Nachruf: William Friedkin

Meister der Ambivalenz
William Friedkin

29.8.1935 – 7.8.2023

Die Verfolgungsjagd, schrieb er in seinen Memoiren, ist Kino in seiner reinsten Form. Sie wäre in keiner anderen Kunst denkbar: ein kinetisches Erlebnis, das weder Literatur, Theater noch Malerei zu Gebot steht. In ihr verdichtet sich die Handlung und entladen sich die aufgestauten Energien. Sie muss unvorhersehbar wirken und zugleich präzise choreographiert sein.

Die Verfolgungsjagd, die William Friedkin in »The French Connection« (deutsch Brennpunkt Brooklyn) inszenierte, ist noch immer unübertroffen. Nicht nur weil dieser brillant montierte Bewegungsrausch von atemloser, unwiderstehlicher Dramatik ist. Die Jagd stellt sich wie eine jähe Erlösung ein, nachdem die Zeit lange stillstand. Vergeblich hat Popeye Doyle (Gene Hackman) bis dahin versucht, eine Bande französischer Drogenschmuggler dingfest zu machen. Jetzt hat das Warten ein Ende. Seine Anspannung und seine Wut brechen brüsk hervor, als er im Auto der Hochbahn hinterherrast, in der sein Widersacher fliehen will. Das brutale Finale der Sequenz war nach den Regeln, die 1971 noch in Hollywood galten, unerhört. Antihelden gab es schon vorher, aber mit keinem hatte man bisher so gefiebert wie mit dem besessenen Instinktpolizisten, der unglaublich viele Fehler begeht. Unerhört war auch der raue, dokumentarische Stil, in dem Friedkin seinen Thriller inszenierte: Der Kameraschwenker war nie eingeweiht, in welche Richtung sich die Schauspieler bewegen würden.      

Friedkin, dessen letzte Arbeit, eine Wiederverfilmung von »Die Caine war ihr Schicksal«, in Venedig läuft, war ein Wegbereiter, der dem US-Kino ungekannte erzählerische und moralische Räume öffnete. Seine Filme wirkten stilbildend. Dennoch blieb er stets ein strittiger Fall in der amerikanischen Filmgeschichte. Er könne das Telefonbuch verfilmen und in einen packenden Stoff verwandeln, schrieb der Kritiker James Monaco einmal – aber zu welchem Zweck?

Üblicherweise wird er zu den Zauberlehrlingen des New Hollywood gezählt. Jedoch lernte er sein Handwerk nicht auf der Filmschule, sondern gehörte fast noch der vorangegangenen Generation von Sidney Lumet und Arthur Penn an, deren gesellschaftliches Bewusstsein beim Fernsehen geschärft wurde. Friedkins TV-Dokumentation »The People versus Paul Crump«, deren Protagonist wegen Raubes und Mordes im Todestrakt saß, lief auch im Kino. Sie dokumentarisch zu nennen, führt auf faszinierende Weise in die Irre. Friedkin inszenierte die Wirklichkeit mit einer interpretierenden Verve nach, die bereits die Zielstrebigkeit des Spielfilmregisseurs verriet, für den jede Geste, jedes Wort und jeder Blick bezeichnend sein müssen.

Die Karriere des Sohns ukrainischer Einwanderer wird gern als eine Geschichte von Glanz, Hochmut und Niedergang erzählt. Meist lautet sie so: In den frühen 70er Jahren befand er sich im Vollbesitz seiner Kräfte, gab dem Kino mit »The French Connection« und »Der Exorzist« neue Impulse; dann scheiterte er bei »Atemlos vor Angst«, einer Neuadaption des »Lohn der Angst«-Stoffes, an seinen eigenen Ambitionen, um in der Blockbuster-Ära schließlich die Orientierung zu verlieren und sein Heil im Anknüpfen an einst erfolgreiche Maschen zu suchen. Tatsächlich lässt Friedkins Werk eine differenziertere Lesart zu. Seine Laufbahn vollzog sich im Spannungsfeld von Kontinuität und Revision. Sie kannte auch überraschende Registerwechsel wie etwa die Gaunerkomödie »Das große Dings bei Brinks« oder den lyrischen Basketballfilm Blue Chips. Mit seinen letzten Kinoarbeiten »Bug« und »Killer Joe«, die auf Stücken von Tracy Letts beruhen, schloss sich der Kreis zu den frühen kammerspielhaften Theater-adaptionen »The Birthday Party« und »Die Harten und die Zarten«.

Dieser Regisseur wiederholte sich nicht, aber oft antworteten einzelne Filme im Abstand vieler Jahre aufeinander. »Leben und Sterben in L.A.« beginnt exakt so, wie »French Connection« endet: mit dem Entsichern und Abfeuern einer Schusswaffe im Off. Die Inszenierung der Verfolgungsjagden hingegen unterscheidet sich in beiden Filmen radikal; auch in »Jade« fand Friedkin eine weitere, überraschende Variante dieser filmischen Disziplin. In dem umstrittenen Cruising trug er dem Wandel in der New Yorker Schwulenszene Rechnung, die im Jahrzehnt nach »Die Harten und die Zarten« an Selbstbewusstsein gewonnen hatte. Friedkins System der Neubestimmung schloss auch ideologische Kehrtwenden ein: Zwischen »The People versus Paul Crump« und »Rampage« änderte er seine Haltung zur Todesstrafe.

Die Ambivalenz war weniger Prämisse seines Kinos als vielmehr dessen Resultat. Er suchte die Konfrontation mit dem Anderen, dem Fremden. Er begab sich auf unbekannte Terrains, die studiert werden wollten. Friedkin musste immer genau wissen, wie die Welten funktionieren, in die seine Filme vordrangen: Wie lässt sich die Reinheit von Heroin testen? Welchem Ritual folgt die Austreibung eines Dämons? Wie macht man einen heillos verrosteten Lastwagen wieder so fahrtüchtig, dass er einen Sprengstofftransport durch den Dschungel übersteht? Welchen Codes gehorcht das Cruising? Wie  druckt man Falschgeld, damit es täuschend echt aussieht? Seine Filme waren genau recherchiert. Selbst für die haarsträubendsten Szenen in »Der Exorzist« berief sich Friedkin auf Berichte von Augenzeugen. Er drehte an Realschauplätzen, und New York, L.A. oder San Francisco sahen bei ihm anders aus.

Darin zeigten sich seine dokumentarischen Lehrjahre, aber Mehrdeutigkeit war für ihn stets auch eine ästhetische Kategorie. Sein filmischer Elan zielte auf die Verknüpfung des Disparaten. Oft durchkreuzt die suggestive Tondramaturgie den Augenschein, indem sie Stimmen und Geräusche moduliert, überblendet oder verfremdet: Sie dringt geradewegs in den Kopf der Charaktere ein. Die Realität wird brüchig, öffnet sich für weitere Bedeutungsebenen. »Der Exorzist« war für Friedkin kein Horrorfilm, sondern ein Drama. Der schockierendste Moment hat nichts mit Spezialeffekten zu tun. Es ist der Augenblick, in dem der Dämon den jungen Priester Karras auf den Tod seiner Mutter anspricht und damit den Kern seiner Existenz trifft: das Gefühl der Schuld, von dem er sich nie wird befreien können. Das Andere, mit dem Friedkin seine Protagonisten konfrontierte, lieferte die Antwort auf die eigenen, verdrängten Fragen. Beruhigend war sie nie.    

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