Josef Hader: Der kann einem ganz schön einschenken

Josef Hader am Set von »Wilde Maus« (2016). © Majestic Filmverleih

Josef Hader am Set von »Wilde Maus« (2016). © Majestic Filmverleih

Was für eine Reichweite er hat, der Josef Hader: vom Kabarett bis zum ganz stillen Auftritt als Stefan Zweig in »Vor der Morgenröte«. Jetzt hat der Österreicher seinen ersten Film selbst inszeniert: »Wilde Maus« lief im Wettbewerb der Berlinale

Das ist doch dieser berühmte österreichische Kabarettist. Beziehungsweise dieser Schauspieler aus »Vor der Morgenröte« (Maria Schrader, 2016). Also was jetzt? Kabarettist oder Schauspieler? Einer von den lustigen Gesellen, die der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, auf dass diese sich darin, bis zur schröcklichen Kenntlichkeit entstellt, selbst erkenne? Oder einer von denen, die Charaktere mit Leben füllen, empathisch nachvollziehbar machen und solcherart etwas mitteilen über die Existenz des Menschen in der Welt? Närrischer Spaßvogel oder ernstzunehmender Mime? Diese Frage steht nicht erst seit Josef Haders durch ihre Präzision überzeugende Darstellung des exilierten Schriftstellers Stefan Zweig im Raum. Doch je näher man hinschaut, desto dümmer schaut die Frage zurück.

Es geht nämlich gar nicht darum, ob Hader als Schauspieler oder als Kabarettist besser ist. Oder darum, ob er möglicherweise den Beruf verfehlt hat. Beziehungsweise darum, ob er aus dem einen Beruf herauswächst und in den anderen hinein.

»Vor der Morgenröte« (2016). © X-Verleih

Zum einen, ganz einfach, weil Hader ziemlich früh schon damit begann, neben der Kabarettbühne auch die Leinwand zu bespielen. Und zum anderen weil seine Art des Kabaretts in der Tradition des entlarvenden Rollenspiels steht. Man darf da ruhig an den großen Helmut Qualtinger und seine Kunstfigur des Herrn Karl denken. Die hatte ja auch wenig bis nichts mit jenem tagesaktuellen Spötter zu tun, der an der Rampe steht und den Politikern die Leviten liest, die Honoratioren mit Sottisen überzieht und gepfefferte Bonmots karnevalistisch ins Bildungsbürgerpublikum schleudert. Man amüsiert sich. Dann geht man nach Hause und macht sich noch einen Wein auf. Und man fühlt sich gut, weil man die kritischen Gedanken gut findet, die ein anderer sich gemacht und dann auch noch gschmackig formuliert hat. Das ist das gängige Kabarett, das die Conferenciers von Late-Night-Shows gerne zu Beginn an der Rampe abliefern, damit sich das Publikum schon mal warmlachen kann. Bei Hader hingegen kann einem das Lachen schnell mal vergehen, denn das ist genau das Kabarett, für das Josef Hader NICHT steht.

Als Hader bei der Grimme-Preisverleihung 1992 mit Gusto-Stückerln aus seinem mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichneten Soloprogramm »Bunter Abend« (1990) reüssierte, reagierte das feine Eventpublikum zunächst eisig. Als er sich dann auch noch einem »Ficken«-Aussprech-Rausch ergab – »Ficken und Kabarett, das geht gar nicht! Ficken! Ficken! Ficken!« –, regte sich Unmut, es wurde sogar gebuht. Haders kalkulierte Provokation ging auf: Der saturierte Kabarettkonsument entlarvte sich selbst, und der Kabarettist – in der Rolle eines abgehalfterten Bierzelt-Entertainers, der sich auf offener Bühne besäuft – verletzte mit seiner Kunst endlich einmal wieder die Grenzen. Wohlgemerkt, mit dem schlichten Wort »ficken«.

»Bunter Abend« begründete Haders Ruf als »Österreichs grimmigster Kabarettist«; »Im Keller« (1993) zementierte ihn. Im Keller schwadroniert der Herr Karl (ausgerechnet!) genannte Protagonist, ein Yuppie-Spießer, wie er im Buche steht, über Gott und die Welt und stellt dabei die ganze Armseligkeit einer selbstzufriedenen Geisteshaltung bloß, die im Egorausch das eigene Konsumentenmittelmaß als einzigartige Persönlichkeit verkennt. Hader kann einem ganz schön einschenken.

