Interview: Dominik Graf über seinen Film »Mein Falke«

»Mein Falke« (2023). © Provobis Film/Frédéric Batier

»Mein Falke« (2023). © Provobis Film/Frédéric Batier

Eine forensische Biologin, mit zwei rätselhaften Mordfällen konfrontiert, wird von ihrem Vater mit der Enthüllung eines Familiengeheimnisses überrascht und nimmt sich eines herrenlosen Falken an: in Dominik Grafs neuem Film kommt vieles zusammen – und löst sich überraschend – wenn auch nicht vollständig – auf.

Herr Graf, am Tag der Weltpremiere Ihres Films »Mein Falke« hatte beim Filmfest Hamburg auch Wim Wenders' »Anselm« seine deutsche Premiere. Wenders sagte nach der Vorführung, dass Anselm Kiefer ihn hätte machen lassen, was er wollte – nur einen Wunsch habe er geäußert: »Überraschen Sie mich«. Das hat man nicht so oft im Kino und im Fernsehen, aber ich finde, es trifft auf »Mein Falke« ebenfalls zu – als Zuschauer fragt man sich, wie kommen die verschiedenen Stränge zusammen, wie lösen sich die Todesfälle, lösen sie sich überhaupt? Gerade ist auch eine mehr als 500seitige Studie über Ihre Polizeifilme erschienen, in der Ihre Inszenierung als genre rewriting charakterisiert wird. Wie anders war die Arbeit an »Mein Falke«?

Ursprünglich, als ich an die Filmhochschule kam, wollte ich eher französische Konversationsfilme machen, Liebesgeschichten, weil mich das auch im Kino lange Zeit als einziges interessiert hat. Dann musste ich, nach ein, zwei Versuchen, feststellen dass ich das gar nicht kann – dass ich vor allem die Form von Leichtigkeit, die solche Filme haben müssen, nicht beherrscht habe. Ich habe mich dann umgesehen, was könnte ich denn können? Dann kamen irgendwann die Angebote für die Thriller und ich bin für eine Weile dabei geblieben. Aber die Sehnsucht nach diesen Geschichten, die wir sozusagen frei fliegend ohne dramaturgische Voraussagen machen, wo man den Zuschauer wirklich überraschen kann, ist geblieben. Hier ist es so ein Kreis, wo alles mit Tod zu tun hat und trotzdem war schon am Drehbuch abzusehen, dass der Witz von Beate Langmaack eine große Rolle spielen wird. Ich bin froh, dass der Film jetzt so gut angekommen ist, weil ich dadurch doch ein bisschen das Gefühl habe, jetzt hast Du es nach langen Versuchen denn doch gelernt, diese Mischung aus tiefem Ernst und gleichzeitig alles hüpfen zu lassen dabei.

Um das zu erreichen, bedarf es vermutlich einer intensiven Arbeit mit den Darstellern...

Extrem wichtig sind für mich die Proben mit den Schauspielern. Den langen Dialog im Café zwischen den beiden Frauen haben wir vier Wochen vorher schon mal in ca. siebzehn Varianten durchgespielt. Aber da liegt noch gar nichts fest, vielleicht ein paar Haltungen. Und dann kann man in vier Wochen noch mal daran gehen und auch noch mal mit der Autorin darüber sprechen. Beim Drehen haben wir schon drei, vier Fassungen gemacht, aber die Fassung, die es dann ist, die ist es auch wirklich.

Sie haben vor elf Jahren für das Jahrbuch »Scenario« einen schönen Text verfasst über Ihre Drehbuchautoren – können Sie da jetzt schon, nach nur zwei Filmen, Beate Langmaack einordnen? Mir scheint, eine gewisse Leichtigkeit, etwa zwischen den beiden Frauen, spielt eine wichtige Rolle...

Es ist so schwer zu benennen, weil es auch so vielschichtig ist, es auch Unterschiede auf der Humorskala gibt. Ich finde sehr schön, dass diese tiefernste Geschichte mit dem holländischen Zwangsarbeiter so integriert wurde – dass sie sich dann in lustigen Tränen auflöst. Beate Langmaack hat das Drehbuch nicht für einen bestimmten Ort geschrieben, der Vorschlag Wolfsburg kam vom Szenenbildner, der die Stadt kannte. Diese Fabrikschlote wecken ja auch immer andere Assoziationen als nur die VW-Fabrik.

Kannten Sie Anne Ratte-Polle bereits persönlich, haben Sie sich Filme mit ihr angeschaut oder geht es in erster Linie um die persönliche Kommunikation bei der Vorbereitung und in den Proben?

Ich kannte sie schon ein bisschen. Wir hatten einmal einen Abend, wo wir im langen Gespräch Gott und die Welt auf den Kopf gestellt haben. Als es zu diesem Stoff kam, hatte ich ganz schnell das Gefühl – vor allem nach ihrem tollen Film »Es gilt das gesprochene Wort«, wo sie auch eine nach außen hin harsche Frau spielt, die sich dann immer mehr auflöst –, dass das auf jeden Fall mit ihr funktioniert. Der Humor der Szenen ist unterschiedlich, den musste sie jedes Mal anders finden. Und dann ist das Ganze im Schneideraum so, wie wenn Sachen an verschiedenen Orten gebaut werden, zu verschiedenen Zeiten, Drehtagen und am Ende geht es darum, passen die Scharniere der Szenen jetzt als Figur Inga zusammen? Die allererste Szene am ersten Drehtag war die auf dem Falknerhof, wo sie das Tier das erste Mal sieht. Da sollte man schon die Verbindung der beiden spüren. Das war beim Drehen ein erstaunlicher Moment.

