Kritik zu As Time Goes by in Shanghai

© Neue Visionen

2013
Original-Titel: 
As Time goes by in Shanghai
Filmstart in Deutschland: 
13.12.2013
L: 
90 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Uli Gaulkes Dokumentarfilm hat ein unwiderstehliches Sujet und ebensolche Protagonisten: Die älteste Jazzband der Welt macht sich von Shanghai auf den Weg, das Publikum in Rotterdam zu erobern

Bewertung: 3
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Sechs alte Knacker auf einer solch riesigen Bühne? Aber keine Sorge, die Halle schüchtert die Mitglieder der Peace Hotel Jazz Band nur für einen Augenblick ein. Natürlich sind die Mitglieder der ältesten Jazzkapelle der Welt aufgeregt. Aber die Routiniers treten seit 30 Jahren in dem berühmten Hotel am Bund von Shanghai auf, da werden sie auch diesen Gig souverän bestreiten.

Ihr umtriebiger Manager flunkert gehörig, was ihr Alter angeht; wohl schon der Versicherung wegen. Tatsächlich ist der Älteste von ihnen 93. Aber sie sind so kregel, als wären sie Jahrzehnte jünger. Ihre Selbstironie wappnet sie für jede neue Herausforderung. Keinen Augenblick vergessen die betagten Herren, dass sie vor einer Kamera stehen. Uli Gaulke hat einen Glücksgriff getan mit seinen Protagonisten. Als Regisseur müsste man schon viel falsch machen, um einen solchen Film zu verderben. Allzu leicht machen es einem die sechs Charmeure, sich in ihr Schlepptau zu begeben, allzu ansteckend ist das Vergnügen, ihnen beim Musizieren und Reden zuzuhören.

Sie haben Feuer gefangen bei diesem zweifachen Projekt: gefilmt zu werden und ein Gastspiel zu geben im fernen Europa. Bescheiden müssen die Routiniers nicht sein: Den Langnasen wird es schon gefallen, nur nicht zu viel proben! Munter spekulieren sie über die Gepflogenheiten der holländischen Prostituierten. Und wie man in der Marktwirtschaft zurechtkommt, interessiert sie brennend. Wenn Gaulke seine Protagonisten später einzeln aufruft, gibt er ihnen Raum, ihre Geschichte zu erzählen. Ihre Leidenschaft gewinnt je eigene Kontur. Die Ältesten waren Pioniere des Jazz in China. Sie schwärmen von der Blüte Shanghais, als die japanischen Besatzer besiegt und allerorten amerikanische Filme zu sehen und amerikanische Lieder zu hören waren. Als die Kommunisten an die Macht kamen, war dieses Goldene Zeitalter vorüber. 1953 mussten die Ballrooms schließen; ihre Musik wurde als dekadent verfemt. Man spürt die Widerstände, die Gaulke überwinden muss, damit sie von der Zeit der Unterdrückung erzählen. Sie geben sich unpolitisch. Ihre Liebe zum Jazz war es nicht. Das holländische Fernsehteam, das sie vor dem Auftritt dazu befragt, lügen sie diplomatisch an.

Gaulke setzt sie nicht nur als Überlebende in Szene, die noch in hohem Alter gespannt darauf sind, welche neuen Perspektiven sich ihnen eröffnen können. Er nimmt sie als Musiker ernst. Die zusätzlich komponierte Partitur ist überflüssig: Ihr traditioneller Jazz hätte die schwelgerischen Ansichten Shanghais ebenso trefflich begleitet, zumal die Kamera deren urbane Verwerfungen im Kontrast zwischen Alt und Neu kenntlich macht. Da nicht der geringste Zweifel besteht, dass das holländische Publikum die Jazzer am Ende mit stehenden Ovationen feiern wird, trifft es sich prächtig, als das Leben mit einem Suspense aufwartet. Die plötzliche Erkrankung eines Musikers droht den Auftritt zu verhindern. Es wäre doch gelacht, wenn sich die Sechs nicht zu helfen wüssten.

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