Filmfestival von Venedig: Filme durch die Brille

»Die schönen Tage von Aranjuez« (2016). © NFP/Warner Bros. Pictures

Foto: NFP/Warner Bros. Pictures

Alte Geschichten, neue Technik: Wim Wenders fällt auf dem 73. Filmfestival von Venedig mit seinem neuen 3D-Film, »Les Beaux Jours d'Aranjuez«, durch, während mit »Jesus VR« das neue »Virtual-Reality-Format« vorgestellt wurde, das 3D als das nächste heiße Ding im Kino ablösen soll

Man kann auch im Kino nicht nicht immer alles neu erfinden, aber man kann den alten Geschichten eine neue Form geben, zumindest in technischer Hinsicht. Der deutsche Regisseur Wim Wenders, lange Zeit Hauptverantwortlicher dafür, dass dem deutschen Film im Europäischen Kino ein Platz von Rang erhalten blieb, präsentierte auf dem Festival in Venedig nun sein neustes Werk, den 3D-Film »Les Beaux Jours d'Aranjuez« und damit seine ganz eigene Kombination aus Alt und Neu. Das Projekt ist zum einen ein Wiedersehen alter Freunde: Wenders hat ein Theaterstück von Peter Handke verfilmt, mit dem er schon beim bekannten Drehbuch für »Der Himmel über Berlin« zusammenarbeite. Damals mit dabei war auch Nick Cave, und beide habe sie nun Cameo-Auftritt im neuen Film: Handke ist nur kurz als Gärtner am Bildrand zu sehen, Nick Cave aber steigt gewissermaßen aus einer Jukebox heraus, um einen Song am Klavier zu intonieren: »Into My Arms«.

Beides sind lediglich Details in einem Film, der daraus besteht, einen Mann (Reda Kateb) und eine Frau (Sophie Semin, Handke-Ehefrau) im Gespräch auf einer sommerlichen Gartenterrasse bei Paris zu zeigen. Die Sonne scheint, die Luft ist lau; es geht um Liebe und um Natur. Der Mann befragt die Frau über die erotische Erfahrungen ihres Lebens, er selbst erzählt von Beeren, Schwalben und einem zurückliegenden Besuch im Schloss von Aranjuez. Trotz der durch das 3D-Format ausgestellten realistischen Umgebung von Luft und Sonne sind die beiden als fiktive Gestalten markiert, denn im zur Terrasse gehörigen Haus sitzt ein Schriftsteller (Jens Harzer) am Schreibtisch, sichtlich damit bemüht, das Gespräch zwischen den beiden Figuren aufs Papier zu bringen. Ab und zu wirft er auf einer leuchtend-nostalgischen Jukebox ein Musikstück an. 

Die Reaktionen nach der Premiere in Venedig waren bestenfalls zurückhaltend. Die Kritik hielt Wenders zugute, dass der Film immerhin nicht ganz ohne Humor sei, aber ansonsten war man eher ungnädig mit einem Werk, dass trotz des Einsatzes von neuester, polierter Technik – einem 3D-Verfahren namens »Natural Depth« – altmodisch, hölzern und seltsam blutleer daherkommt. 

Es zeigt sich, dass der Einsatz einer neuen Technik eben nicht genügt, um das Kino aktuell und lebendig erscheinen zu lassen. Mit »Jesus VR – The Story of Christ« erlebte auf den 73. Filmfestspielen von Venedig auch ein Format seine Premiere, von der die Branche hofft, dass es noch mehr Impulse setzen wird als 3D: das aus den Computerspielen kommende »Virtual Reality«. Noch war kein ganzer Spielfilm zu sehen, sondern mit 40 Minuten in Einzelszenen nur Teile von dem, was demnächst als erster 90-Minuten-Spielfilm im »Virtual Reality-Format« in die Kinos kommen soll.

Angesichts der vollmundigen Ankündigungen einer »Revolution« von Kino und Wahrnehmung nahm sich das Ergebnis allerdings bescheiden aus. Virtual Reality heißt im Fall von »Jesus VR – The Story of Christ« – produziert von den Firmen AUTUMN™ VR Inc. and VRWERX, LLC. – dass die bekannten Szenen aus dem Lebensweg Jesu in 360 Grad gedreht wurden. Mithin sitzt der Zuschauer etwa neben dem Kind im Stall, und wenn er sich umdreht, erblickt er hinter sich die Kuh und den Esel. Der Standpunkt ist bei den einzelnen Szenen nicht frei wählbar – beim letzten Abendmahl etwa sitzt man als Zuschauer in der Mitte eines Kreises, den die Apostel bilden, bei der Kreuzigung ist man vor Jesus platziert und muss tatenlos mit ansehen, wie die Legionäre neben einem um das Gewand würfeln – und man kann anders als in manchem Computerspiel auch nicht »eingreifen«. Das Schauspiel hat den nicht abzuweisenden Charme eines Laienspiels, doch als Zuschauer fühlt man sich gerade wegen der eigenen Passivität mit fortschreitendem Dauer immer mehr wie ein Voyeur, der sich neugierig umschaut, wo er nicht hingehört. Aber vielleicht, und in diese Richtung weist auch Wim Wenders Reinfall mit dem 3D-Format, das er doch noch so erfolgreich in seiner Dokumentation über Pina Bausch und das Tanztheater anwendete, sind sowohl 3D als auch das Virtual-Reality-Format weniger fürs Geschichtenerzählen relevant als für Spiele und in der Zukunft vielleicht für Sportübertragungen?

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