Kritik zu Vielen Dank für nichts

© Camino Filmverleih

Integration ist nie schmerzfrei: Stefan Hillebrand und Oliver Paulus versuchen sich an der Kombination von Behinderung, Komödie und Krimi. Sie schaffen zwar nicht die Quadratur des Kreises, erfinden aber das Rad des Rollstuhlfahrers neu

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Das ist ein Überfall! Alle auf den Boden und Fresse halten!« Diesen Satz hat man im Krimi etliche Male gehört. Aber wohl noch nie aus dem elektronischen Stimmengenerator, mit dem ein sprachbehinderter Rollstuhlfahrer kommuniziert. Mit diesem rabenschwarzen Gag gelingt Stefan Hillebrand und Oliver Paulus zugleich ein Überfall auf den Zuschauer. Obwohl es zunächst nicht danach aussieht. Denn Vielen Dank für Nichts beginnt wie ein bleierner Problemfilm: Teenager Valentin (Joel Basman), seit einem Snowboardunfall an den Rollstuhl gefesselt, macht es sich selbst und seiner Mutter schwer. Sie schiebt ihn nach Meran in ein Sanatorium ab. Die Landschaft ist wunderschön, doch als junger Querschnittsgelähmter geht ihm dies am Allerwertesten vorbei. Gut gelaunte Leidens­genossen empfangen ihn – aber in diesem Club will Valentin nicht Mitglied werden. Und zu allem Überfluss soll in der Pflegeeinrichtung auch noch ein Theaterprojekt mit Behinderten realisiert werden.

Dem Zuschauer erscheint das Pädagogik­idyll zunächst so beklemmend wie dem armen Valentin auch. Mit einem gelungenen Schachzug schaffen Hillebrand und Paulus die Wende: Die kecke Pflegerin Mira (Anna Unterberger) sieht nicht nur entzückend aus, sie trägt auch ein unverschämt kurzes Kleid. Der erotische Funke reißt den depressiven Valentin aus dem Schneckenhaus und wird zum Ausgangspunkt einer Reihe wunderbar skurriler Verwicklungen.

Mit seinen beiden Komplizen Lukas (Nikki Rappl) und Titus (Bastian Wurbs) macht Valentin zunächst die Fußgängerzone unsicher: Die Rollstuhl-Rowdys fahren Passanten absichtlich in die Hacken und genießen den Moment, in dem wohlerzogene Bürger ihren Wutaffekt über die unverschämte Attacke unterdrücken. Spielerisch entkommen sie so ihrer vorherbestimmten Rolle, Objekt der Pflege zu sein. Dabei gelingt den beiden Regisseuren eine Gratwanderung, denn als kleine Arsch­löcher auf Rädern werden Valentin und seine Freunde auch zu handelnden Subjekten.

Diesen Ausbruch treibt der Film lustvoll auf die Spitze, allerdings nicht im Sinne einer pädagogisch seriösen Empfehlung. Valentin bereitet mit seiner »Gang« den Überfall auf eine Tankstelle vor. Er will Miras langweiligem Freund, der hier jobbt, einen Denkzettel verpassen. Das ist kindisch, lächerlich – aber sympathisch.

Der Plot entwickelt sich zu einem paralympischen Krimi mit politisch nicht immer korrekten Glanzlichtern. Klauen die drei Rollis ein wertvolles Kruzifix, um mit dem Erlös eine Waffe zu kaufen, dann erscheint diese Szene wie eine andere Art von Prozession. Integration ist nie schmerzfrei und führt nicht zu einem harmonischen Miteinander von Behinderten und Normalen: Diese Botschaft packen Hillebrand und Paulus in einen erfrischend schrägen Film über Behinderte, in dem auch Hamlets »Sein oder Nichtsein« aus einer neuen Perspektive beleuchtet wird.

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