Interview: Agnieszka Holland über »Green Border«

»Ich habe Leibwächter engagiert«
Agnieszka Holland am Set von »Green Border« (2023). © Piffl Medien

Agnieszka Holland am Set von »Green Border« (2023). © Piffl Medien

Als Tochter zweier Journalisten 1948 in Warschau geboren, erlebte sie den Prager Frühling 1968 vor Ort. Nach ihrer Rückkehr nach Polen arbeitete sie als Regieassistentin u. a. für Andrzej Wajda und Krzysztof Zanussi. Mit ihrem Kinodebüt »Provincial Actors« gewann sie 1980 den Kritikerpreis in Cannes. Seither hat sie über 30 Filme gedreht und darüber hinaus auch bei zahlreichen Serienfolgen (»The Wire«, »House of Cards«) Regie geführt.

Frau Holland, wie ist die Idee entstanden, einen Film über die Situation von Geflüchteten zu machen?

In Polen begann die Flüchtlingskrise in einem kleinen Dorf namens Usnarz Górny, das bald zu einem symbolischen Ort wurde. Dort saß eine Gruppe von afghanischen Flüchtlingen fest, zwischen weißrussischen Soldaten auf der einen und polnischen auf der anderen Seite. Sie konnten weder vor noch zurück. Als die Öffentlichkeit davon erfuhr, kamen Aktivisten, Ärzte und Oppositionspolitiker dorthin. Zunächst erlaubten die Grenzbeamten, den Geflüchteten Essen und medizinische Hilfe zu geben. Doch nach ein paar Tagen war damit Schluss, niemand durfte sich ihnen nähern. Befehl von oben. Eine unverständliche und grausame Situation, die für viele Menschen zum Wendepunkt wurde. Als dann einige der Migranten weggebracht und nie wieder gefunden wurden, wollte ich zunächst einen Film über diesen speziellen Ort machen. Aber es eskalierte weiter, und ich musste einen Ansatz finden, der das Komplexe der Situation zeigt, die Entscheidungen und die Schicksale der beteiligten Menschen, der Geflüchteten ebenso wie der Helfer.

Deswegen also ein Spielfilm mit unterschiedlichen Perspektiven?

Als die Regierung eine Sperrzone um das Grenzgebiet einrichtete und den Zugang für Medien, medizinisches Personal und humanitäre Organisationen verbot, gab es nur wenig Informationen, wie schrecklich die Dinge dort sind. Uns wurde klar, dass wir nicht alles dokumentarisch festhalten konnten, und entschieden uns für den Spielfilm. Eine Fiktion, erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln, aber basierend auf den Fakten, die wir dort sammelten.

Wie und wo haben Sie gedreht?

Nicht im Geheimen, aber sehr diskret. Eine Genehmigung am Ort des Geschehens hätten wir nicht bekommen. Wir haben die Grenze dann in einem Waldstück bei Warschau nachgestellt, das in Privatbesitz ist. Es war die einzige Möglichkeit, ohne Probleme mit Behörden und der Polizei zu bekommen.

Wie haben Sie Ihre Darsteller ausgewählt?

Die im Film Flüchtlinge spielen, sind selbst Geflüchtete. Sie haben das Leid erlebt, das wir zu vermitteln versuchen. Die polnische Hauptdarstellerin Maja Ostaszewska ist eine Aktivistin, die sich an vorderster Front für Flüchtlinge einsetzt. Die persönlichen Erfahrungen aller Schauspieler sind ein zentraler Aspekt des Films.

Warum haben Sie in Schwarz-Weiß gedreht?

Weil ich dachte, dem Film dadurch einen dokumentarischen Charakter verleihen zu können und zugleich eine metaphorische Dimension, ein Gefühl der Zeitlosigkeit. Es gab aber auch ganz praktische Gründe: Wir haben im Frühling gedreht, und ich hatte Angst, dass plötzlich alles um uns herum grün werden würde.

Für Ihren Film wurden Sie in Polen mehrfach angegriffen und diffamiert, der damalige Justizminister etwa hatte ihn noch vor der Weltpremiere in Venedig gar mit Nazipropaganda verglichen. Hatten Sie damit gerechnet?

Auf eine Reaktion war ich gefasst, aber nicht darauf, dass sie so extrem sein würde. Ich hatte damit gerechnet, dass Teile der Presse mich angreifen würden, aber niemals der Premier- oder der Justizminister. So etwas hat es noch nie gegeben. Aber sie haben auch dazu beigetragen, den Film bekannt zu machen. Fast 800 000 Menschen haben ihn in Polen gesehen.

Hatten Sie dabei jemals Angst?

Wir haben Drohungen erhalten, und die Atmosphäre rund um den Film war sehr aufgeheizt. Man weiß nie, ob nicht irgendein Fanatiker Worten Taten folgen lässt. Ich habe mich zum Kinostart in meinem Haus eingeschlossen und Leibwächter engagiert. Das war eine interessante Erfahrung.

Glauben Sie, dass »Green Border« einen Einfluss auf das Ergebnis der Parlamentswahl im Oktober hatte?

Schwer zu sagen. Eins hat der Film ausgelöst: Plötzlich begannen die Menschen, über die Flüchtlingsthematik zu sprechen. Aber ich mache mir keine Illusionen, dass sich nach dem Regierungswechsel grundlegend etwas ändern wird, nur weil statt Rechtsnationalen jetzt Liberalkonservative an der Macht sind.

Warum nicht?

Die Politiker führen durch Angst. Und die Menschen reagieren darauf, sie haben das Gefühl, an einem sehr gefährlichen Ort zu leben. Die Frage ist, was dabei die Rolle der Kunst und des Kinos ist. Unsere Aufgabe ist es, Werke zu schaffen, die kritisieren, was vor sich geht. Aber das ist nicht genug.

Was muss Ihrer Meinung nach politisch getan werden?

Die Europäischen Union wird keine Sanktionen ergreifen. Es wird von Menschenrechten gesprochen, aber Polen wird erlaubt zu tun, was es tut. Ebenso im Mittelmeer. Die Situation wird verdrängt, und die Grausamkeit wird weiterwachsen. Die meisten können sich gar nicht vorstellen, was an den Grenzen passiert. Auch deswegen haben wir den Film gemacht.

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