Disney+: »Ganz oder gar nicht: Die Serie«

»Ganz oder gar nicht: Die Serie« (2023). © Disney/Ben Blackall/FX

© Disney/Ben Blackall/FX

Ins Scheitern verliebt

Im Jahr 1997 eroberte die britische Komödie »Ganz oder gar nicht« die Herzen von Kritikern und Zuschauern. Sie handelte von sechs arbeitslosen Männern in der Industriemetropole Sheffield, die eine Striptease-Show im »Chippendale«-Stil einüben, um ein bisschen Geld zu verdienen. Die Truppe verkörperte den Mut der Verzweiflung, ihr blank ziehen war auch ein Akt trotziger Selbstbehauptung von Männern, die von der Gesellschaft scheinbar aussortiert wurden. Sheffield, die ehemalige Stahlstadt in Nordengland, hat im Serien-Sequel nun eine noch wichtigere Rolle bekommen. Ausgiebig wird die Tristesse verwahrloster Backsteinbauten vorgeführt. Die Schauspielermannschaft von einst ist vollzählig vertreten. Sogar William Snape als Gaz' Sohn Nathan übernimmt seine alte Rolle. Er verkörpert als Polizist das Gegenteil von Robert Carlyles Gaz, der, wie gehabt, als liebenswürdiger Tunichtgut einen idiotischen Plan nach dem anderen ausheckt.

Treffpunkt der sechs ist ein Café, betrieben von Lomper, der im Film sein Comingout erfuhr, nebst Ehemann. Dickerchen Dave ist Hausmeister einer Schule, in der seine Ehefrau Jean sich als Direktorin verausgabt. Guy ist nun ein Bauunternehmer, der sich vor Reparaturen in der maroden Schule drückt – allerdings wurde Darsteller Hugo Speer wegen unangemessenen Verhaltens schnell aus der Serie verbannt. Als Erzählbogen dient das Schicksal von Horse, der, freundlich und gebrechlich, von einer kafkaesken Bürokratie, aber auch anderen modernen Zumutungen wie bargeldlosem Zahlen komplett überfordert ist. Hilfe bekommt er zwar von seinen Freunden, doch die sind meistens – bis auf Tom Wilkinson, der als Rentner Gerald seine Tage geruhsam mit Zeitung lesen verbringt – mit eigenen Problemen beschäftigt.

Die Losung der Serie, in der sozialkritischen Tradition von Ken Loach und Mike Leigh, lautet: mehr Geld für die Wohlfahrt. Im Dialog wird beständig die Misswirtschaft in Psychiatrie, Schulen und anderen sozialen Einrichtungen beschworen. Dass aber abgesehen von Horse die Probleme der Helden von dieser Misere nicht wirklich berührt werden, nimmt den Anekdoten den Schwung.

Im Film lieferte die Entindustrialisierung das realistische Motiv für die Gestimmtheit der Freundesgruppe. Die Serie aber ist ins Scheitern geradezu verliebt und findet zwischen Problemhuberei und tatsächlich schlimmen Dingen keine rechte Balance. Sozialromantische Klischees wie eine als Aufsteigerchance vorgestellte Rapper-Karriere für Des' rebellische Tochter verärgern durch ihre Formelhaftigkeit, während Daves Versuch, einen gemobbten Jungen unter die Fittiche zu nehmen, den Humor und besonders die Dringlichkeit aufweisen, die man sonst vermisst. So schleppt sich der Geschichtenreigen trotz guter Darsteller, skurriler und auch herzerweichender Momente zu einem vorhersehbaren Ende. Gestrippt wird auch nicht.

OV-Trailer

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