Kritik zu Evil Does Not Exist

© Pandora Film

2023
Original-Titel: 
Aku wa sonzai shinai
Filmstart in Deutschland: 
18.04.2024
L: 
106 Min
FSK: 
Ohne Angabe

In Ryusuke Hamaguchis neuem Film ist eine ländliche Gemeinde stolz auf ihr ­nachhaltiges ­Zusammenleben. Doch ein Konzern will die ­Gegend für »glamouröses Camping« erschließen

Bewertung: 4
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Ganz langsam gleitet die Kamera voran, blickt von unten in die Baumspitzen, darüber blitzt immer wieder der blaugraue Himmel hervor, untermalt von den sphärisch-elegischen Klängen Eiko Ishibashis. In knapp vier Minuten führt diese filmische Meditation sanft hinein in die Welt von Ryusuke Hamaguchis »Evil Does Not Exist«. Und endet dann abrupt, mit einem harten Schnitt, mitten im Ton. Es wird nicht die einzige Irritation bleiben im neuen Film des 45-jährigen Japaners.

Mizubiki ist eine kleine Gemeinde in der Nähe von Tokio, doch zwischen der Metropole und der idyllischen Waldregion liegen Welten. Hier leben und arbeiten Menschen im Einklang mit sich und der Natur, sie schonen die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen. Das Trinkwasser stammt aus dem Bach, im Wald sammeln sie wilden Wasabi, die Abende verbringt man oft mit gemeinsamem Essen bei Nachbarn. In einem Haus am Waldrand wohnt auch der Witwer Takumi (Hitoshi Omika), der sich um die Baumbestände und seine achtjährige Tochter Hana (Ryo Nishikawa) kümmert. Die Gegend, in der das Mädchen trotz des Verlusts der Mutter aufwächst, ist ein Traum.

Auch für gestresste Großstädter, denken sich die Planer eines Unternehmens namens »Playmode«, die hier einen Zelt- und Wohnwagenplatz mit allem Luxus und Raffinessen aufziehen wollen. Dafür haben sie auch gleich den passenden Neologismus in ihrem Werbematerial: Glamping, glamouröses Camping. Als zwei Abgesandte das Konzept bei einer Bürgerversammlung vorstellen, gibt es schnell Fragen, schließlich handfeste Einwände und Zweifel. Die Bewohner befürchten, dass durch die geplanten Klärtanks der Bach verschmutzt werden könnte, die natürliche Wasserquelle der Gemeinde. Durch Lagerfeuer würde das Risiko für Waldbrände steigen, Vögel und andere Wildtiere wären in Gefahr, nicht zuletzt würden lokale Ladengeschäfte durch die neue Konkurrenz starke Einbußen haben. Das aus einer Tokioter Consultingagentur engagierte Duo Takahashi (Ryuji Kosaka) und Mayuzumi (Ayaka Shibutani) ist da­rauf schlecht vorbereitet, die beiden flüchten sich in zunehmend floskelhafte Antworten. Mayuzumi zumindest gesteht nach einer Weile ihr Unwissen ein, aber das hilft auch nicht weiter. Die Präsentation ist auf ganzer Linie gescheitert.

Hamaguchi, der vor zwei Jahren den Oscar für »Drive My Car« als besten internationalen Film erhielt, erzählt hier kein klassisches Ökodrama mit klar verteilten Rollen von Gut und Böse, sondern schlägt einen weiteren narrativen Haken, wenn er das Duo erneut nach Mizubiki schickt, wo sie versuchen, Takumi auf ihre Seite zu ziehen.

Ishibashis Kompositionen sind dabei weit mehr als nur Bildbegleitung, sie entstanden vor dem Film, Hamaguchi sollte ursprünglich Clips für eine Liveperformance drehen, tauchte immer tiefer in die Musik ein, entwickelte Figuren und Geschichten, aus denen dann der Film entstand. Dennoch stehen die Stücke fast für sich, immer wieder scheint die Handlung stillzustehen, während die Kamera von Yoshio Kitagawa zu Ishibashis Musik durch die Wälder schwebt.

Im Laufe des Films blitzen immer wieder kurz Momente auf, die nicht ins Idyll passen, beim Waldspaziergang etwa, wenn Takumi seiner Tochter Baumarten erklärt und sie am Boden plötzlich den verwesten Kadaver eines Rehkitzes entdecken. »Von einer Kugel verwundet«, sagt der Vater knapp, bevor sie weiterflanieren. Später sind in der Ferne Schüsse zu hören. Von einem Dornenbusch tropft Blut.

Das Ende kommt dennoch unvermittelt. Nicht nur im krassen Tonwechsel, sondern auch mit Verwunderung über die mögliche Bedeutung. Rache der Natur? Eine Reflexion auf menschliches Verhalten? Ein metaphysischer Kommentar? Dass die offenen Fragen keine Sackgasse bilden, sondern weitere Gedankenräume eröffnen, ist die große, rätselhafte Kunst Ryusuke Hamaguchis.

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