Kritik zu Irdische Verse

OmU © Neue Visionen Filmverleih

Mit sparsamen filmischen Mitteln und messerscharfen Dialogen sezieren Ali Asgari und Alireza Khatami den Alltag der Übergriffigkeit im Herzen der religiösen Bürokratie Irans

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Die junge Frau ist geblitzt worden, mitten in Teheran. Ihr Vergehen ist aber nicht etwa die Übertretung der Höchstgeschwindigkeit. Das Beweisfoto zeigt, dass ihr Kopftuch leicht verrutscht ist. Sie will sich rausreden, macht ihre Lage dadurch aber immer schwieriger. Jede ihrer Ausflüchte kontert die Beamtin der Bußgeldstelle mit einer Logik von atemberaubender Absurdität. Nein, kafkaesk ist diese Bürokratie nicht wirklich. Sie entspricht nur jener strengen Koranauslegung, die nach der islamischen Revolution 1979 zum Gesetz wurde.

Die Schikane der jungen Frau ist nur eine von acht Situationen (plus zwei Rahmenepisoden) über den Alltag im Iran. Zugespitzte Beobachtungen der beiden Regisseure Ali Asgari und Alireza Khatami verdichten sich zu einer Bestandsaufnahme der Durchdringung des Privatlebens im religiösen Totalitarismus. Sittenwächter sitzen jeweils an Schaltstellen des Verwaltungsapparats. Auf dem Standesamt will ein Vater den Namen seines neugeborenen Sohns eintragen lassen. »David« geht aber im Iran gar nicht. Ein Arbeitsloser, der eine Stelle sucht, muss seine Qualifikation unter Beweis stellen, indem er rituelle Waschungen pantomimisch vorführt.

Diesen alltäglichen Irrsinn visualisieren die Regisseure mittels einer strengen Formvorgabe. Dabei blenden sie die Sittenwächter so aus, dass die jeweilige Schikane aus ihrer Sicht geschildert wird. Der Film gerät zu einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung. Was er offenbart, ist die jeweilige »Unterwerfung« unter den Willen Gottes – so lautet auch die (arabische) Übersetzung des Wortes »Islam«.

Die gallige Pointe dieser dialogstarken Satire läuft darauf hinaus, dass diese Unterwerfung durch religiöse Vorschriften ermöglicht und zugleich kaschiert wird. Am deutlichsten wird diese oft sexuelle Übergriffigkeit im Bewerbungsgespräch einer 30-Jährigen. Als ihr klar wird, dass ihr potenzieller neuer Chef als Gegenleistung für eine Anstellung ganz selbstverständlich sexuelle Dienste einfordert, zieht die Undankbare sich unter dessen lautstarken Beschimpfungen zurück. Nicht minder repressiv geht es auf der Führerscheinstelle zu. Um die Fahrerlaubnis zu erhalten, muss ein junger Mann sich nackt ausziehen. Der Sittenwächter befriedigt seinen homoerotischen Voyeurismus. Und zwar im Namen Gottes.

Der Filmtitel zitiert das gleichnamige Gedicht von Forugh Farrochzad, einer der bedeutendsten iranischen Lyrikerinnen der Gegenwart. Assoziiert sind aber ebenso die »Satanischen Verse«. In ihnen spielte Salman Rushdie mit der Fiktion, dass man nicht wissen könne, ob die heilige Verkündigung nun aus dem Munde Mohammeds oder Satans kommt. Wie sehr diese Zweideutigkeit das totalitäre System stützt, veranschaulichen die Irdischen Verse in Perfektion. So weiß jeder der Sittenwächter nur zu gut, dass er eine Schmierenkomödie aufführt. Doch die eindeutige Zweideutigkeit religiöser »Unterwerfung« dient dem Machterhalt. Das in 77 Minuten deutlich zu machen, ist eine filmische Meisterleistung.

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