Kritik zu Stereo

© Wild Bunch

Maximilian Erlenwein (»Schwerkraft«) bringt Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu in einem Rachethriller zusammen – als mysteriöse Mischung aus Freund und Feind

Bewertung: 4
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3
3 (Stimmen: 4)

Alles scheint bestens im kleinen, ruhigen Leben, das sich Erik (Jürgen Vogel) in der deutschen Provinz aufgebaut hat, mit One-Man-Motorradwerkstatt und Patchworkfamilie mit neuer Freundin (Petra Schmidt-Schaller) und ihrer kleinen Tochter im idyllischen Häuschen. Doch dann drängt die Vergangenheit zurück, die zu Eriks Rocker-Rowdy-Erscheinung passt, mit Motorrad, Lederkluft, Glatze und Tattoos, darunter ein prominentes »Halunke« in schwarzen Frakturlettern quer über den Unterarm.

Langsam beginnen Kräfte zu wirken, die das friedlich geordnete Leben als Blase erkennen lassen, die zu zerplatzen droht. Finstere Gestalten beginnen das Dorf zu bevölkern. Sie wecken ungute Erinnerungen an ein anderes Leben, in dem Erik eine offene Rechnung mit einem Berliner Gangsterboss hat (von Georg Friedrich lustvoll als proletarisch-österreichische Version von Al Pacinos Scarface gespielt). Wie schon in seinem Debüt »Schwerkraft« nimmt Maximilian Erlenwein auch hier wieder eine Fülle von Genremotiven aus dem amerikanischen Erzählkino auf und mehr noch als dort splittet sich die Welt in eine Nacht- und eine Tagseite auf, offenbaren sich schizophrene Komponenten der Psyche.

Vom Fenster aus nimmt Erik eine diffuse Bedrohung wahr, fern im Garten glaubt er eine Männergestalt zu entdecken, das Gesicht von der tief gezogenen Kapuze des Parkas verschattet, einer nächtlichen Fata Morgana gleich. Später macht Erik die beunruhigende Entdeckung, dass der Mann (Moritz Bleibtreu) ihm immer näher kommt und schlimmer noch, nur er ihn sehen und hören kann. Inspiriert ist diese Ausgangsposition von Henry Kosters Mein Freund Harvey: »Was wäre, wenn dieser unsichtbare Begleiter ein zynischer, dreckiger Mistkerl ist«, dachte Erlenwein und legte damit den bösen Keim für einen harten, düsteren Psychothriller mit Reminiszenzen an David Finchers Fight  Club. Wie ein kleines Teufelchen auf der Schulter stichelt und provoziert der unliebsame Begleiter, und ist dabei zwischen Wahn und Wirklichkeit immer zugleich Widersacher und Verbündeter, wobei nur Erik weiß, wessen Gestalt er hat.

Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu, zwei deutsche Schauspieler mit einer sehr physischen und instinktiven Präsenz, stehen hier mit offensichtlichem Vergnügen zusammen vor der Kamera. Irritierend symbiotisch verbindet sich die rechte Gesichtshälfte von Bleibtreu auf dem Filmplakat mit der linken von Vogel, wodurch sich ein weiter Interpretationsspielraum für das Stereo des Titels öffnet. Im weiteren Verlauf verlagert sich die zunehmend gewalttätigere Handlung vom sonnigen Tag auf die finstere Nacht, vom geregelten Familienleben am Spielplatz zur kriminellen Unterwelt in der Stadt. Kameramann Ngo The Chau, der nicht nur Erlenweins Debüt »Schwerkraft«, sondern auch den Look von Christian Alvarts Banklady geprägt hat, taucht die Bilder in zunehmend schwefeligere Stimmungen, die an Nicolas Winding Refn ebenso erinnern wie an David Lynch und mit den treibenden Elektrobeats des Soundtracks wirkungsvoll untermalt sind.

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