»Ghost in the Shell«: Wie menschlich ist die Zukunft?

»Ghost in the Shell« (1995). © Kodansha/Shirow Masamune/Bandai Visual/Manga Entertainment

»Ghost in the Shell« (1995). © Kodansha/Shirow Masamune/Bandai Visual/Manga Entertainment

Wenn in diesem Monat Scarlett Johansson als Cyborg-Amazone Motoko Kusanagi im Hollywood-Remake von »Ghost in the Shell« zur Tat schreitet, erleben wir die späte Blüte eines Kultphänomens. Das Original hatte in den späten Neunzigern dazu beigetragen, den japanischen Animationsfilm populär zu machen; es war ein Höhepunkt der Cyberpunk-Welle und inspirierte Regisseure wie die Wachowskis. Marcus Stiglegger rollt die Geschichte des Franchise auf

Eine Fusion von Fleisch und Metall, von Organischem und Technologie, von Mensch und Maschine – für viele ist die Erschaffung eines Cyborgs eine utopische und ein wenig unheimliche Vorstellung. Den zur stehenden Wendung verfestigten englischen Ausdruck »Ghost in the Machine« etwa, Geist in der Maschine, verwandelte schon die deutsche Übersetzung von Arthur Koestlers gleichnamigem, psychologisch-philosophischem Buch von 1967 in ein »Gespenst« – was nicht nur die Doppeldeutigkeit von »Ghost« im Deutschen belegt, sondern auch die Angst vor dieser Art von Verschmelzung andeutet.

Der Versuch, sich mit seinem physischen Empfinden in die Maschine zu begeben, ist eine technisch bereits teilweise realisierte Utopie. Im Grunde lässt sich schon Leben, das auf Maschinenunterstützung existenziell angewiesen ist – etwa durch einen Herzschrittmacher –, als erster Schritt zum Cyborg begreifen. Der hat seit den Achtzigern, im Kino wie in der Kulturtheorie, eine erstaunliche Karriere gemacht. Ähnlich wie der Roboter, der allerdings reine Maschine ist, trägt der Cyborg unserem prometheischen Impuls Rechnung, Lebewesen selbst zu erschaffen. Das ist nicht einfach und geht oft nicht glücklich aus, wie die prominenten Cyborgs der Popkultur zeigen:  James Camerons »Terminator« (1984), Paul Verhoevens »Robocop« (1987), die Borg aus der Serie »Star Trek: The Next Generation«. Das Wort ­Cyborg ist eine Abkürzung des Begriffs cybernetic organism, geprägt schon in den Sechzigern, entfaltet und erweitert von Donna Haraway in ihrem einflussreichen Essay »A Cyborg Manifesto« von 1989. Haraway benutzt es allerdings vieldeutig; es bezeichnet ebenso technologisch-organische Objekte, die von wissenschaftlichen und technologischen Prozessen hervorgebracht werden, wie die in der postmodernen Welt lebenden Menschen, die zunehmend auf technologische »Prothesen« angewiesen sind – das World Wide Web etwa. Für Haraway ist der Cyborg zudem eine oppositionelle feministische Erzählfigur, was von besonderer Bedeutung für die Gestaltung der Heldin in »Ghost in the Shell« ist – einem popkulturellen Mythos von beispielloser internationaler Resonanz.

Japanische Mythen

Dass das Kino zu einem bedeutenden Mythenreservoir der Moderne wurde, ist bereits in frühen Schriften zum Film angemerkt. Speziell das asiatische Kino betreibt die immer neue Transformation etablierter Mythen, und in der jüngeren japanischen Bildkultur, in Mangas, Animes und Realfilmen, haben sich östliche und westliche, traditionelle und moderne Mythologie vermischt wie sonst vielleicht nirgends. Es tauchen jüdisch-christliche Motive seit den 1960er Jahren im japanischen Genre- und Autorenkino auf: Kreuzigungsposen, Martyrien, die hermetische Welt der Klöster, Messias- und Auferstehungsmotive; später auch das Prometheus-Motiv mit der Erschaffung künstlichen Lebens und schließlich der Verschmelzung von Fleisch und Maschine im Cyborg. Spätestens in den 1980er Jahren hielt zudem auch im japanischen Kino die Postmoderne Einzug und ermöglichte eine noch freiere und popkombatiblere Verwendung dieser Motive. Regisseure wie Shinya Tsukamoto oder Katsuhiro Otomo drehten Filme, in die sie Motive aus dem japanischen Buddhismus und Shintoismus ebenso einwoben wie populäre und klassische Mythen aus West- und Südeuropa. Kaum einer arbeitete jedoch so beharrlich an der Erschaffung einer genuinen und persönlichen Mytho­poetik wie Mamoru Oshii, der Regisseur von »Ghost in the Shell«.

