Fantasy Film Fest Nights 2023

Bewährte Vielfalt
»Sisu« (2022). © Sony Pictures Entertainment

»Sisu« (2022). © Sony Pictures Entertainment

Zwischen zwei Vorpremieren, dem Eröffnungsfilm »Evil Dead Rise« (Kinostart: 27.4.) und dem Abschlussfilm »Pearl« (Kinostart 1.6.) boten die diesjährigen Fantasy Filmfest Nights an vier Tagen 15 Filme, von denen nur die wenigsten später einen Kinostart haben werden, die meisten aber für eine Veröffentlichung im Home Entertainment angekündigt werden. Erfreulich ist dabei einmal mehr die große Bandbreite der gezeigten Filme, von Filmen – wie dem Eröffnungsfilm – bei denen die gorehounds auf ihre Kosten kommen, bis zu Kammerspielen, in denen der Schrecken auf leisen Sohlen daherkommt, von Arbeiten aus verschiedenen Ländern, die dieselben Motive teilen, bis zu singulären Werken, die die Originalität ihrer Schöpfer erkennen lassen.

Zu letzteren gehörte einmal mehr Quentin Dupieux, dessen Filme seit seinem Debüt »Rubber« (2010) bei diesem Festival immer wieder gern gesehen sind. Sein letztjähriger Berlinale-Beitrag »Incredible But True« ist in Deutschland bisher ohne Auswertung geblieben und ob man »Smoking Causes Coughing« noch einmal wiedersehen kann, ist fraglich. Im Mittelpunkt steht die »Tobacco Force«, eine Superheldentruppe in blauen Spandex-Anzügen, die sich dem Kampf gegen das Nikotin verschrieben hat und sich zu Beginn des Films bei der Beseitigung einer gigantischen Schildkröte schwer tut. Daraufhin werden sie von ihrem Chef, einer (Stoff-)Ratte, via Bildschirmkommunikation zu einem »Teambuilding«-Wochenende vergattert. Das besteht nicht zuletzt daraus, dass sie sich am Lagerfeuer mit der Erzählung von Horrorgeschichten zu überbieten suchen – eine absurder als die andere. Wer erwartet, dass irgendwann noch eine schlüssige Handlung einsetzt, hat vermutlich noch nie einen Dupieux-Film gesehen – hier bleibt die absurden Miniaturen Trumpf.

Das asiatische Kino war mit drei Filmen vertreten, wobei »New Religion« dem Anspruch seines Regisseurs Keishi Kondo (geäußert in einer der Vorführung vorangestellten Videobotschaft) gerecht wurde, eine Geistergeschichte anders zu erzählen als etwa in den »Ringu«-Filmen. »New Religion« verzichtet auf die üblichen Schockszenen in seiner Erzählung von Schuld und Sühne, bedient sich eher des gelassenen Erzähltempos eines Arthouse-Films. Den Namen dieses Debütanten sollte man sich definitiv merken.

Wie sich die plots gleichen (1): in der Hongkong-Produktion »Sakra« von und mit Donnie Yen (parallel am 27.4. in den Kinos angelaufen) wird dem Anführer einer Räuberbande eines Tages vorgeworfen, als Findelkind sei er Angehöriger einer verfeindeten Dynastie und deshalb nicht länger tragbar. So macht sich der Verstoßene auf die Suche nach seiner Herkunft – Auslöser für eine Menge kunstvoll choreografierter Kampfszenen.

Im baskischen Fantasyfilm »Irati«, angesiedelt im 8. Jahrhundert, ist es die Auseinandersetzung zwischen altem Glauben (Heidentum) und neuem Glauben (Christentum), der die Personen prägt: als kleiner Junge wurde der Häuptlingssohn Eneko nach einer verlorenen Schlacht fortgesandt, fünfzehn Jahre später kehrt er zurück um den Thron einzunehmen – und wird prompt des Heidentums und damit unwürdig für diese Rolle bezeichnet. Gemeinsam mit der jungen Irati, die später als Hexe beschimpft wird, macht er sich auf die Suche nach einem sagenumwobenen Schatz, aber auch nach seiner eigenen Vergangenheit. Paul Urkijo Alijos Film zeigt, dass auch ein Fantasyfilm nicht notwendigerweise als Materialschlacht daherkommen muss, sondern sich das Fantastische auch aus einer bestimmten Landschaft entwickeln kann.

Wie sich die plots gleichen (2): in gleich drei Filmen kehren die Protagonistinnen an den Ort ihrer Kindheit zurück. Im slowakischen »Nightsiren« von Tereza Nvotová ist das ein Bergdorf, gefangen in der Vergangenheit, was sich bei traditionellen Festen und dem Verhalten vieler Männer am deutlichsten zeigt. Sarlota und Mira (die aus der Stadt kommt) sind hier Außenseiterinnen. Sarlota ist zurückgekommen, um das Erbe ihrer Mutter zu regeln, auch um Klarheit zu bekommen, was damals ihrer Flucht vorausging. Hatte sie wirklich Schuld am Unfalltod ihrer kleinen Schwester? Auch hier dient die Bezeichnung 'Hexe' als Stigmatisierung, aber der Film ist bei seiner Feier weiblicher Selbstermächtigung bei weitem nicht so gradlinig wie etwa Robert Eggers' »The Witch«, sondern öffnet sich auch für Ambivalenzen.

