Kritik zu Passages

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Zwei Männer und eine Frau: Ira Sachs erzählt von der Liebe, die die Dinge in Unordnung bringt, und einer ménage à trois, aus der keiner und keine ohne Schmerzen mehr herauskommt, und davon, wie intime Beziehungen die Politik der Geschlechter widerspiegeln

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Die Dreharbeiten sind beendet und natürlich muss nun gefeiert werden! Filmemacher Tomas (Franz Rogowski) ist in Partylaune, doch Martin (Ben Whishaw), sein Mann, ist müde und geht früh nach Hause. Schwuppdiwupp landet Tomas im Bett von Agathe, die eben erst ihren Freund abserviert hat und offen für Neues ist. Ein Ausrutscher? Ein One-Night-Stand? Ein Experiment? Als Tomas am anderen Morgen Martin brühwarm von seinem nächtlichen Ausflug auf unbekanntes Terrain berichtet – »Ich hab mit einer Frau geschlafen!« –, ist der zwar beleidigt, wartet aber, offenbar leidgeprüft, erstmal ab. Das hätte er besser nicht tun sollen.

Ob »Passages« von Ira Sachs ein Film über die Liebe ist oder einer über Egoismus, ein Film über den Egoismus in der Liebe oder die Liebe eines Egoisten, lässt sich nicht entscheiden. Denn dicht ineinander geflochten sind Motivationen und Charakterzüge. Der rücksichtslose, hedonistische Tomas, der sanfte, allzeit opferbereite Martin, die neugierige, abenteuerlustige Agathe (Adèle Exarchopoulos) – sie treffen aufeinander, und ehe sie sich’s versehen, sind sie auf die schmerzhafteste Weise ineinander verstrickt und können sich, ohne jeweils Schaden zu nehmen, nicht mehr voneinander befreien.

Immer wieder auch ist »Passages« ein Realitätscheck: Indem er das aus dem heteronormativen Wertesystem hergeleitete, romantisch gedachte monogame Paar konfrontiert mit Alternativ-Entwürfen wie der klassischen ménage à trois, der modischen »Polyamorie«, der guten, alten offenen Beziehung sowie Patchworkfamilie und Leih­elternschaft. Denn richtig rund geht es, als Agathe von Tomas schwanger ist und Tomas die frohe Kunde vom zu erwartenden Nachwuchs dem sich nach Vaterschaft sehnenden Martin unterbreitet, als wär’s das Christkind unterm Weihnachtsbaum.

Ist Tomas ein Narziss, dem völlig egal ist, was er anrichtet? Der vor lauter Bauchnabel nicht sieht, wie sehr er die Menschen verletzt, die zu lieben er vorgibt? Doch auch Martin verursacht unterdessen Kollateralschäden. Den bittersten Brocken aber schluckt schließlich Agathe. Und Sachs behält das alles im Blick, zeichnet ökonomisch gerafft und mit größtmöglicher Nüchternheit den ganzen Aberwitz auf. 

Ein kaum auszuhaltendes Hin und Her, in dessen Zentrum und als dessen Ursache Franz Rogowski in der Rolle Tomas' einmal mehr seine schauspielerische Skrupellosigkeit unter Beweis stellt. Ihm ist es egal, ob das Publikum seine Figur womöglich unsympathisch findet; in seiner Widersprüchlichkeit und Unentschlossenheit ist Tomas für Rogowski interessant, also nimmt er ihn sich zur Brust und lotet ihn aus. Bis es einem tatsächlich schwerfällt, hier ausschließlich einen selbstverliebten Idioten mit Arschloch-Schlagseite und in den anderen seine Opfer zu sehen. 

Zumal Ben Wishaw als Martin und Adèle Exarchopoulos als Agathe nicht lediglich als einander entgegengesetzte Spitzen dieses Dreiecks passiv im Raum stehen. Vielmehr gestalten sie mit subtileren Mitteln das Ringen um eine in Unordnung gebrachte Liebe. Und die Zwiespalte, in denen diese emotional aneinandergebundenen Menschen sich finden, sind so unbekannt nicht. Wer hat sich noch nie allzu viel allzu lange gefallen lassen? Wer hat noch nie nicht gewusst, was er tat? Wer wirft nun den ersten Stein?

»Don't be melodramatic, please«, sagt Tomas einmal zu Martin, als der sich über die unmögliche Situation beschwert. Bei welcher Gelegenheit einem mal wieder auffällt, wie oft der Begriff ungerechtfertigt abwertend verwendet wird; so, als wäre das Melodramatische unter allen Umständen ein Topf voll Schmalz und könne nicht auch eine große, pathetische Gefühlsverwirrnis sein. 

Sachs, der mit »Passages« neuerlich ein gemeinsam mit Mauricio Zacharias geschriebenes Drehbuch verfilmt, beherrscht die Kunst der analytischen Durchdringung bei gleichzeitiger Achtung der hoch aufwallenden Empfindungen. Darin sind seine Filme jenen Rainer Werner Fassbinders ähnlich, denen es gleichermaßen gelang, in den zwischenmenschlichen Beziehungen die Politik der Geschlechter und weitergehend die gesellschaftlichen Verhältnisse zu reflektieren. Im Unterschied zu deren oft eher pessimistischer Perspektive aber finden Sachs’ Arbeiten in der menschlichen Fehlbarkeit auch das Komische. Und damit das Tröstliche.

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