Amazon: »Gen V«

»Gen V« (Serie, 2023). © Brooke Palmer/Prime Video

© Brooke Palmer/Prime Video

Sie sind »Supes«

So ein sich selbst verlängernder Arm, der Selfie-Aufnahmen vereinfacht, wäre schon praktisch. Man könnte einen solchen Arm eventuell sogar als Superkraft bezeichnen: Look, it's Selfie-Woman! Sie braucht keinen extra Stick und liefert trotzdem die besten Bilder!

Denn was als beeindruckende und zeitgemäße Superkraft gilt, hat sich verändert. Früher reichte es aus, besonders schnell oder stark zu sein, weil Konflikte zumeist von muskelbepackten Umhangträgern im Nahkampf ausgetragen wurden. Aber das ist nicht mehr ausschlaggebend. Bei der neuen Generation der Superheld:innen, jugendsprachlich leger »Supes«, von denen der »The Boys«-Ableger »Gen V« erzählt, findet sich darum eine Auswahl sehr generationstypischer Fähigkeiten: Jordan Li (London Thor / Derek Luh) kann gendershiften, im Bruchteil einer Sekunde wandelt Li sich von einem weiblich gelesenen in einen männlich gelesenen Menschen. Kleidung und Schmuck bleiben in beiden Darstellungsformen gleich – zudem haben »they« noch weitere Kräfte. Emma (Lizze Broadway), genannt »Little Cricket«, kann sich klitzeklein machen – allerdings muss sie sich dafür übergeben. Die psychologische Dimension des sogenannten »purging« ist offensichtlich: Dass Bulimiker:innen bei jeder Attacke symbolisch schrumpfen, ist eine drastische, aber passende Allegorie auf Essstörungen.

Auch Marie Moreau (Jaz Sinclair), durch deren Augen »Gen V« erzählt wird, hat eine unübliche, spezifische und ziemlich anstrengende Gabe: Mit ihrer ersten Periode entdeckte sie, dass sie zu den »Hemokinetiker:innen« gehört. Ihr Blut hat die Durchschlagskraft scharfer Pfeile und kann bei Bedarf durch die Gegend geschleudert werden – allerdings muss sie sich dafür zunächst selbst verletzen. Und wo könnten all diese gefühlten pubertären Unsicherheiten und Diskursfragen besser und zündender aufeinandertreffen als in einer Bildungseinrichtung wie der »Godolkin University School of Crimefighting«?

»Gen V« ist also im Kern eine Highschool-Serie. Der »The Boys«-Showrunner Eric Kripke hat den Ableger jener erfolgreichen Negativ-Superheld:innenerzählung gemeinsam mit Evan Goldberg und Craig Rosenberg als klassisches Teenieformat gebaut. Die schon oft kolportierte Ausgangssituation, dass jungen Menschen der eigene Körper Angst macht, sie ihn – und damit sich selbst – über- oder unterschätzen, haben die Autoren von einem Handlungsbogen der »The Boys«-Comicreihe adaptiert und teenagergerecht umgesetzt: Wenn »The Boys« brutal, düster und provokant war, dann ist »Gen V« noch um einiges trashiger und blutiger.

Nach den üblichen dramaturgischen Serienregeln startet alles mit einer Katastrophe: Godolkins Topstudent, Spitzname »Golden Boy« – mit unverkennbarem Grinsen, aber unerwartet schmalem Körperbau gespielt von Arnolds Sohn Patrick Schwarzenegger – benutzt seine »pyrokinetischen« (selbstentzündlichen) Fähigkeiten nach einer bestürzenden Entdeckung dazu, sich in einem spektakulären Suizidsprung selbst zu zerstören. Freshman Marie und der mit magnetischen Kräften ausgestattete beliebte Andre (Chance Perdomo) versuchen, den Selbstmord und das Verschwinden von Golden Boys Bruder zu untersuchen.

Es sind aber nicht die etwas wirren und von zu viel notwendigem »The Boys«-Vorwissen geprägten Storylines, die »Gen V« definieren. Sondern die hintergründigen Buzzwords, die Kripke und seine Kollegen zur Beschreibung der merkwürdigen Zwischenzeit Heranwachsender finden: Selbstverständlich wird an der Uni auch »Hero ethics and understanding branding« unterrichtet – dieser Generation ist die Selbstvermarktung bekanntlich besonders wichtig. Zudem geht man im US-Serienbereich mittlerweile längst über überflüssige Zensurgrenzen hinweg: So schrumpft die bemitleidenswerte »Purging«-Heldin Emma einem Liebhaber zuliebe vor dem »Handjob« auf Heuschreckengröße, um dann angesichts seiner Erektion von ihm gefragt zu werden: »Ist das nicht der größte Schwanz, den du je gesehen hast?« – »Im Verhältnis ja«, antwortet Emma diplomatisch. Ob »Supe« oder nicht: Schlichten Männern eine Freude zu machen, ist eben recht simpel.

Trailer

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt