Sich treiben lassen im Blick der Kamera

Die Autobiografie der Schau­spielerin Hanna Schygulla ist eine berührende Lektüre

Hanna Schygulla hat kurz vor ihrem 70. Geburtstag ihre Autobiografie geschrieben. Für ihr an Ereignissen reiches Leben ist es ein ­schmales Buch geworden, knappe 200 Seiten lang. Weniger bedeutende und jüngere Menschen verbrauchen deutlich mehr Seiten und Lebenszeit ihrer Leser – es mag genügen, an den ubiquitären Boris Becker zu erinnern.

Hanna Schygulla ist durch und mit den Neuen Deutschen Filmen von Rainer Werner Fassbinder berühmt geworden und nach Marlene Dietrich und (mit kleinen Abstrichen am Bekanntheitsgrad) Hildegard Knef eine auch im Filmland USA verehrte Schauspielerin. Ihre Filme entstanden aus dem Geist der 1968er-Bewegung, und ihre sehr ­zeit­typische schauspielerische Herangehensweise unterschied sich komplett von denen ihrer deutschen Vorgängerinnen in Sachen Weltruhm. Schygullas Sich-Ausprobieren, Sich-treiben-Lassen, Vor-sich-hin-Träumen im Angesicht der Kamera findet eine Entsprechung in ihren nie­der­geschriebenen Erinnerungen – sie mäandern wie ein langer, ­ruhiger Fluss. Eine strenge Chronologie wie in der Autobiografie von Marlene Dietrich oder erzählerischen Furor wie in der von Hildegard Knef sollte der Leser nicht erwarten, pikante Alkovenmärchen schon gar nicht und auch für an filmhis­torischen Fakten interessierte Leser ist die Ausbeute eher gering. Was soll über Fassbinder aber auch noch an Neuigkeiten vermeldet werden?

In seinen starken Momen­ten – etwa der Schilderung der Pflege ihrer Mutter – ist das Buch schlicht und berührend. Es sei nebenbei vermerkt, dass Schygulla die Hauptrolle in Blue Velvet ausschlug, um die Eltern auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Und auch diejenigen Leser, die keinen Zugang zur manchmal irritierenden Introspektion finden, werden beeindruckt sein von einer faszinierenden Frau und das Buch mit Wehmut zur Seite legen. Denn: Auf die Lebensbeichte einer zweiten Schauspielerin, deren kulturelle Bezugspunkte vom deutschen Dichter Friedrich Hölderlin bis zur französischen Chansonsängerin Barbara reichen, wird man mehr als eines »Winters Dauer« (Hölderlin) warten müssen.

Hanna Schygulla: Wach auf und träume. Die Autobiographie. Schirmer Mosel, München 2013. 197 S., Ill. 19,80 €.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt