Kritik zu Wir waren Kumpel

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Was macht es mit einem Leben, wenn die Arbeit als sinn- und identität­-stiftende Instanz wegbricht? Dieser Frage gehen Christian Johannes Koch und Jonas ­Matauschek in ihrem semidokumentarischen Erstlingsfilm nach

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Freitag, 13.12.2019, ist nach über 20 Jahren der letzte Arbeitstag für Kirishanthan Nadarajah, den aus Sri Lanka stammenden Lokführer auf einer Zeche der Ruhrkohle AG, den alle nur Kiri nennen. Auch für Marco Edelmann, genannt »Langer«, und Wolfgang Herrmann, Spitzname »Locke«, ist Schicht im Schacht, in den sie jahrzehntelang gemeinsam eingefahren sind: ein letztes Mal duschen, den Rücken des Kollegen schrubben. »Wir haben's hinter uns, nicht zurückblicken«, sagt Marco. Thomas Hagedorn, der für die Schutzkleidung der Besucher zuständig war, wird von Kollegen aufgemuntert. Martina Klimetzki hat die Kohlegrube verlassen. Nach ihrer Geschlechtstransition war sie die einzige Frau im deutschen Bergbau, jetzt arbeitet sie im Kaliabbau nahe Fulda.

»Wir waren Kumpel«, so lautet der Zwischentitel, bevor sich der Film dem neuen Leben seiner Figuren zuwendet. Marco fährt nun einen Schulbus: »Macht mehr Sinn als der Bergbau.« Wolfgang sucht noch seine neue Rolle und gerät ständig in Konflikt mit seiner pubertären Tochter. Der Kontakt zu Marco ist selten geworden. Thomas, der mit seiner Mutter zusammenlebt, schlägt die Zeit mit Hausarbeit und Kochen tot. Kiri findet sich beim Unterrichten tamilischer Kinder wieder. Martina, die mit einem Logopäden weibliche Stimmlagen einübt, scheint in ihrem neuen Leben angekommen zu sein. 

Einiges an »Wir waren Kumpel« bleibt offen, etwa die Frage, wo und wann die einzelnen Episoden spielen. Die letzte Zeche im Ruhrgebiet, Prosper-Haniel in Bottrop, schloss bereits im Dezember 2018. Die Bilder der beiden Steiger auf ihrem letzten Weg aus der Zeche sind wohl später entstanden. Den Filmemachern geht es jedoch weniger um diese Details. Vielmehr beabsichtigen sie laut einem »Regiestatement« im Presseheft, »historisch gewachsene Rollenbilder zu hinterfragen«. Der Bergmann symbolisiert für sie einen Arbeitertypus, der in seinem »Verständnis von Männlichkeit sehr eindimensional« sei. Das Erbe des Zeitalters der Industrialisierung gelte es »zur Disposition zu stellen«. Aus heutiger Sicht stelle sich die Frage, wie sich »Männlichkeit in Zukunft konstituieren« werde. 

Ob dieses tradierte Bild von Männlichkeit im Dienstleistungszeitalter wirklich noch relevant ist, sei dahingestellt. Der »Reflexionsprozess«, in den die Macher mit ihren Personen treten wollten, findet im Film jedoch allenfalls in den Selbstgesprächen Kiris statt. Was der Film zeigt, sind Menschen, die mit einem gravierenden biografischen Bruch zurechtkommen müssen. Solche, sei es altersbedingt oder durch Arbeitsplatzverlust, gibt es indes in allen Branchen, auch in solchen, in denen das »heroische Bild des Bergmanns« (Presseheft) keine Spuren mehr hinterlassen hat. Spannender wäre es gewesen, hätten Koch und Matauschek ihr Personal selbst zu den Umbrüchen in ihrem Leben befragt, statt sie in semidokumentarisch nachgestellten Szenen agieren zu lassen, die suggerieren, man blicke durch die vierte Wand unbemerkt in das Leben dieser Menschen.

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