Sky: »Curb Your Enthusiasm«

»Curb Your Enthusiasm« (Staffel 12, 2024). © HBO

»Curb Your Enthusiasm« (Staffel 12, 2024). © HBO

Kein Fettnapf je ausgelassen

Als am 15. Oktober 2000 auf dem US-amerikanischen Bezahlsender HBO die erste Folge der Serie »Curb Your Enthusiasm« ausgestrahlt wurde, wusste kaum jemand, was Cringe Comedy sein soll. Humor, der durch Peinlichkeiten entsteht, durch Fremdschämen. Larry David, Erfinder und Hauptdarsteller der in großen Teilen improvisierten Serie, in der er eine besonders hemmungslose Version seiner selbst spielt, kultivierte diesen Witz bis zur Schmerzgrenze. Damit scharte der sarkastische Schlaks eine kleine, aber umso enthusiastischere Fangemeinde um sich. Zumindest in den Vereinigten Staaten. In Deutschland sollte es noch bis 2006 dauern, bis erstmals eine Folge offiziell zu sehen war. Eingefleischte Davidianer hatten sich mit Import-DVDs und illegalen Downloads einen Wissens- und Witzvorsprung verschafft. Und über den das deutsche Publikum für dumm verkaufenden Titel »Lass es, Larry!« nur spöttisch gegrinst.

Nach 23 Jahren und 12 Staffeln tritt Larry David nun ab. Das hatte er zwar 2011 nach Season 8 auch schon mal verkündet, machte dann aber nach sechs Jahren Pause doch weiter. »Damals war ich aber auch noch nicht 76 Jahre alt«, grummelte er jüngst am roten Teppich zur Premiere des Finales. Diesmal meint er es also ernst. Und damit geht eine Fernseh-Ära zu Ende. Mit »Curb« hat er sein eigenes Genre kreiert, das seitdem zigfach kopiert, aber nie erreicht wurde. Verhöhnen und Beschimpfen auf höchstem Unterhaltungsniveau. Den Konventionen, die er dabei anprangert, fällt seine Figur oft selbst zum Opfer. Es ist Zeichen seines jüdischen Ostküstenhumors, dass sich David in den 110 Episoden mit den Waffen seines Witzes selbst nie geschont hat.

Geliebt wurde er für seine unverfrorene Art auch von Kollegen und Kolleginnen. Von alten Stand-up-Weggefähren wie Richard Lewis und dem 2019 verstorbene Bob Einstein (als Marty Funkhouser) bis zu Gastauftritten von Mel Brooks und David Schwimmer. Und natürlich das Ensemble der von ihm kreierten Sitcom »Seinfeld«: Jerry Seinfeld, Julia Louis-Dreyfus und Jason Alexander, die sich allesamt ein Stelldichein gaben. Als Zuschauer hatte man dabei stets den Eindruck, dass der Spaß vorm Bildschirm und der vor der Kamera eng miteinander zusammenhängen.

Zum Abschied wird das Starlaufen nun fast ad absurdum geführt, selbst Bruce Springsteen lässt sich für ein Cameo einspannen. Tracey Ullmann ist erneut dabei, zumindest in den ersten Folgen, als Larrys Momentanfreundin, deren Wahrnehmung komplett um sich und ihr neues alkoholfreies Leben kreist. Mit ihrer übergriffigen Empathielosigkeit kann sie Larry durchaus das Wasser reichen. Eine Weile zumindest. Dann ist Larry wider Single und sein Auge fällt auf die britische Schauspielerin Sienna Miller, mit der er sich just zum Kinoabend verabredet. Miller spielt eine enervierend unsichere Version ihrer selbst. »Sienna Miller« ist in ihren Leinwandrollen nur richtig gut, wenn sie in dramatischen Monologen lautschmatzend Äpfel verspeist.

Doch vor allem Larry David selbst gibt zum Schluss als vermeintlich übellauniger Misanthrop nochmal sein Bestes. Und das kann wehtun. Weil er partout keinen Fettnapf und keine Geschmacklosigkeit auslassen kann. Ob allein im Auto, wo er die weibliche Stimme des Navigationssystems vulgär beschimpft, weil sie seine Adressangabe nicht versteht. Oder im exklusiven Golfclub, wo ihn der Besitzer als Verfasser eines Pamphlets verdächtigt, das die Zustände im Club bekrittelt. Oder in der Warteschlange vorm Wahllokal in Atlanta. Dort gibt Larry der durstigen Tante seines Mitbewohners Leon (J.B. Smoove) eine Wasserflasche und wird prompt verhaftet, weil das im Bundesstaat Georgia während des Wählens streng verboten ist. Statt seinen Fehler einzugestehen, lässt sich Larry von Bürgerrechtlern und liberalen Medien als Held feiern. Das kann natürlich nicht gut ausgehen.

In den 23 Jahren seit der Premiere ist Larry David kein Stück weit milder oder umsichtiger geworden, im Gegenteil. Ihm gelang das Kunststück, sich auch über Minderheiten lustig zu machen und damit davonzukommen, weil er sich eben über alles und jeden lustig macht, als ersten und am meisten über sich selbst. Er ist der Inbegriff des »grumpy old man«, ein alter Grantler wie Waldorf und Stattler aus der »Muppet Show« in Personalunion. Die anderen, die sich an Ähnlichem versuchten, von John Cleese über Louis CK bis Ricky Gervais, sind alle in eine unappetitlich-toxische Ecke gerutscht. Nicht so Larry David. Das liegt auch an den Frauen in »Curb«, die für das notwendige Kontra sorgen, vor allem Cheryl Hines als seine (Ex-)Frau Cheryl und Susie Essman als Susie, die Frau seines Managers und besten Freundes Jeff (Jeff Garlin). Nicht Larry David hat sich an die Populärkultur angepasst, der Mainstream hat sich seinem Cringe genähert. Sein Job ist getan. Das hat auch er erkannt und tritt nun ab. Diesmal womöglich wirklich.

OV-Trailer

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