Oshii wurde 1951 in Tokio geboren, wuchs also im urbanen Japan der Nachkriegszeit auf. 1976 schloss er sein Kunststudium an der Gakugei University ab und begann mit der Arbeit an Storyboards für Anime-Serien, speziell »Time Bokan«. Seine TV-Animationsserie »Urusei Yatsura« (1981) wurde ein Erfolg, der es ihm erlaubte, zwei lange Animationsfilmadaptionen zu inszenieren, die mit klassischen Manga-Elementen, Science-Fiction- und Liebes-Motiven arbeiten. 1983 übernahm Oshii die Regie der Serie »Dallos«, wegbereitend in der Sparte »Original Video Animation«, OVA. Oshii wechselte nun zum Studio Deen, wo er den surrealen und künstlerisch sehr eigenständigen Animationsfilm »Angel's Egg« (1985) inszenierte, der bereits christliche Mythologie und Motive verarbeitete. Mit den »Patlabor«-Filmen (1989/93) perfektionierte Oshii das Anime-Subgenre der Riesenroboter-Action, das sogenannte Mecha. In den von Menschen gesteuerten Robotern dieses Franchises findet sich bereits ein Bezug zum Motiv des Cyborgs. Auch die urbane Dystopie beschäftigte Oshii, etwa in den Realfilmen der »Kerberos Saga« (1987–1991).

1995 inszenierte Mamoru Oshii seinen bis heute berühmtesten und einflussreichsten Film: die Science-Fiction-Cyberpunk-Animation »Ghost in the Shell«, die basierend auf dem Manga von Masamune Shirow prometheische Motive und Cyborg-Reflexionen zusammendenkt. Vor allem in den heimischen Medien avancierte der Film zum langlebigen Kultobjekt. Zudem erkannte die internationale Kritik Oshiis Bemühen an, mit den Mitteln des Genres und einem sehr populären Format, dem Anime, existenzielle Fragen zu diskutieren – Mamoru Oshii knüpfte eher an theoretische Texte wie Haraways »Cyborg Manifesto« an als an die fiktiv-narrative Vorlage. Der unerwartete finanzielle Erfolg mündete in die TV-Serie »Ghost in the Shell: Stand Alone Complex«, die Actionszenen ins Zentrum stellte und etwas vom finsteren Weltbild des Films abwich, wobei die Animationen dennoch ungewöhnlich detailliert für eine Animeserie ausfielen.

Ein weiterer Effekt von »Ghost in the Shell« auf das Weltkino war die Übernahme zahlreicher Motive in Mainstreamproduktionen wie die »Matrix«-Reihe. Die Wachowski-Schwestern kopierten etwa den grünen Quellcode, der im Vorspann über die Leinwand zieht, die Kabelanschlüsse im Nacken, mit denen sich die Cyborgs ins Netz einklinken, und schließlich das Modell der kampferprobten Heldin – der Job wurde von Carrie-Anne Moss als Trinity übernommen. Die Figur Kasunagi hatte das Actionkino gewissermaßen für die schießwütigen Amazonen geöffnet – von Lara Croft bis Alice in »Resident Evil«.

Vom Manga auf die Leinwand

Im Original heißt Shirows Comicreihe ­»Mobile Armored Riot Police« (1989–1990). Sie erzählt die Geschichte der Sicherheitspolizei-Einheit 9, die sich im Japan des 21. Jahrhunderts auf die Verfolung von Cyberterroristen spezialisiert hat. Motoko Kusanagi, Offizierin dieser Einheit, erscheint im Manga jünger, körperlich etwas ausgeformter und actionbetonter als im Film. Obwohl auch die Mangas durch höchst komplizierte Erzählungen glänzen, in die lange Fußnoten integriert werden, um ein möglichst detailliertes Bild der Zukunft zu schaffen, ist es Oshiis crossmedialer Transformation zu verdanken, dass Kasunagi zu der erwachsenen, reflektierten und geradezu melancholischen Heldin wurde, die sich in der Popkultur ikonisch verankern konnte – so nachhaltig, dass mit der Ankündigung eines amerikanischen Realfilm-Remakes sofort heftige Diskussionen entbrannten.

