Kritik zu Die Wonder Boys

© Concorde Filmverleih

2000
Original-Titel: 
Wonder Boys
Filmstart in Deutschland: 
02.11.2000
Heimkinostart: 
07.11.2001
L: 
112 Min
FSK: 
12

Thriller-Spezialist Curtis Hanson drehte eine subtile Komödie

Bewertung: 4
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Lange Zeit gehörte Curtis Hanson zu jener Sorte Regisseure, deren Filmen man zwar einigermaßen gespannt entgegenblickt, von denen man aber nichts wirklich Herausragendes erwartet, denen man den richtig großen Wurf nicht so recht zutraut. Hanson stand für ordentliches Handwerk (»Todfreunde«) und kleine Thriller, die durch ein paar raffinierte Plot-Twists und gute Darsteller über den Durchschnitt gehoben wurden (»Das Schlafzimmerfenster«, »Die Hand an der Wiege«). Jedenfalls hatte einen nichts auf »L.A. Confidential« (1997) vorbereitet. Hansons kongeniale Verfilmung des Romans von James Ellroy. Durch den (Kritiker-)Erfolg dieses Films stieg Hanson auf in der Hollywood-Hierarchie, und viele andere hätten an seiner Stelle versucht, mit ihrem nächsten Film auf Nummer Sicher zu gehen, um ihren Platz zu festigen.

Nicht so Curtis Hanson, dessen Komödie »Wonder Boys« nach dem Kraftakt »L.A. Confidential« so entspannt und bescheiden daherkommt, so subtil und leise, dass man seine Qualitäten leicht übersieht. Hanson, der späte Wunderknabe Hollywoods, möchte nichts »beweisen« mit diesem Film, und man spürt, wieviel Freude er und alle anderen Beteiligten an dem Projekt hatten.

Michael Douglas ist Grady Tripp, ein Schriftsteller, der vor vielen Jahren seinen ersten und einzigen Roman veröffentlichte und heute ein Dasein als Literaturprofessor in Pittsburgh fristet. Zu behaupten, der arrivierte Tripp hätte sein Leben im Griff, wäre mehr als übertrieben: Zum Frühstück zündet er sich einen Joint an, mit seinem neuen Roman wird er einfach nicht fertig, und überhaupt sieht er mit seinen strohigen, wirren Haaren, der porösen Haut und dem grauen Drei-Tage-Bart ziemlich fertig aus. Was für eine herrliche Rolle für Michael Douglas, der damit sein eigenes, lange kultiviertes Klischee vom aalglatten Alleskönner auf die Schippe nimmt. Möglicherweise ist das der Beginn eines neuen Karrierabschnitts für diesen großartigen, in den letzten Jahren oft sträflich unterforderten Darsteller. Als nächstes spielt er in Steven Soderberghs Drogen-Drama »Traffic«, was in jedem Fall einen weiteren Schritt in die richtige Richtung bedeutetet.

Die Mädels an der Uni fliegen zwar auf den alternden Intellektuellen Tripp, vor allem die überaus sexy gebaute Hannah (Katie Holmes), die ein Zimmer in seinem Haus bewohnt. Doch im Gegenzug wird er gleich zu Beginn des Films von seiner Frau verlassen und bekommt kurz darauf von seiner Geliebten Sara (Frances McDormand), der Gattin seines Chefs, mitgeteilt, dass sie ein Kind von ihm bekommt. Als wäre das nicht genug, erwartet Tripp am selben Tag seinen durchgeknallten Agenten Terry Grabtree (exzellent: Robert Downey Jr.), der anlässlich des jährlichen Campus-Literatur-Festivals Tripps neuen, vermeintlich fertig gestellten Roman begutachten will. Und dann wäre da noch der genialische Jungautor James Leer (Tobey Maguire), von dem Tripp nicht weiß, ob er ihn beneiden oder fördern soll, und für den er schon bald als Ersatzvater herhalten muss.