Im amerikanischen »Mother, may I?« von Laurece Vannicelli kehrt Emmett nach dem Tod seiner Mutter in deren Landhaus zurück. Dass er für die Urne das preisgünstigste Modell wählt, deutet schon auf ein zerrüttetes Verhältnis hin. Wird die Abnabelung von der übermächtigen Mutterfigur gelingen mit Hilfe von Emmetts Verlobter Anya, deren Mutter Therapeutin ist? Die Rollenspiele, die die beiden erproben, haben jedoch einen ungewohnten Effekt: Anya identifiziert sich immer mehr mit Emmetts Mutter, was die Beziehung zwischen ihr und Emmett immer mehr zur Zerreißprobe werden lässt.

Kam dieser Film weitgehend mit zwei Personen aus, so ist das Kammerspiel »Monolith« auf eine einzige Person reduziert, alle weiteren sind nur als Stimmen in Telefongesprächen oder Radiosendungen zu hören. Regisseur Matt Vesely erzählte in seiner Videobotschaft, dass der Film mit kleinstem Budget entstand, dass die australische Regierung in Coronazeiten für solche Projekte freigegeben hatte. Eine (namenlose) Investigativjournalistin hat sich nach ihren Rausschmiss bei einer Zeitung (wegen ungenügender Quellenverifizierung) in das Haus ihrer Eltern zurückgezogen, die sich gerade auf einer Europareise befinden, und betreibt von hier aus ihren Podcast »Beyond Believable«. Als die dabei auf ein mysteriöses Artefakt stößt, das mehrere Menschen in verschiedensten Ländern zugesandt bekommen haben, und sie dies auch noch mit ihrer eigenen Familiengeschichte verknüpfen kann, scheint alles auf eine Alieninvasion hinzudeuten...

Wie sich die plots gleichen (3): gleich zwei Beispiele für das Genre Naziploitation bot die Veranstaltung. Wo Nazis im phantastischen Film in den letzten Jahren überwiegend als Nazi-Zombies auftraten, da wählten der finnische »Sisu« (Kinostart 11.5.) und der deutsche »Blood & Gold« (Netflix, ab 26.5.) einen realistischeren Rahmen: beide spielen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, im Mittelpunkt steht der Kampf um einen Goldschatz. Bei Jalmari Helander (»Surprise Package«) ist es ein Goldsucher, der sich mit einem SS-Trupp, der sich 1944 in Finnland auf dem Rückzug befindet, anlegt und den überlegenen Gegner in bester »Rambo«-Manier austrickst. Im Lauf der Geschichte erfährt man, dass er im finnisch-russischen Krieg von den Russen den Beinamen »Der Unsterbliche« bekam. Die Vorhersehbarkeit der Geschichte macht der Film mit seiner erzählerischen Lakonie wett. Man vergleiche nur die Szene, als die finnischen Frauen, die von den SS-Leuten missbraucht wurden, ihren Hauptpeiniger in ihren Gewahrsam bringen. Daraus hätte man einen drastischen Racheakt machen können (wie Sam Peckinpah in »Steiner – Das Eiserne Kreuz«), worauf dieser Film verzichtet und damit letztlich weniger ein Exploitation-Film ist als Peter Thorwaths deutsches Pendant »Blood & Gold«, das im Rahmen der Fantasy Film Fest Nights in Berlin seine Weltpremiere feierte. Dabei wurde einmal mehr das übliche Loblied auf die unbürokratische Zusammenarbeit mit dem Streamingdienst gesungen. Ob das bereits vor elf Jahren geschriebene Drehbuch unbedingt zu einem Film werden musste, ist eine andere Frage. Wie in »Sisu« wird auch hier der Protagonist, ein Deserteur, einmal aufgehängt, überlebt ebenfalls, allerdings nicht aus eigener Kraft, sondern weil eine junge Frau rechtzeitig den Strick durchtrennt. Die Fronten sind ein wenig unklarer als in »Sisu«, denn neben dem SS-Bataillon, das es auf einen Schatz abgesehen hat, den ein jüdischer Bürger in seinem Heimatort vor seiner Deportation verstecken konnte, gibt es auch einige Dorfbewohner, die nicht die Absicht haben, den von ihnen geborgenen und versteckten Schatz zu teilen. Bis auf Szenen, in denen Nazis (unter Zuspruch des Premierenpublikums) getötet werden, erzählt Thorwarth eher ruhig, spart seine Effekte für einige spektakuläre Szenen auf und lässt seine Darsteller realistisch agieren. Aus der Rolle fällt nur Alexander Scheer als Nazikommandant mit Glasauge, die rechte Gesichtshälfte hinter einer Maske verborgen – er legt seiner Rolle bigger than life an.

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