Der extrem langsame Duktus von Oshiis Inszenierung konzentriert sich ganz auf das Erzählen in Bildern und Klängen, während die Dialoge weniger dem Voranbringen der Handlung dienen als der Verhandlung existenzieller Fragestellungen. Am wichtigsten aber ist der wiederkehrende Bezug von ­Oshiis Filmen zu einer Vielzahl von Mythologien, die mitunter parallel in den jeweiligen Werken auftreten: von Hindu-Gottheiten zur christlichen Märtyrer-Ikonographie, von animistischen Motiven der Beseeltheit der Dinge bis hin zum messianischen Selbst­opfer. Aus der Selbstermächtigung des Prometheus, der Menschen nach seinem Bilde erschafft, bezieht Oshii ein rudimentär-narratives Grundmodell, das er mit populären Science-Fiction-Versatzstücken ummantelt.
 
Der Geist in der Maschine

Im Jahr 2029, so die Geschichte von »Ghost in the Shell«, wird die ganze Welt von einem Datennetz dominiert, das eine Art virtuellen Lebensraum für die unter der Überbevölkerung leidende Menschheit bietet. Kontrolliert wird diese virtuelle Welt von Regierungstruppen, die zur Not mit brachialer Gewalt Datendiebstahl, Spionage und Datenmissbrauch verfolgen und bestrafen. Der ultimative Geheimagent der Zukunft ist daher auch nicht menschlich, sondern ein Programm. Die Konzepte des Cyborgs und des Datengeschöpfes kulminieren in diesem dystopischen Animationsfilm in zwei Figuren: der Cyborg-Spezialagentin Kasunagi und dem Projekt 2501.

»Ghost in the Shell« (2017). © Paramount Pictures

Das Außenministerium hat 2501 gestartet, um damit in alle erdenklichen Netzbereiche einzudringen – und letztlich in die Köpfe der Vernetzten. Die Fähigkeit zur Gedankenkontrolle verleiht Projekt 2501 den Spitznamen Puppet Master, also Marionettenspieler, was seine souveräne, gottähnliche Position andeutet. Fatal wird die Konstruktion, als 2501 ein Bewusstsein entwickelt und autonom handelt: ein Datenwesen, »aus einem Meer der Information geboren«. Irgendwann verspürt es dann auch den Wunsch, einen physischen Körper zu erlangen und sich zu vermehren. Gegenspielerin des Puppet Master wird Motoko Kasunagi, deren ­Cyborg-Körper nahezu vollständig aus Titan besteht, deren Gehirn jedoch zu Teilen noch menschlich ist. Beide Wesen stehen für das titelgebende Konzept: den Geist in der Schale, einen Geist jedoch, der nach Befreiung strebt. Die Schöpfung entwickelt eine eigene Identität und erhebt sich über den Schöpfer, wobei der Film zugleich die Deutung zulässt, dass aus der Cyborg-Fusion in Gestalt von Kasunagi eine neue, dem menschlichen Leben tatsächlich überlegene Existenzform entstanden ist.

Neubeginn in Unschuld

In den 2000er Jahren hatte sich »Ghost in the Shell« zum crossmedialen Kultphänomen entwickelt. Es gab Spielfilmversionen der Serienfolgen, Computerspiele, weitere Mangas. Oshii vertiefte seinen persönlichen Ansatz in der offiziellen Fortsetzung »Ghost in the Shell: Innocence« (2004), der jedoch statt Kasunagi, die am Ende des ersten Teils als verschollen galt, deren Partner Batou, einen stoischen Cyborg-Cop, ins Zentrum stellt. Batou wirkt wie eine Mischung aus dem »Blade Runner« und »Dirty Harry«; er durchstreift Neon-Tokio als hardboiled detective. So funktioniert dieser zweite große Film zur Cyborg-Thematik weniger als Actionfilm denn als nahezu klassische Detektivgeschichte. Wie in »Blade Runner« ist nie ganz klar, wer Mensch und wer Cyborg ist.

