Verschlossene Türen einrennen

1935, als sich bereits abzeichnete, dass Flucht und Exil für viele Europäer die einzige Überlebenschance sein sollte, entstand in London einer der vergnüglichsten Filme über Migration. In den Denham Studios drehte René Clair seine erste englischsprachige Komödie, »The Ghost goes West« (Ein Gespenst geht nach Amerika).

Robert Donat spielt einen schottischen Adligen, der nach einer Stammesfehde im 18. Jahrhundert dazu verdammt ist, im Schloss der Familie als Geist weiter zu wesen. Ein verschuldeter Nachfahr muss es an einen amerikanischen Lebensmittel-Magnaten verkaufen, der es abtragen und bei sich daheim wieder aufbauen lässt. Dergleichen passierte seinerzeit häufiger, auch wenn dabei wohl selten ein Schlossgespenst in den Umzugskisten mitreiste. Mir gefiel an dieser Geschichte immer, dass der französische Regisseur nebenbei auch seine eigene Erfahrung einer sanften Entwurzelung mit erzählte. Heute denke ich eher daran, wie lebensnotwendig Anmut und Witz gerade in furchtbaren Zeitläuften sind.

Derzeit findet gerade die Verfrachtung eines anderen historischen Gebäudes über den Atlantik statt; allerdings in entgegengesetzter Richtung. Der Künstler Ryan Mendoza hat das Haus, in dem Rosa Parks für einige Jahre in Detroit lebte, vor dem Abriss bewahrt und baut es in Berlin wieder auf. Die Afro-Amerikanerin Rosa Parks wurde zu einer Wegbereiterin der Bürgerrechtsbewegung, als sie sich 1955 in Montgomery, Alabama weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Ihr couragiertes Aufbegehren gegen die Rassentrennung ließ Parks zu einer Ikone mit weltweiter Ausstrahlung werden. Vor einigen Wochen erst entdeckte ich zufällig, dass ein Pariser Vorortbahnhof nach ihr benannt ist. Sie musste nach Detroit ziehen, nachdem sie daheim erbitterten Anfeindungen und auch Morddrohungen ausgesetzt war. Auch unter der Ägide Barack Obamas fand sich keine Lobby, ihr Wohnhaus unter Denkmalschutz stellen wollte. Also entschloss sich Mendoza, es auf eigene Kosten abbauen und verschiffen zu lassen; voller Hoffnung, dass auch hier ein guter Geist mit auf die Reise geht.

Wenige Monate, nachdem Rosa Parks' Weigerung und der darauf folgende Boykott der Busbetriebe Schlagzeilen machten, schickte das Wochenmagazin »Life« den Fotografen Gordon Parks (nicht mit Rosa verwandt) für eine Reportage in die Südstaaten, um den Rest der USA ins Bild zu setzen, wie hartnäckig die Rassentrennung dort den Alltag bestimmte. Zu diesem Zeitpunkt eignete sich niemand so sehr wie er für diesen Auftrag. Parks konnte 1956 bereits auf eine spektakuläre, einzigartige Karriere zurückblicken. Er war der erste Afro-Amerikaner, der als Fotograf für die großen Publikumszeitschriften arbeitete, die sich an den weißen Mittelstand richteten. Seine schonungslos impressionistischen Foto-Essays aus Harlem hatten Ende der 40er großes Aufsehen erregt. Zugleich profilierte er sich als erster Schwarzer in der Disziplin der Mode- und Gesellschaftsfotografie. Parks war eigentlich bei allem, was er machte, der Erste.

Die Aufnahmen, die er 1956 im Süden machte, gehören zu den erstaunlichsten Entdeckungen, mit denen die große Werkschau aufwarten kann, die ihm die Berliner Galerie C/O noch bis zum 4. Dezember widmet. Der Kampf der Bürgerrechtsbewegung ist in schwarzweißen Zeugnissen ins kollektive Gedächtnis eingegangen. Aber Parks' Fotos sind in gedämpften Farben gehalten, oft in Pastelltönen – als weigere er sich, das Thema der Segregation auf Kontraste zu reduzieren: die Nuancierung als Widerstand. Häufig sticht ein Farbakzent hervor (was durchaus an die frühen Technicolor-Filme von Powell & Pressburger erinnert), nicht selten ist es das kräftige Rot eines Kleidungsstücks oder einer Neonreklame. Den nachhaltigsten Eindruck hinterließ bei mir »Colored Entrance«, das eine Mutter und ihre Tochter vor dem separaten Eingang zu einem Kino (und nicht zu einem Kaufhaus, wie häufig behauptet wird) zeigt. Es ist geradezu schmerzhaft schön und zugleich unerbittlich kadriert. Auch Parks wusste, dass die Anmut ein Widerhaken sein kann.