Doch Haders Kunst, die das Ordinäre nicht scheut, ist alles andere als grobschlächtig. In »Hader privat« (1994) erzählt er zum Beispiel die Geschichte, wie er in Paris jenen Ast trifft, der einst Ödön von Horváth auf dem Champs-Élysées erschlagen hatte, wie er auf diesem Ast Platz nimmt und auf ihm fast bis zum Mond fliegt, dann aber eine Panne hat und mitsamt Ast über Nigeria abstürzt, wo er dem Kaiser von Afrika begegnet, der in einer goldenen Badewanne sitzt und von ihm, Sepp, wissen will, warum er jetzt eigentlich nicht sofort auf diesen roten Knopf drücken solle, um die ganze Erste Ausbeuter-Welt voller weißer Arschlöcher in die Luft zu sprengen. Sepp fällt nichts ein.
Hä? Was? Wie bitte?

Genau, dieser geradezu größenwahnsinnig surreale Entwurf bildet den fulminanten Höhepunkt des Soloprogramms. Er macht deutlich, wo, wenn überhaupt, Hader den politischen Hebel ansetzt, nämlich im Grundsätzlichen, dort, wo nichts mehr repariert werden kann und auch das Mülltrennen nicht mehr hilft. Dort also, wo die Resignation herrscht und statt Galgenhumors nur noch ein bitteres Trotzdem möglich ist, das den Ernst der Lage zum Fundament jeglichen Gedankens und jeglicher Haltung macht. Zu einem Sich-bewusst-Sein der mörderischen Dialektik der Verhältnisse, das die (kritische) Perspektive bestimmt, ohne dass diese (kritische) Perspektive immer wieder aufs Neue formuliert werden müsste, um sich im Zirkelschluss wiederum der eigenen Kritikfähigkeit zu versichern.

Der Vollständigkeit halber: Auf dem Rückflug von Afrika geht dann auch wieder irgendwas schief, und der Sepp landet schließlich in der Wiener Kanalisation neben einem Hundstrümmerl (einem Stück Hundekot), das ihm erzählt, dass es früher einmal eine Topfengolatsche (Quarktasche) war – oder so ähnlich. Das ist skurril, macht aber auch deutlich, dass am Ende sowieso alles denselben Bach hinuntergeht.

Seine kabarettistische Persona des nach allen Seiten entgleisenden Alleinunterhalters transzendiert Hader im zehn Jahre später folgenden Programm »Hader muss weg« (2004), indem er sie in sieben Figuren aufspaltet. Sieben grauslig genau charakterisierte typologische Studien, darunter zwei Frauen, die er allesamt in einem über zweistündigen Parforceritt selbst spielt: Mitunter ist er zu dritt auf der Bühne und liegt auch noch als Leiche am Boden – es ist ein ungeheuerliches Schizophrenie-Feuerwerk, das neben allem anderen dies noch klärt: Die Frage, ob Josef Hader ein besserer Kabarettist oder ein besserer Schauspieler ist, ist in sich ein Schmarrn.

Josef Hader, geboren 1962 in Waldhausen in Oberösterreich; Besuch des Stiftsgymnasiums in Melk, Zivildienst, abgebrochenes Lehramtsstudium; Auftritte als Kabarettist seit 1982, Rollen in Filmen seit 1992. Haders Programm »Der Witzableiter und das Feuer« wird 1985 mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet; das 1991 gemeinsam mit Alfred Dorfer geschriebene tragikomische Stück „Indien“ wird zwei Jahre später von Paul Harather erfolgreich verfilmt und markiert Haders Durchbruch im Kino. Seit 1999 ist Hader Träger des Nestroy-Rings. 2009 erhält er den großen Diagonale-Schauspielpreis für seine Leistungen im österreichischen Film. 2010 den Adolf-Grimme-Preis für seine Darstellung eines Vergewaltigers und Mörders in dem Fernsehfilm »Ein halbes Leben« (Nikolaus Leytner, 2009) – Hader im Kino, das ist eben auch nicht automatisch eine Lachnummer. In Florian ­Flickers Drei-Mann-Kammerspiel »Der Überfall« (2000) spielt er eine hypochondrisch-bösartige Geisel, in Andrea Maria Dusls Roadmovie mit Hindernissen »Blue Moon« (2002) einen Verliebten, der auf seiner Sehnsuchtsreise durch Osteuropa fast verloren geht, in Ann-Kristin Reyels feinziselierter Familientragikomödie »Jagdhunde« (2007) einen von Traum wie Wirklichkeit überforderten Vater. Er macht aus Nebenfiguren eigenwillige Charakterminiaturen, und er drängt in Hauptrollen seine Mitspieler nie an die Wand.