In diesem Film wenden sich weibliche Lustroboter gegen ihre Besitzer und ermorden sie. Die Suche nach dem Drahtzieher wird erschwert, da die ganze Welt von Hologrammen, Illusionen und virtuellen Elementen durchsetzt scheint. Nicht nur werden Maschinen mit künstlichem Bewusstsein aufgeladen, vielmehr werden menschlichen Wesen künstliche Erinnerungen implantiert, was die objektive Wahrnehmung von Realität endgültig aufhebt. Auf dem Höhepunkt des Films betritt Batou mit seinem Partner ein Barockschloss der Locus Solus Corporation, die nach einer frühen Lesemaschine des Surrealisten-Vordenkers Raymond Roussel benannt ist. Wie der menschliche Anteil am Cyborg-Körper stets die Frage aufwirft, ob das modifizierte Wesen überhaupt noch als human gelten kann, wird in dem von Illusionsmaschinerien durchsetzten Gebäude von Locus Solus auch die Originalität des menschlichen Geistes hinterfragt: Was bleibt davon, wenn alles durch Erinnerungsprothesen ersetzbar wird? Wenn der menschliche Geist ebenso gehackt und umprogrammiert werden kann wie eine Maschine?

Es mutet dabei ebenso kalkuliert an, dass der Film nicht nur auf wichtige Namen der theoretischen Geschichte von Cyborgs und Virtualität rekurriert, sondern dass gerade die Gestaltung der Androiden und der ­Cyborg-Körper Bezüge zu den fötalen Puppendesigns von Hiroko Igeta oder des deutschen Surrealisten Hans Bellmer (1902–1975) herstellt. Wie Besucher einer Ausstellung von Puppenkunst den unheimlichen Eindruck von erstarrtem »Leben« nicht verleugnen können, thematisiert Oshiis Inszenierung in »Innocence« genau diese latente Unsicherheit und schöpft aus dem Wunsch des Publikums, die animierten Figuren »beseelt« zu sehen: »ghosts in the animated shell«. Die Wahrnehmung selbst belebt das starre Imitat. Dabei wird in Japan nominell nicht unterschieden zwischen Puppe und Marionette: der rein dekorativen Imitation des Lebens einerseits und der von einem Puppenspieler animierten Puppe, die das Leben selbst repräsentiert, andererseits.

Die Dichotomie zwischen Maschine und organischem Leben, wie sie sich im Cyborg ausdrückt, prägt unsere Welt, seit Victor Frankenstein als »moderner Prometheus« aus Leichenteilen ein neues Wesen schuf, das sein Leben neu beginnen konnte: in Unschuld. So verweist der Titel »Innocence« auf jene »Unschuld« des Lebens selbst, das im Vorspann beider »Ghost«-Filme im Prozess seiner Schöpfung betrachtet wird. Erst später wird der »Sündenfall« erfolgen, doch hier bleibt der Filmemacher uneindeutig. Seine Sympathie gilt zweifellos jenen beseelten Zwischenwesen: den Cyborgs und Androiden, den Avataren und Hologrammen, die alle letztlich verbunden sind – mit einem »ghost in the shell«.

Es ist fast mutig, dass Oshii in seinem zweiten Film auf die ikonische Präsenz der selbstbewussten Kasunagi verzichtet. Zwei Original Video Animations versuchten, diese Lücke zu füllen. Während Kenji Kamiyama mit »Solid State Society« (2006) an seine Stand Alone Complex-Serie anschloss und sich enger an den Mangas orientierte, erfanden »Ghost in the Shell: Arise« (2013) und »Ghost in the Shell: The New Movie« (2016) das Team um Kasunagi in neuem Design: jugendlicher, bunter und weniger schwermütig. Während diese Animationsfilme das Franchise eher in Richtung eines agilen Superheldenteams treiben, knüpft der amerikanische Realfilm an Oshiis erwachsenes Konzept an: eine transhumane, panethnische Heldin im Überlebenskampf angesichts einer futuristischen Noirwelt.

... Die Kritik zu »Ghost in the Shell« (2017) finden Sie ab dem 30.3. hier.

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