Der nächste Schritt

Was "ressourcenschonende Maßnahmen" sind, ist in Zeiten der Energiekrise selbstredend von brennendem Interesse. Die Sorge hat angesichts des russischen Angriffskrieges ja nicht nur hysterische Formen angenommen, sondern auch solche, die ernst zu nehmen sind. Falls Sie nach diesem Auftakt nun Aufklärung über die Notwendigkeit des LNG-Terminals auf Rügen erwarten, muss ich Sie leider enttäuschen. Es geht um die Berlinale.

Seit Hannah Pilarczyk in der letzten Woche auf "Spiegel online" Spekulationen darüber anstellte, wie sich Sparzwänge auf die diversen Sektionen des Festivals auswirken könnte, wird munt

er weiter spekuliert. Nicht nur die „Perspektive Deutsches Kino“ und das Serienprogramm stünden zur Debatte, auch die Hommage und eventuell sogar die Retrospektive. Letztere nannte Christiane Peitz im „Tagesspiegel“ vom Samstag, was ich jedoch rasch als Gerücht abwehrte, denn diese Autorin lässt nur ungern ein gutes Wort fallen über die Kinemathek, die beide Reihen ausrichtet. Auf die Retro zu verzichten, die früher wesentlich zum Profil der Berlinale beitrug, erschien mir als eine Torheit, die eher in die Kosslick-Ära gepasst hätte. Das war tatsächlich nur ein Gerücht.

Nachdem die Festivalleitung anfangs zurückhaltend auf die Mutmaßungen reagierte und dabei von obigen Maßnahmen sprach, veröffentlichte sie gestern Nachmittag eine offizielle Stellungnahme, die mit „Next Move“ überschrieben ist. Darin legt sie ihre Pläne für eine zukunftsorientierte Festivalstruktur, die sich fokussieren und konzentrieren (gleich beides!) soll. In der Tat werden die Sparten „Series“ und „Perspektive“ - von der niemand so recht sagen konnte, ob sie nun ein Getto oder doch eine Plattform gesteigerter internationaler Aufmerksamkeit war – aufgelöst, um in andere Sektionen eingehegt zu werden. Gleichzeitig sollen auch diese, mit Ausnahme des Wettbewerbs, gestrafft werden. Erklärtes Ziel ist es, ab 2024 die Anzahl der gezeigten Filme auf 200 (von ihn diesem Jahr 287) zu reduzieren. Das entspricht der Hälfte der Titel, die in den aufgeblähten Kosslick-Jahren zu sehen waren,

Erst einmal scheint es mir vernünftig, wenn sich die Überforderungsmaschine Berlinale dem menschlichen Maß annähert, das bei ihren prominenteren Rivalen Cannes und Venedig herrscht. Mithin nehme ich auch die quallige Formulierung, so ließen sich Präsentation und Wahrnehmung der Filme „optimieren“ mit Wohlgefallen zur Kenntnis. Sie versteht sich eigentlich von selbst: weniger Konkurrenz bedeutet größere Sichtbarkeit für jeden Film. Genau davor hatte jedoch Kosslick stets mit dem sacht erpresserischen Argument gewarnt, weniger Filme würden auch geringere Einnahmen bedeuten. Und diese erwirtschaftet die Berlinale traditionell ja in einem beeindruckenden Maße, das in Cannes und Venedig nicht möglich ist. Mit den 320.000 verkauften Eintrittskarten ist sie in diesem Februar ja auch als Publikumsfestival aus dem Pandemieschlaf erwacht.

Daneben ist sie auf Gelder vom Kulturministerium sowie auf Drittmittel angewiesen. Letztere fließen seit Corona indes erheblich spärlicher. Die Geschäftsführung sah sich heuer ja sogar genötigt, den Shuttle-Service in die Hände von Uber zu geben. (Wer möchte sich schon die Berliner Taxifahrer zum Feind machen?) Die Lage ist ernst, zumal auch ein Teil der Kinos, die das Festival bespielte, nicht mehr zur Verfügung steht. Ob es genügt, die Umstrukturierungen mit dem Allerweltsadjektiv „nachhaltig“ zu adeln, sei dahingestellt. Eine wirkliche Zukunftsorientierung wird kurz- und mittelfristig zudem durch den drohenden Umzug einiger Institutionen (siehe „Diaspora“ vom 23. 11 letzten Jahres) massiv erschwert. Das muss dann nicht mehr die Sorge der Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek sein, die sich nächstes Jahr in die Pensionierung verabschiedet.

Derweil jedoch verkaufen sie und der künstlerische Leiter Carlo Chatrian die Neuaufstellung als Fortschritt. Die Zwei tun dies mit der gleichen Überzeugungskraft, mit der sie wacker den Anschein aufrechterhalten, die Doppelspitze sei eine Liebesheirat gewesen. Dass Chatrians privater Nebenwettbewerb „Encounters“ nicht den Sparzwängen zum Opfer fällt, lässt vermuten, dass er seinen Vertrag verlängern will. Gut unterrichtete Kreise gingen bisher davon aus, dass es ihn nach Venedig zieht, wo er die Nachfolge Alberto Barberas antreten würde. Aber gleichviel, ob er der Berlinale als künstlerischer Leiter erhalten bleibt oder nicht: Die nächsten Schritte stehen dringend an - und sie werden auf einem steinigen Weg stattfinden.

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