Die Schau stellt ihn als einen Protagonisten der humanistischen Fotografie vor. Es ist kein Bild von ihm zu sehen, das etwas anderes als Menschen zeigt. Seine Massenszenen, etwa die Bürgerrechtsdemonstration auf der Mall in Washington, bestehen aus lauter Porträts von Individuen. Parks ist ein begnadeter Vermittler. Seine Fotos sind zugänglich, sie packen und rütteln auf. Sie zeigen das Leben, wie es sich gerade zuträgt.

Seine Modefotografien sind beschaulicher als die Bilder vom Leben in Harlem und anderen Ghettos. Auch sie sind das Ergebnis bitterer Kämpfe. »Harper's Bazaar« wies ihn wegen seiner Hautfarbe ab, »Vogue« war aufgeschlossener. Natürlich posieren seine Modelle, aber manchmal hat man doch den Eindruck, er habe sie beim Leben ertappt. Besonders mag ich seine Gruppenfotos, etwa das Quartett von Frauen mit Kurzhaarschnitt, deren Blicke in vier unterschiedliche Richtungen gehen. Seine Themenvielfalt ist irrwitzig. Einmal stellte er fest, dass ein Dior-Kleid, das er nachmittags fotografierte, die gleiche Farbe hatte wie das Blut eines Bandenmitglieds in Harlem, das er wenige Stunden zuvor aufgenommen hatte.

Wer als Filmliebhaber in die Ausstellung geht, entdeckt rasch, wie sehr seine Arbeit zum Kino drängt. Seine Fotos sind suggestiv, sie erzählen Geschichten; gleichviel, ob als Einzelbilder oder in Form eines Essays. Die Schau unterstreicht die serielle Form seiner Arbeit. Das gilt selbstverständlich für den Zyklus, in dem er 1952 Schlüsselszenen aus Ralph Ellisons Roman »The Invisible Man« fotografisch imaginiert. Aber das ist schon ein paar Jahre früher zu spüren, als er eine sommerliche Straßenszene mit Kindern in Harlem festhält, die vergnügt im Strahl eines Hydranten spielen. Die Serie ist in verschiedene Blickwinkel aufgelöst, es gibt sogar Schuss-Gegenschuss-Folgen. Ein Bild ist durch ein Fenster aufgenommen, was dem fröhlichen Spiel einen mulmigen Vorbehalt gibt. Einige seiner Aufsehen erregendsten »Life«-Reportagen hat Parks später zu Fernsehdokumentationen erweitert. Ende der 60er drehte er »The Learning Tree« (Hass), der auf seinem autobiographischen Roman beruht. Wiederum war er der erste Afro-Amerikaner, für ein Hollywoodstudio arbeitete. Berühmt wurde er mit »Shaft«, der ein veritabler Cross-Over-Erfolg wurde und die Blaxploitation-Welle begründete. (In der Schau läuft interessanterweise ein Ausschnitt aus einem anderen Krimi zu sehen, in dessen Zentrum zwei weiße Cops stehen, was motivisch aber besser zu seiner Fotoreportage über Verbrechensbekämpfung anno 1957 passt.) Das Rot der Credits und der Neonreklamen am Times Square im Vorspann zu »Shaft« knüpft deutlich an die Farbvaleurs seiner Fotografien an. Zugleich ist der Film ein wütendes Plädoyer für die Farbblindheit, zu der sich die USA durchringen müssen. »Everybody looks the same to me«, sagt der blinde Zeitungsverkäufer eingangs zu Shaft. So dick durfte, musste Parks damals die Ironie auftragen.

Sein Star Richard Roundtree, der von ihm mehr lernte als nur einen Schnurrbart zu tragen, erkannte eine starke Identifikation zwischen dem Regisseur und seinem Helden: »A black man who totally plays by his own rules«. Einer, der versperrte Türen eintrat. Gordon Parks, der auch ein zupackender Autor war (und überhaupt ein Renaissancemensch: Er schrieb das Libretto zu einem Ballett über Martin Luther King und die Musik zum ersten »Shaft«-Sequel) führte ein langes, bis zum Schluss schöpferisches Leben. Den Amtsantritt Obamas erlebte er nicht mehr. Darauf hingearbeitet hatte er lange genug.

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