder fast zu deutlich wird, dass Gibson sich mit seinem zunächst unverstandenen, dann aber in seiner Tugend triumphierenden Helden identifiziert, könnte »Hacksaw Ridge« als ungeheuer souveräne Regieleistung wenn nicht zur Erlösung, dann doch wenigstens zur zu Gibsons Image-Reparatur beitragen.

Meinung zum Thema

Kommentare

Volle Zustimmung zu "One More Time With Feeling".

Aber "Hacksaw Ridge" als Image-Reparatur für Gibson? Klar, ein perfekter Action-Film ist ihm gelungen, aber auch ein zutiefst reaktionäres, in Teilen sogar rassistisches Machwerk, ein unterträglich pathetischer Film, der keinerlei Sympathien für die Überzeugung Doss' hegt sondern ihn, den Verweigerer, letztlich zu einem ganz konventionellen Kriegshelden macht. Der gute Amerikaner auf der einen Seite, die Japaner auf der anderen Seite als unsauber kämpfende Monster - das ist so schlicht und so schlecht wie es sich wohl nur ein Mel Gibson traut.
Ich bin gespannt, ob das europäische Publikum sich das antun wird. Das reaktionär-christliche amerikanische Publikum (für das der Film ganz offensichtlich gedacht ist) wird wenig auszusetzen haben.

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