»Der Knochenmann« (2009). © Majestic Filmverleih

Einem größeren bundesrepublikanischen Kinopublikum dürfte Josef Hader jedoch zuvörderst aus Wolfgang Murnbergers Verfilmungen der Krimis von Wolf Haas bekannt sein. »Komm, süsser Tod« (2000), »Silentium« (2004), »Der Knochenmann« (2009) und »Das ewige Leben« (2015) – bei allen war Hader auch am Drehbuch beteiligt – schillern ambivalent zwischen themenbedingt bitterem Ernst und anarchischer Freude am Unfug im Detail, finden im Realen das Groteske und im Absurden das Wahre. Staubtrockener Humor lässt die unwahrscheinliche Gratwanderung souverän gelingen und schafft eine Art brutalisierte Screwballkomödie, deren bösartiger Dialogwitz mitunter an ein mit Worten ausgetragenes Ohrfeigenduell erinnert. Dabei verliert sich die Krimihandlung – die jeweils mit überzeugenden Porträts aufwartet, die den Verbrecher Mensch sein lassen – mitunter selbst aus den Augen und nimmt stattdessen die Conditio humana im »Land der Berge, Land am Strome« in den Blick. Dann wird es kompliziert, denn das Hassliebe-Verhältnis des Österreichers zu Österreich gründet bekanntlich in einer beeindruckend undurchdringlichen Verquickung von Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn.

Folgerichtig prägt die gekonnte Verbindung des auf den ersten Blick Unvereinbaren auch Haders Darstellung des verkrachten Privatermittlers Simon Brenner: Unverschämtes und Ordinäres bilden mit dem Zartfühlenden und Empfindsamen eine Allianz. Er ist desillusioniert, aber sensibel, zynisch, doch unbestechlich, stur und manchmal auch hinterfotzig, in jedem Fall aber wesentlich schlauer, als er dreinschaut. Mit dem dann doch überraschenden Ergebnis, dass diese Figur authentisch wirkt und einem ans Herz geht.

»Das ewige Leben« (2015). © Majestic

Doch letztlich gilt dies für alle Kinofiguren Haders. Und allesamt beweisen sie seine Virtuosität, mit minimalen Mitteln große Wirkungen zu erzielen. Er reißt die braunen Augen auf, legt mit den Brauen eine S-Kurve quer auf die Stirn und macht in seinem Gesicht die Zumutung des Lebens als eine Demütigung sichtbar, die nicht hingenommen werden kann. Mal ist die Reaktion ein passiv-aggressives, verstocktes Schweigen und impertinentes Zurückstarren. Mal setzt sich der nicht eben durchtrainierte Körper in Bewegung, und der Mann beginnt zu randalieren. Meist zieht er dabei den Kürzeren, denn er ist nicht stark und auch ein bissel feig. Die Figuren des Josef Hader sind keine Helden, auch nicht des Alltags. Eher versuchen sie, sich im Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeiten über Wasser zu halten und dabei noch ihre Würde zu bewahren.

Haders Porträt des Schriftstellers Stefan Zweig schließlich, der in den Jahren des Exils erkennt, dass er mit dem Verlust seiner Heimat nicht weiterleben kann, treibt die Figur des Mannes, dem im Überlebenskampf die Kraft ausgeht, schließlich auf die Spitze und bringt sie zur Vollendung. ­Hader spielt Zweig ohne jede ironische Brechung oder wissende Doppelbödigkeit, seine Darstellung wurzelt im Mitgefühl mit dem Vertriebenen und im Bewusstsein der Katastrophe, die das Vertriebenwerden bedeutet. Sie wurzelt, mithin, ganz allein im Heutigen. In der Vergangenheitsfigur Zweig wächst der Kabarettist, dessen Aufgabe es ist, Zeugnis abzulegen von der Gegenwart, über sich hinaus und kommt zugleich als Schauspieler endlich bei sich selbst an.

Und nun hat Josef Hader also erstmals Regie geführt; »Wilde Maus« erzählt die Geschichte eines Musikkritikers, der von den Zeitläuften überholt und entlassen wird. Anstatt sich zum alten Eisen zu verfrachten, geht er auf Rachefeldzug. Dass das nicht gutgehen kann, steht zu befürchten. Dass es gut sein wird, ist zu erwarten.

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