Humor ist ja auch nicht unbedingt das, was man bei Ihnen zuerst assoziiert. Konnten Sie hier auf Ihre Erfahrungen bei frühen Arbeiten wie »Treffer« oder »Tiger, Löwe, Panther« zurückgreifen?

Christoph Fromm war einer der schwärzesten und gleichzeitig lustigsten Autoren, aber auch Rolf Basedow hatte unglaublich gute Dialoge, die auch sehr witzig sind, auch bei »Im Angesicht des Verbrechens«, bei Günter Schütter geht der Witz in Sarkasmus und Zynismus über – ganz ohne Humor komme ich gar nicht aus.

Aber ist Humor für einen Regisseur schwieriger umzusetzen als eine gradlinige Dramatik? So etwas wie die Geschichte mit dem polnischen Zwangsarbeiter hätte ja auch vollkommen schiefgehen können...

Der Humor ist in so einem Zusammenhang riskanter. Wenn man es gedreht hat und schaut sich dann die Muster an, packen einen Zweifel – man denkt, na gut, man kann es dann noch herausnehmen, aber am Ende freut man sich, wenn es im Zusammenhang doch geklappt hat. Das entscheidet sich im Schneideraum.

Dass der Film keine 88 Minuten lang ist, sondern 104, ist bei Ihnen kein Problem mehr, weil die Redakteure das akzeptieren?

Die Filme der letzten Jahre waren ja alle 88 Minuten, bei »Gesicht der Erinnerung« war das sogar eine echte Qual, bei anderen habe ich oft versucht, eine alternative Fassung zu schneiden, die man dann auf einem Festival zeigen kann. Bei diesem Film hatte das Drehbuch genau so viele Seiten wie bei »Hanne«, 70 oder 75. Das ist ein Witz, normalerweise fängt gar kein Buch unter hundert Seiten an. Dann hatte ich den ersten Rohschnitt von 120 Minuten, aber da dachte ich, da kommen wir schon runter. Aber wir kamen nicht richtig runter. Es ist klar, dass man den Falken nicht schneiden kann wie eine Person, der hat ganz andere Rhythmen und wenn der einen anschaut, dann muss das ein paar Sekunden länger stehen als wenn ein Mensch das macht. Dazu seine Flüge – da müssen diese 14 Minuten irgendwie zusammen gekommen sein. Dann habe ich gebeten, ob man das länger sein lassen darf, denn man macht den Film sonst wirklich kaputt. Gottseidank hat es in diesem Fall wirklich geklappt. Ich rechne auch nicht damit, dass das noch mal klappt, aber dass es diesmal beim Sender hingehauen hat das freut mich schon sehr.

Ich weiß nicht, wie groß das Problem ist, wenn die ARD am Mittwoch eine Viertelstunde später mit den nachfolgenden Programmen beginnt...

Ach, da hat's in den Chefetagen bislang immer Gejammer gegeben, und es hieß oft, ein aus den Standardschienen fallender Film würde auch danach in den Dritten Programmen nicht mehr eingesetzt, weil die ja auch alle durchformatiert sind – oder vielleicht dann erst nach Null Uhr. Hier nicht. Super, ich bin dankbar.

Haben Sie selber denn das Buch von Felix Lenz über Ihre Polizeifilme schon ganz gelesen?

(lacht) Noch nicht komplett. Immer wieder hie und da. Gute Bilder hat er drin! Er hat ein paar Begriffe, die ich sehr anschaulich finde: wie er Szenen auseinander nimmt und wo er die Punkte setzt, was die Szene für ihn ausmacht, das ist erstaunlich tiefenscharf. Bei unserem Tatort haben der Kameramann Benedict Neuenfels und ich wirklich gestutzt: Donnerwetter, das ist ein guter Hinweis. Und dass er Freude hat, die praktische Inszenierung zu beschreiben und was die Folgen von bestimmten Inszenierungsentscheidungen sind, das macht mir auch Spaß zu lesen. Am besten, Sie gehen beim Lesen auf die Filme los, die Sie am meisten interessieren. Die Verbindung meiner Straßen-Genrefilme zu Hegel war mir neu. Aber warum nicht?

Was steht als nächstes an?

Nachdem ein Kino-Drehbuch über – und teils von – Christa Wolf im Sommer vom Produzenten per Insolvenz abgebrochen wurde, gibt es jetzt erst einmal eine Leerstelle. Aber im nächsten Jahr steht wieder ein Münchner »Polizeiruf 110« an. Meine Freude.

»Mein Falke« läuft am 24.11. auf arte und am 13.12. in der ARD;
Felix Lenz: »Genre-Rewriting. Die Polizeifilme von Dominik Graf« ist erschienen in der edition text+kritik, München.

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