Über den Zeitraum eines Wochenendes verfolgt der Film diese illustre Runde bei ihrer kleinen Odyssee durch das von Schneematsch durchtränkte Pittsburgh. Was Tripp und seinen Freunden – meistens nachts und unter mildem Drogeneinfluss stehend – passiert, ist durchaus spektakulär, wird von Hanson aber vollkommen unspektakulär inszeniert. Er setzt beim Zuschauer auf amüsiertes Schmunzeln, wo andere Regisseure dem Brüller hinterher gejagt wären. »Wonder Boys« wird von heiterer Melancholie getragen, nicht von Screwball-artiger Rasanz angepeitscht. Düster fotografiert und doch voll von leuchtender Lebensfreude ist der Film das liebevoll-satirische Porträt jener Subkultur, die man Literaturszene nennt, und es ist ein irgendwie passender Zufall, dass er ausgerechnet in Pittsburgh spielt, jener Stadt, die bislang nur Romeros Zombie-Filmen als Kulisse gedient hat.

Wie ein lebender Toter wirkt bisweilen auch Grady Tripp, dessen Gesicht in vielen Szenen zur Hälfte im Dunkeln liegt, als würden die Schatten, die auf seiner Seele lasten, ihn langsam verschlingen. Obwohl er sich selbst kaum zu helfen weiß, findet er sich in der irrsinnigen Situation wieder, dass ihm einerseits sein Leben jeden Moment vollends zu entgleiten droht, dass aber andererseits jeder Mensch in seiner Umgebung irgendetwas von ihm will und auf ihn baut. Dabei muss man ihn nur anschauen, um zu wissen, dass mehr als ein paar halbherzige Versuche, es jedem recht zu machen, von ihm nicht zu erwarten sind. Nicht, dass Tripp das alles viel ausmachen würde: Solange Drogen in der Nähe sind, sieht er die Sache recht gelassen, Larmoyanz liegt ihm fern. Wenn er mittags im rosa Morgenmantel zur Haustür schlurft und eine Kippe aus der Tasche zieht, könnte er gar ein Cousin von »Big Lebowski« Jeff Bridges sein, wobei man sich nicht vorstellen mag, was für einen Film die Coens wohl aus den »Wonder Boys« gemacht hätten.

Klar, es wäre ein Leichtes gewesen, den krisengeschüttelten Tripp, die weise Sara, den wunderlichen Leer und den flamboyanten Crabtree zu Karikaturen zu degradieren, und am Anfang des Films sieht es auch fast danach aus. Welch eine Erleichterung aber, als die anfänglichen (sanften) Überzeichnungen nicht ins Groteske übersteigert werden, sondern sich als knappe Charakterisierungen entpuppen, die den einzelnen Figuren einfach eine erste Linie geben sollen. Was diese exzentrischen »Wonder Boys« anstellen, wie sie sich aufführen, ist oftmals überaus komisch, doch die Charaktere selbst werden dabei nie der Lächerlichkeit preisgegeben – etwas Albernes zu tun und albern zu sein ist ein feiner Unterschied, um den Hanson und sein fabelhafter Drehbuchautor Steve Kloves (»Die fabelhaften Baker Boys«) sehr wohl wissen. Selbst Randfiguren wie dem riesenhaften Transvestiten, den Grabtree im Flugzeug aufliest, oder dem gnomenhaften schwarzen Kraftpaket, mit dem Tripp sich anlegt, schenkt der Film zwei zärtliche Szenen, die sie zu »Menschen« jenseits der komödiantischen Einlage machen.

Ganz unaufgeregt geht die Inszenierung auch damit um, dass Tripp ungeniert und ungestraft Pillen einwirft, Joints raucht und eine verheiratete Frau schwängert, oder dass der bisexuelle Grabtree mit dem viel jüngeren James Leer ins Bett steigt und ein schwarzer Mann mit einer weißen Frau liiert ist – Themen, die in anderen Filmen erst für Dramatik sorgen würden, werden hier in kurzen Szenen so selbstverständlich eingebracht, dass man beinahe vergisst, an welche gesellschaftliche Tabus sie rühren. Alles halb so schlimm, scheinen Hanson und Kloves uns damit sagen zu wollen: »Wonder Boys« ist ein Panoptikum aus skurrilen Situationen und Gestalten, die sich als weniger sonderbar erweisen als man zunächst denkt. Man muss nur genau hinsehen – »look closer«, das Motto von »American Beauty« passt auch zu Hansons wunderbarem Film. Man hat nach »L.A. Confidential« viel von ihm erwartet, und er hat es trotzdem geschafft, uns zu überraschen. Spätestens jetzt sollte man ihm alles zutrauen.

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